Bauwerk

Seniorenheim Stockerau
Johannes Zieser - Stockerau (A) - 2006

Wenn wir alt sind

Eine Fassade, die in warmem Rot leuchtet, Fenster, die auch einem Liegenden den Blick ins Freie gewähren. Keine Spur von Klinik oder Kälte: das Landespensionistenheim in Stockerau.

1. Juli 2006 - Walter Zschokke
Östlich des Ortskerns von Stockerau befand sich bis vor kurzem das alte Landespensionistenheim in einem sechsgeschoßigen Bau aus den späten 1960er-Jahren. Bauphysikalisch und vor allem betrieblich war er nicht mehr zeitgemäß, und ansehnlich ist er auch nicht. Man wird ihn demnächst abbrechen und den Grund neu bebauen. Neben dem Altbau entstand in den vergangenen zwei Jahren ein neues Landespensionistenheim, dessen Fassade in einem warmen Rotton freundlich leuchtet. Als Zweites fallen die halbrunden Stirnseiten des Zimmertrakts auf, wo Bewohnerinnen und Bewohner in großen Loggien, gut beschattet und betreut, frische Luft genießen können. Denn es gilt zu bedenken, dass nicht wenige der Hochbetagten sich - wenn überhaupt - nur mehr im Rollstuhl bewegen können.

Betriebsökonomische Studien legten in den vergangenen Jahren optimale Bettenzahlen für die Pflegestationen fest, die sich jeweils auf einer Ebene befinden müssen. Dies bestimmte die Ausdehnung des dreigeschoßigen Zimmertrakts, der im Süden und im Norden über die genannten halbrunden Loggien verfügt, die wie gestapelte Achterdecks eines Ausflugschiffes wirken. Die Zimmer liegen beidseitig an einem Mittelgang und sind nach Osten oder Westen gerichtet. Große Kastenfenster mit niedrigen Brüstungen bieten selbst Liegenden einen Blick nach draußen.

An der Westseite des Zimmertrakts stößt ein gedrungener Quertrakt auf den Langbau. Er enthält die vielen allgemeinen Räume für Aufenthalt, Haarpflege, Café und dergleichen. Die Hauskapelle befindet sich hier, aber auch der Servicebereich mit der Küche, die Eingangshalle und die Verwaltung. An der Gelenkstelle springen die Geschoßdecken zurück, sodass das von Süden eindringende Licht bis tief in die hohen Hallen gelangen kann. Ein weit auskragendes Dach schützt vor der harten Sommersonne.

Bei der architektonischen Gestaltung eines Pensionisten- oder Pflegeheims gilt es immer zu bedenken, dass drei ziemlich verschiedene Nutzergruppen zu berücksichtigen sind: die alten Menschen, das Betreuungspersonal und die Angehörigen, Freunde und Bekannten, die zu Besuch kommen. Bewohnerinnen und Bewohner, die sich noch selbst bewegen, sollen sich unschwer orientieren können und räumlich abwechslungsreiche Allgemeinbereiche vorfinden. Sollten sie jedoch bereits immobil sein, ist ihnen ein freundliches Zimmer zu wünschen.

Das Betreuungspersonal wird sich in vielen Fällen für eine längere Dauer im Gebäude aufhalten als die meisten Bewohner. Praktische Arbeitsverhältnisse und angenehme Aufenthaltsbereiche und -räume sind das eine. Ein positiver Gesamtcharakter des Gebäudes, der eine Identifikation mit dem Arbeitsort fördert, ist jedoch mit Sicherheit ebenso wichtig, weil dies die Qualität der Arbeitsleistung positiv beeinflusst. Gewiss gibt es andere und gewichtigere Faktoren, aber die sind in der Regel meist leichter veränderbar als die Architektur des Hauses.

Wer seine Angehörigen, Freunde oder Bekannten besuchen kommt, möchte wohnliche Bereiche vorfinden, wo er dem besuchten Menschen nahe sein und ein, zwei angenehme Stunden verbringen kann, im Gespräch oder in stillem Beisammensein. Dazu kann ein eher privater oder eher öffentlicher Rahmen sinnvoll sein. Jedenfalls ist es gut, wenn man aus einem Angebot wählen kann. So kommen viele verschiedene und anspruchsvolle Forderungen an die Architektur eines Pensionistenheims zusammen, die nicht immer glücklich erfüllt werden. Nicht selten greift ein kalter Klinikcharakter Platz, den man sich auch im Spitalsbereich eigentlich nicht wünscht.

Ganz anders im vorliegenden Fall von Stockerau. Architekt Johannes Zieser ist es gelungen, eine positive Atmosphäre zu schaffen, in der man sich in jeder der drei Benützerrollen wohl fühlen kann. Gewiss wird diese Stimmung weder Altersgebrechen oder Alltagssorgen noch subjektive Ängste wegzaubern, aber positive raumgestalterische Voraussetzungen sind jedenfalls eine gute Ausgangslage.

Der Tagesaufenthaltsbereich zeichnet sich durch doppelte, teils dreifache Raumhöhe aus, mit Galerien und mancherlei Sichtbeziehungen, die einen guten Überblick erlauben. Die große Glaswand trennt klimatisch und bietet dennoch einen intensiven Bezug zum Außenraum. Die Materialien: Parkettböden in warmfarbigem Holz, Natursteinverkleidungen von Mauern in ockerfärbigem Stein - das Muster erinnert an die 1950er-Jahre, an die sich wohl nicht wenige Bewohner erinnern werden. Schlanke runde Stützen tragen die Galerie, über der ein Glasdach noch einmal Licht in den großen Binnenraum einlässt.

Am überraschendsten ist jedoch, dass der Trakt mit den Zimmern aus Holz errichtet wurde, das an den Decken der Gänge und in den Zimmern zu sehen ist und die positive Raumwirkung mitbestimmt. Die Deckenplatten und Wandscheiben bestehen aus Brettsperrholz. Das sind kreuzweise zu großen Tafeln verleimte Brettschichten. Ihre Größe wird nur durch die Transportfähigkeit begrenzt. Diese massiven Holzwerkstoff-Elemente werden konstruktiv und statisch wirksam eingesetzt. Architektonisch erscheinen sie flächig, was bisher die Domäne des Stahlbetons war oder in Holz durch Verkleidung erreicht werden musste. Der Rohbau gleicht dem anderer Massivbauweisen, hat aber neben dem geringeren Gewicht den Vorteil der schnellen und trockenen Montage sowie der werkseitigen Vorfertigung.

Der Aufbau der Außenwände beginnt außen mit hinterlüfteten, rot lackierten Sperrholztafeln, deren Horizontalfugen gegen eindringenden Schlagregen sorgsam mit einem Wetterschenkel versehen sind. Zementgebundene Spanplatten schützen die Dämmung und sichern gegen Brandüberschlag. Hinter der Dämmung steht das tragende Brettsperrholz, innenseitig wurde es mit einer brandhemmenden Schicht versehen und dann mit Gipskarton verkleidet.

Damit ist das Bauwerk auch bautechnisch äußerst interessant und nützt die Möglichkeiten des modernen Holzbaus. Dabei werden auch die anderen Materialien je nach ihren Eigenschaften sinnvoll eingesetzt. Wir finden Stahlbeton, Holz und Holzwerkstoffe, Stahl und Glas, die zusammen die jeweils angemessene Stimmung erzeugen. Denn nicht eines allein vermag sämtliche Ansprüche zu erfüllen. Erst im Zusammenspiel der richtigen Kombination und Konstellation wird daraus Architektur.

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