Bauwerk

Haus Sailer
Bulant & Wailzer - Salzburg (A) - 1997
Haus Sailer, Foto: Rupert Steiner

Aquarium, anders herum

Eine Auszeichnung nach der anderen, zuletzt der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau: Der Glaspavillon, den Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer ans Salzburger „Haus Sailer“ angebaut haben, ist drauf und dran, ein Klassiker zu werden.

1. August 1998 - Judith Eiblmayr
Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen läßt, läßt sich klar aussprechen.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus

Was macht die Bauaufgabe Einfamilienhaus und in der Folge die Analyse derselben immer wieder interessant? Oder besser: Wodurch macht sich ein Einfamilienhaus - gemeint sind hier sogenannte „Architektenhäuser“, deren Anteil am österreichischen Privathaus-Bauaufkommen ganze 5 Prozent beträgt - beziehungsweise ein Detailbereich desselben immer noch interessant genug, um spezifisch beschrieben zu werden?

Sind nicht sämtliche Grundrißvarianten bereits durchgespielt und verfeinert, ist nicht - auch formal - „alles schon einmal dagewesen“? Ja und nein, ist die logische Antwort, das Einfamilienhaus muß nicht immer neu erfunden werden, um trotzdem neu und gut zu sein. Es kann übrigens auch alt und unscheinbar sein und erst durch qualitätvolle Eingriffe in architektonische „Hochform“ gebracht werden.

Ein Haus, dem dieses Schicksal in bislang zwei Etappen widerfahren ist, ist jenes der Familie Sailer in Morzg bei Salzburg. Als das 1939 errichtete Gebäude in den späten siebziger Jahren von den Teppichgaleristen und Kunstsammlern Ingrid und Franz Sailer erworben wurde, war an ihm bereits mehrmals „herumgebaut“ worden, und es präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt als historisierende Fünfziger-Jahre-Villa. Diese sollte für die Zwecke der Familie adaptiert werden, und so wurde Anna-Lülja Praun mit der Neugestaltung der Innenräume beauftragt. - Schon bei der Wahl dieser Architektin bewiesen die Bauherrn Stil: Praun - mittlerweile 92jährig und immer noch aktiv - ist in der Tradition einer zeitlosen Wiener Moderne des Möbelbaus verhaftet und dafür bekannt, trotz ihrer bestimmenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Geschmacksvorstellungen entwickeln und entfalten können.

Prauns üblicher Ansatz eines klaren, auf Durchlässigkeit bei Blickachsen und Wegführung zielenden Raumkonzepts und ihr im Stil unverkennbares, jedoch mit den persönlichen Dingen der Bauherrn bestens kompatibles Maßmobiliar haben auch dem „Haus Sailer“, als das es im Praunschen Werk einen wichtigen Platz einnimmt, sein spezifisches Gepräge verliehen.

Zwanzig Jahre später haben sich die Bedürfnisse der Hausbewohner gewandelt, oder besser: weiterentwickelt. Sie wollten das nach wie vor unverändert gültige hohe Niveau bei der Qualität der Innenräume nun auch im Außenraum erreichen. Es sollte der Bezug zum Garten, der bislang lediglich über eine kleine Loggia und über einen Ausgang vom Wohnzimmer treppab gegeben war, in verstärktem Maße hergestellt werden können.

Beim klimatischen Fixpunkt an Salzburgs oftmals wolkenverhangenem Himmel, dem Schnürlregen, ist eine „Beziehung zum Außenraum“ freilich nicht durchwegs ungetrübt herzustellen. „Wetterfleck“ und Gummistiefel sind nicht umsonst gern getragene Salzburger Accessoires für draußen. Allerdings ist es nicht jedermanns Sache, einen verregneten Sonntag im Garten - obzwar vor der völligen Durchnässung textil geschützt - als entspannenden Zeitvertreib zu empfinden.

Die Bauherrn hatten die konkrete Vorstellung, daß sie sich die Natur unabhängig vom Wetter als ganzjährig „belebbaren“, zusätzlichen Raum erobern wollen. Nicht vom Formalen her wußten sie, was sie wollten, sondern im Sinne einer klar formulierten zusätzlichen Lebensqualität, die durch diesen Zubau erreicht werden sollte. „Wir waren angenehm überrascht, Bauherrn zu treffen, die so bewußt Vertrauen in ihre sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten hatten“, meinten die beiden Wiener Architekten Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer und gingen daran, das gewünschte sinnliche Element eben möglichst „elementar“ auszubilden und eine (Architektur-)Sprache zu finden, die diese Intention präzisiert auszudrücken vermag.

Bulant-Kamenova und Wailzer haben das Ansinnen ihrer Auftraggeber regelrecht auf den Punkt gebracht. Der von ihnen entworfene und in geklebter Konstruktion entwickelte Ganzglaspavillon ist dem von diversen Vorbauten und Zierrat befreiten Haus wie zur Veredelung vorgelagert. Dabei wird die kubische Wirkung des strahlend weißen Baukörpers eher noch verstärkt, als daß sie durch den Annexbau formal bedrängt würde. Dies ist kein klassischer Wintergarten, der als Anhängsel des massiven Baus wirkt, sondern ein auf konstruktive und ästhetische Reduktion angelegtes Glashaus mit maximaler funktionaler Entsprechung im Sinne der Klassiker dieser Art - wie das „Farnsworth House“ von Mies van der Rohe oder das „Glass House“ von Philip Johnson.

