Bauwerk

Schaulager
Herzog & de Meuron - Münchenstein (CH) - 2003
Schaulager, Foto: Margherita Spiluttini
Schaulager, Foto: Margherita Spiluttini

Basels kolossale Schatzkiste

Die Architekten Herzog & de Meuron haben für die Kunstwerke der Emanuel-Hoffmann-Stiftung ein neues Domizil entworfen. Das Haus ist Lager und Studienort für Kunst zugleich.

11. Mai 2003 - Gerhard Mack
Eine Auffahrtsrampe schwingt sich zum Parkdeck des Migros-Verteilers. Von einem Verwaltungskomplex daneben prangt das Schild der Firma Spengler. Gegenüber hält das gelbe Elfer-Tram vor Einfamilienhäuschen aus den fünfziger Jahren. Dazwischen ragt ein Klotz in die Höhe, den man eher in den Wüstenstädten Arabiens erwartet. Die Fassaden sind so braun wie das steinige Feld daneben. Eine riesige Wand ist ohne jede Öffnung, andere haben kleine Türen oder schmale Fensterbänder, die mit ihren zackigen Rändern aussehen wie Papier, aus dem man Streifen herausgerissen hat. Der fünfeckige Grundriss macht das Gebäude nicht vertrauter. Taxifahrer reden vom Gefängnis und übersehen die subtile Schönheit des Fremdkörpers. Die Oberfläche der Fassade ist aufgeraut und schimmert aus der Ferne wie feiner Samt im blauen Frühlingshimmel, als schütze sich das Gebäude mit einem schweren Kleid gegen das trostlose Umland an der Stadtgrenze zwischen Münchenstein und Basel. Zur Tramhaltestelle hin öffnet es sich jedoch mit einer eingeschnittenen Wand in strahlendem Weiss, aus der zwei grosse LED-Flächen mit Bildern von der Kunst im Innern herausleuchten. Wer hier aussteigt, fühlt sich eingeladen, näherzutreten und das kleine Häuschen zu passieren, das in die Einbuchtung gesetzt ist und städtebaulich eine Brücke zu den Siedlungshäusern schlägt. «Schaulager» heisst das neue Haus, nach ihm wurde die Tramhalte-stelle umbenannt. Hier finden die Kunstschätze der Emanuel-Hoffmann-Stiftung ihr neues Domizil, soweit sie nicht in den Öffentlichen Kunstsammlungen Basel ausgestellt sind.

Gegen den Trend

«Die Herausforderung für uns lag zunächst einmal in der Aufgabe», sagt Harry Gugger, der Partner von Herzog & de Meuron, der den Neubau zuletzt betreut hat. «Was ist ein Schaulager, welche Struktur, welchen Ausdruck soll es haben, und wie baut man das?» Museen haben die Basler Architekten von der kleinen Sammlung Goetz in München bis zur riesigen Tate Modern in London in grosser Vielfalt und Zahl gebaut, doch ein Museum wollte die Bauherrin Maja Oeri nicht. Noch ein Museum für zeitgenössische Kunst brauche Basel nicht, hat sie einmal gesagt; vielleicht wollte sie auch nicht dem Trend aufsitzen, der landauf, landab Museen entstehen lässt, in denen Sammler zeitgenössischer Kunst ihre Schätze ausbreiten. Die Roche-Grossaktionärin und Mäzenin wollte vielmehr eine Institution begründen, die auch konzeptionell auf Neuland führte; wie das Museum für Gegenwartskunst, das ihre Grossmutter Maja Sacher gestiftet und als erstes seiner Art in Europa 1980 eröffnet hat. Dort sollten die Werke zeitgenössischer Kunst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die die Emanuel-Hoffmann-Stiftung seit siebzig Jahren erwirbt. Das erwies sich jedoch schnell als Illusion. Das Museum platzte bald aus allen Nähten, der Grossteil der Bestände wanderte ins Depot.

Ein solches Depot ist nun gewissermassen auch das neue Haus, für das Maja Oeri eigens die Laurenz-Stiftung als Trägerin gründete. Aber nicht nur. Denn hier sollen die Skulpturen, Objekte, Installationen, Videos, Gemälde, Photographien und Zeichnungen nicht, wie sonst üblich, in Kisten verpackt abgestellt, sondern sichtbar präsentiert und gut zugänglich sein. Ein Lager, dessen Bestände bei Bedarf ohne grossen Aufwand angeschaut werden können. Ein Lager nicht nur zum Aufbewahren, sondern auch zum Betrachten von Kunst, das könnte die Arbeit von Konservatoren, Forschern und Restauratoren erleichtern, da sie vor Augen haben, was vorhanden ist und in welchem Erhaltungszustand es sich befindet. So lautete das Konzept der Bauherrin und ihrer Direktorin Theodora Vischer.

