Bauwerk

Pierpont Morgan Library
Renzo Piano Building Workshop - New York (USA) - 2006
Pierpont Morgan Library, Foto: Paul Raftery / ARTUR IMAGES
Pierpont Morgan Library, Foto: Paul Raftery / ARTUR IMAGES
Pierpont Morgan Library, Foto: Paul Raftery / ARTUR IMAGES

Kristalline Schatzkisten

Renzo Pianos Erweiterung der New Yorker Morgan Library

13. Mai 2006 - Martino Stierli
Die Sammlung der New Yorker Morgan Library zählt mit Schwerpunkten auf den Gebieten der europäischen Meisterzeichnung, der literarischen und musikalischen Handschriften, der Buchmalerei sowie der Siegel weltweit zu den bedeutendsten ihrer Art. Die Ursprünge der Institution gehen auf die private Bibliothek des Financiers Pierpont Morgan (1837-1913) zurück, dessen Sammlertätigkeit die kulturellen Aspirationen des damaligen New Yorker Geldadels bezeugt. Zur Behausung der wachsenden Bestände beauftragte Morgan 1902 Charles McKim mit dem Bau eines Bibliotheksgebäudes im Stil der italienischen Renaissance, das wegen seiner exquisiten Steinfassade und seiner prunkvollen Innenausstattung als Vorzeigebau der amerikanischen Beaux-arts-Architektur gilt.

Dem wachsenden Raumbedarf antwortend, nahm man in den folgenden Jahrzehnten bauliche Ergänzungen vor, so dass sich der Sitz der Institution zuletzt als unübersichtliches Konglomerat von Einzelbauten präsentierte. Mit der jüngst vollendeten Erweiterung, der grössten in der Geschichte der Morgan Library, sollte dieser Situation Abhilfe geschaffen und zugleich die Ausstellungsfläche des Museums verdoppelt werden. Überdies sah das Programm den Bau eines Auditoriums, eines neues Lesesaals sowie zusätzlichen Lagerraums vor. Mit der Ausführung wurde Renzo Piano betraut, der nun nach knapp dreijähriger Bauzeit in Zusammenarbeit mit dem lokalen Büro Beyer Blinder Belle seinen ersten Bau in der Stadt fertigstellen konnte.

Pianos Intervention zeichnet sich durch einen respektvollen Umgang mit dem Baubestand aus, dem gegenüber sich die neue Stahl-Glas-Architektur in vornehmer Zurückhaltung übt. Die zentrale Entwurfsidee besteht in einem viergeschossigen, glasüberdachten Innenhof, der die einzige dramatische Geste des Neubaus darstellt. Als interne Piazza ausgebildet, verbindet er die komplexe Anlage zu einer kleinen Stadt in der Stadt. Von hier aus werden die Altbauten sowie die drei pavillonartig dazwischengestellten neuen kristallinen Kisten erschlossen. Das geschickte Spiel des Architekten mit dem Licht zeigt sich im Kontrast von lichtdurchfluteter Halle und abgedunkelten Galerieräumen, aber auch im ausgeklügelten System von indirektem Natur- und Kunstlicht im Cube genannten kleinsten der drei Pavillons, in welchem Höhepunkte der Sammlung präsentiert werden. Als entscheidend für den erneuerten Auftritt der «Morgan» in New Yorks kulturellem Leben erweist sich die Verlegung des Haupteingangs von einer Seitenstrasse an die Madison Avenue.

Obwohl Piano mit der verglasten Eingangsebene und zwei mit Metallpaneelen verkleideten Obergeschossen auf Reduktion setzt, wird der repräsentative Anspruch durch die Symmetrie und die schöne Proportionierung der Fassade dezent, aber nachhaltig unterstrichen. Daneben trägt auch die Transparenz zur gewünschten Öffnung der Institution bei. Trotz diesen Vorzügen sind einige Fragezeichen zu setzen - nämlich bei der Materialwahl. So bezeichnet der Architekt zwar Stahl und Glas als «ehrliche» Materialien, lässt dann aber sämtliche Metalloberflächen unter einer hellen Bemalung verschwinden, deren leichter Rosaton sich am Marmor von McKims Gebäude orientiert. Auch sind die sichtbaren Träger und Stützen sowie die etwas banal anmutende Vertikalverglasung im Stil der anonymen Geschäftshausarchitektur eher den High-Tech-Attitüden des Architekten geschuldet als dem Ausdruck des Charakters der Institution. Indes belegt der rege Besucherzustrom seit der Wiedereröffnung, dass die Erweiterung Anklang findet. Und bereits kündigen sich mit dem Neubau des Hauptsitzes der «New York Times», der geplanten Erweiterung des Whitney Museum und der Neuplanung des Campus der Columbia University weitere New Yorker Arbeiten des Italieners an.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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