Anders jedoch als bei diesen solitären, transparenten Pavillons, die ausschließlich auf größtmögliche Verschmelzung ihres Innenraums mit der umgebenden Natur abzielten, soll mit dem Sailerschen Glashaus auch eine Staffelung von Räumen zwischen drinnen und draußen erfolgen. Lülja Prauns Raumkonzept wurde insofern konsequent weiterverfolgt, als eine sukzessive räumliche Annäherung von den Wohnräumen zum Grünraum hin stattfinden kann: vom Musiksalon niveaugleich ins Glashaus, weiter auf die Terrasse und über drei Stufen in den Garten.

Über der sockelartigen, mit Granitplatten belegten Terrasse, die vom Haus bis an die Grundstücksgrenze reicht, wird der Außenraum ganz konkret definiert: Die Gartenmauern aus Sichtbeton bestimmen seine Länge und Breite, die sowohl Glashaus wie auch Terrasse überspannende Pergola aus verzinktem Stahl schafft dessen horizontalen Abschluß.

Und sollten die Drahtseile, die zwischen den I-Trägern gespannt sind, erst einmal bewachsen sein, wird ein „grünes Dach“ in der warmen Jahreszeit diese Wirkung noch verstärken. So entsteht ein geschützter Hof, ein Semiatrium dessen Hauptorientierung sich westseitig in den Garten ergibt.

Aus dem Glashaus heraus verlegt kein konstruktives „Sprießelwerk“, sei es aus Holz oder Aluminium, den Blick ins Freie, ohne lästige Steher, die das Sehfeld „parzellieren“, können Wiese, Bäume und Himmel in einem erfaßt werden. Die Vorstellung, bei Regen nur von einer gläsernen Membran „beschirmt“ im Liegestuhl zu liegen, läßt einen den entspannenden Effekt eines „inversen Aquariums“ erahnen. Auch im Winter ist wohl ein stark kontemplativer Charakter gegeben, wenn man aus dem beheizten, neutralen Raum heraus den Schneefall rundherum beobachten kann.

Die formale Reduktion, die letztendlich die außergewöhnliche Eleganz dieses gläsernen Raumes ausmacht, stellte konstruktiv eine große Herausforderung dar, sowohl für die Architekten als auch für die ausführende österreichische Glasfirma, die diesen Auftrag als „experimentell“ einstufte. Es wurde - erstmalig in Österreich - eine geklebte Ganzglaskonstruktion hergestellt und montiert.

Die tragenden Elemente bilden dabei zwei Dreischicht-Glasstützen beziehungsweise -Glasbalken, die durch einfache Zapfenverbindungen miteinander befestigt sind und allen anderen lediglich geklebten Glasteilen den nötigen Halt geben. Als vertikale Aussteifung dienen vier sogenannte Glasschwerte, um die Windlasten abtragen zu können. Gefertigt wurde aus laminiertem Isolierglas mit erhöhter Sonnenschutzfunktion, die Dachfläche ist zwecks Beschattung 40prozentig punktgerastert. Auch bei der großdimensionierten, rahmenlosen Terrassentür wurde der Weg der technischen Herausforderung beschritten.

Trotz der relativ geringen Kubatur und der verhältnismäßig kleinen Dimension dieser Bauaufgabe wurde der Wille zur schlichtestmöglichen Versachlichung des Bauherrnwunsches unter Einsatz und Entwicklung innovativer Technologie mit einer wahren Preisflut belohnt. Den Anfang machte der Architekturpreis des Landes Salzburg 1997, es folgten die Wahl zum „Haus des Jahres 98“ der Zeitschriftenredaktionen von „Häuser“ und „Schöner Wohnen“ und der Bauherrnpreis für „Das goldene Haus 98“ der Münchner Zeitschrift „Das Haus“.

Eine echte Sensation allerdings stellt der Gewinn des „Benedictus Awards 98“ dar, der als der weltweit renommierteste Preis für innovativen Glasbau gilt, vom American Institute of Architets organisiert und von der amerikanischen Firma DuPont, einem Hersteller von Glaslaminaten, gesponsert wird. Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer sind nun Träger derselben Auszeichnung, die etwa 1993 an den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster vergeben wurde.

Um zur Thematik des Einfamilienhauses zurückzukehren: Das Haus Sailer ist deshalb so ein wichtiger Beitrag dazu, weil es zeigt , daß auch ein schlichtes, unprätentiöses Haus zu einem Kulturträger höchster Qualität geraten kann, wenn die Bauherrn dies nur wollen. Deren Aufgeschlossenheit, ihr „altes“, gediegenes Haus neu aufgekommenen persönlichen Bedürfnissen anzupassen und dies von Architekten in einer zeitgemäßen Formensprache interpretieren zu lassen, ist hier, im Wittgensteinschen Sinne, klar ablesbar: Alles, was überhaupt gedacht werden kann, läßt sich klar planen. Und auch - wie an diesem Beispiel ersichtlich - mit höchster Präzision bauen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Ingrid Sailer
Franz Sailer

Fotografie