«Am Anfang haben wir an eine Halle mit einer grossen Bodenfläche für die Skulpturen und einer riesigen Wand für alle Gemälde gedacht», sagt Harry Gugger. Das erwies sich jedoch schnell als unpraktisch und machte dem Konzept eines flexiblen Lagerhauses Platz. Im Zentrum standen die konservatorischen Anforderungen der Kunstwerke. Die Temperatur sollte konstant bei 21 Grad liegen, die Luftfeuchtigkeit 50 Prozent betragen. Das haben die Architekten vor allem über die thermische Masse des Baus erreicht. Die Aussenmauern sind über fünfzig Zentimeter dick. Die wenigen Wandöffnungen liegen vor allem im administrativen und im Eingangsbereich. Im Innern sind die Heizschlaufen in die Betonwannen der Decken eingegossen, die sich über 18 Meter spannen, und aktivieren ebenfalls die Masse des Materials. «Das Haus selbst ist die Heiztechnik, die Heizung, die wir installiert haben, ist nicht viel grösser als für ein übliches Wohnhaus», sagt Harry Gugger. Selbst wenn draussen der Frost mit minus 10 Grad an den Knochen nagt, muss das Heizwasser nicht mehr als 23 Grad warm sein, um die Raumtemperatur zu halten. Als die Behörde die Baueingabe sah, glaubte sie zunächst an einen Berechnungsfehler.

Eine Wand wie Pudding

Für Temperatur- und Feuchtigkeitsausgleich wäre Lehm ein idealer Baustoff gewesen; er hätte aber eine wesentlich längere Bauzeit bedingt. Von einer Machbarkeitsstudie blieb immerhin die Idee, mit dem Baugrund zu arbeiten. Der Jurakiesel, den die Birsig hier in Terrassen abgelagert hat, wurde gewaschen und zu Stampfbeton verarbeitet. Ein Verzögerer sorgte dafür, dass die Wand beim Ausschalen eine Stunde lang weich war wie ein Pudding und die Maurer Zeit hatten, die lockeren Partikel abzuschlagen. In die Risse, die sich dabei bildeten, dringt Wasser; wenn es im Winter friert, könnten sie aufplatzen und die Mauer beschädigen. Also mischten die Architekten dem Beton einen Glimmer bei, dessen feine Partikel bei Nässe wie Seife in die Risse dringen und sie verschlammen lassen: Die Wand heilt sich selbst.

Die Oberfläche der Fassade zieht sich wie ein Leitmotiv durchs Gebäude. Die Stahlbleche, die den Eingang von Verwaltung und Anlieferung verkleiden, haben ihre gewellte Form direkt von der rauen Oberfläche des Betons: ein Bleichblech wurde mit einem Hammer in der Art einer Frottage abgedrückt, eingescannt und gefräst. Das Panel, das man so gewonnen hat, kehrt im Auditorium, das für wissenschaftliche Vorträge bereitsteht, als Wandverkleidung wieder, die mit der violetten Bestuhlung eine aparte Atmosphäre schafft. Die beiden Fensterbänder fressen sich wie millionenfach vergrösserte Risse durch den Beton der Fassade und legen sich mit ihren Stegen und Wellungen dem Blick von innen wie eigene Landschaften vor die Umgebung; technisch wurde ein kleiner Kupferzylinder zusammengedrückt und in Beton abgerollt, die entstehende Form ist am Computer bearbeitet.

Wer den sich so wuchtig verschliessenden Bau durch den Glasschlitz des Haupteingangs betritt, hält erst einmal die Luft an. Hier ist alles Offenheit und Weite. Über die gesamte Höhe von 28 Metern öffnet sich das Gebäude. Das Unter- und Erdgeschoss halten insgesamt satte 3360 Quadratmeter flexibel unterteilbare Fläche für Wechselausstellungen bereit. Hier ist zur Eröffnung die bisher grösste Retrospektive Dieter Roths eingerichtet. Im Untergeschoss befinden sich auch die beiden einzigen fest installierten Werke des Hauses: Für eine Installation Robert Gobers und den «Rattenkönig» Katharina Fritschs käme ein Transport zu teuer. Sie sind hier dauerhaft zu sehen.

Über diesem öffentlich zugänglichen Bereich schneiden drei Stockwerke für die Lagerung der Werke der Emanuel-Hoffmann-Stiftung wie riesige Regalbretter einen rechten Winkel in den Raum. Hier sind auf insgesamt 7240 Quadratmetern in einem Grundraster flexibel erweiterbare Kojen eingerichtet, in denen die Werke der Sammlung, nach Materialien sortiert, präsentiert sind. Jeder Raum ist mit einer Hängetüre verschlossen; Zugang wird nur bei ausgewiesenem Interesse gewährt. Besucher erhalten einen programmierten Schlüssel, der nur die Kojen der angefragten Werke aufschliesst; Aufsichtspersonal erübrigt sich.

Herrscht aussen die biomorphe Opulenz des warm wirkenden Stampfbetons, so entfaltet der Bau im Innern ein betont nüchternes Gepräge. Die Farbigkeit wird durch die Materialien bestimmt. Die Decken und Brüstungen der Lagergeschosse, die sich dem Blick von unten zeigen, sind in Sichtbeton gehalten, die Leuchtstoffröhren, die in ebenmässigem Raster darin eingelegt sind, geben ein reinweisses Licht. Die Böden der beiden Ausstellungsgeschosse bestehen aus sägeroher Eiche wie in der Tate Modern in London. Die Wand über dem Glasschlitz des Eingangs zieht sich in makellosem Weiss wie eine riesige Leinwand über drei Stockwerke.

Allerdings sorgt diese Wand auch für eine subtile Irritation, die die erste minimalistische Anmutung des Innern in ein Spiel verschiedener Haltungen auflöst. Als Stahlfachwerk ausgeführt, trägt sie konstruktiv den ganzen Bau und kann rund einen Meter weit in den Raum hineinragen. Da tritt sie als Diagonale dem rechten Winkel der Lageretagen entgegen und schneidet in den Ecken Zonen aus, deren Winkel sich im hellen Weiss der Wand verlieren. Wie im Traum verliert der Besucher das Gefühl für die Grenzen des Raums. Dessen geometrisch klar geschnittene Form scheint sich aufzulösen, ähnlich wie hoch oben bei den Übergängen zwischen Decke und Wänden, die in den Lichtstreifen der Leuchtstoffröhren verschwimmen.

Digital und archaisch

Diese Magie der Reduktion findet ihr Komplement in biomorphen Details. Decke und Wände des Empfangsbereichs sind von Ausstülpungen in Gips überzogen, die ans Innere einer Tropfsteinhöhle erinnern. Kugelförmige Lampen von Jasper Morrison sind in sie hineingedrückt wie Zuckerbälle in einen Teig. «Wir haben hier den Kupferzylinder für die Fensteröffnungen im Computer wie einen Teigroller in die Fläche ausgerollt», erklärt Harry Gugger. Was wirkt, als sei es direkt aus der Natur abgeleitet, ist ein Produkt von Computer und ausgefeilter moderner Fertigungstechnik. Die klaren Geometrien und die biomorph schwellenden Formen sind verschiedene Erscheinungsformen einer einzigen Methode, für die es keinen grundlegenden Unterschied macht, ob ein Element eine rechtwinklige oder unregelmässige Oberfläche hat; der Rechenaufwand ändert sich, seriell produziert und montiert werden aber beide. Von einer «digitalen Architektur, die zugleich archaisch ist», spricht Jacques Herzog. Vom Empfang fällt der Blick durch ein grosses Glasfenster in die Anlieferungshalle, die direkt dahinter wie ein Kanal durch das Gebäude geschossen ist. Auch wer nur zum Besuch der Ausstellung kommt, darf die Atmosphäre des Lagers spüren.

Das opulente Haus verschliesst sich nicht nur aus konservatorischen Gründen gegenüber seiner Umwelt. Das Schaulager will als Institution eher ein Ort der Forschung und Lehre als des Massenandrangs sein. Dem breiten Publikum öffnet es den Sommer über für den Besuch der einen grossen Ausstellung, die man pro Jahr ausrichten will, seine Türen; für die übrigen acht Monate ist eine Voranmeldung nötig. Willkommen ist dann, wer sich mit den Werken der Sammlung auseinandersetzen will. Künstler, Studenten, Kuratoren können hier ihren Forschungen nachgehen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Basel wurde für die Dieter-Roth-Ausstellung bereits erprobt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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