Bauwerk

Benediktiner Abtei
Giencke & Company - Seckau (A) - 1997

Welt der Mönche

Seckau ist ein schönes Fleckchen Erde. Gerahmt von den Seckauer Alpen, um-geben von satten Wiesen und dominiert von der mächtigen Benediktinerabtei ist der Ort allemal einen Besuch wert. Zur Zeit sind die Tore des Stifts weit geöffnet. Sie geben in einer sehenswerten, von Volker Giencke gestalteten Ausstellung Einblick in „Die Welt der Mönche“, zeigen aber auch seinen sensiblen Umgang mit alter Bausubstanz in den Um- und Zubauten zum Abteigymnasium.

1. Mai 1999 - newroom
Die Gründung des Stifts geht auf 1140 zurück. Von 1280, nach dem Wiederauf-bau der durch Brandstiftung zerstörten Basilika, bis zu der von Josef II. verordne-ten Auflösung im Jahr 1782 war das Augustinerchorherrenstift Sitz der Diözese. Die ursprünglich romanische, gotisch überarbeitete Anlage wurde in der Renais-sance erweitert und erhielt in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts ihr heutiges Aussehen. Nach einer 100-jährigen Periode des Verfalls erfolgte 1883 die Neu-gründung des Klosters durch Benediktinermönche, die aus Deutschland geflohen waren. Sie führen die Abtei mit einer fünfjährigen Zwangsunterbrechung während des Nazi-Regimes bis heute. 1926 installierten sie im Kloster ein Gymnasium. Vor mehr als zehn Jahren entschloss man sich, angeregt durch einen Tiefststand an Schülern, die Schule attraktiver zu gestalten. Man öffnete sie für Mädchen, bot eineTagesheimbetreuung an und die Möglichkeit, zusätzlich ein Handwerk zu er-lernen. Der Erfolg blieb nicht aus. Mittlerweile folgen jährlich mehr Interessenten als aufgenommen werden können dem guten Ruf der Schule.

Rund 270 Schüler und der ruinöse Zustand des Nordtrakts machten die Sanie-rung und Erweiterung des Schulbereichs in einem Umfang notwendig, der die fi-nanziellen Möglichkeiten der Bauherrn überstieg. Eine herausragende architekto-nische Lösung - „wir haben das beste 11.Jahrhundert, das schönste 14.Jahrhundert, die beste Barockarchitektur hier, also müssen wir auch die beste zeitgenössische Architektur anstreben“ (Pater Albert) - stand außer Zweifel. Bund und Land unterstützten das Vorhaben mit je einem Drittel der Baukosten unter der Bedingung, einen Wettbewerb abzuhalten.

Volker Giencke gewann mit einem Konzept, das sich im Gegensatz zu anderen im Wesentlichen auf den Ausbau des Bestands konzentrierte. Er begann mit klei-nen Eingriffen in den Klassenräumen des Westflügels. Decken wurden verstärkt, Garderoben eingebaut, neue Beleuchtungskörper in Zusammenarbeit mit dem Lichtdesigner Bartenbach installiert, Möbel für den Bau in der hauseigenen Tischlerei entworfen. Alle diese Maßnahmen vermeiden das Spektakuläre, sie zeigen Respekt vor dem Vorhandenen und treten dennoch eigenständig als Neu-es hervor.

Massiver sind dagegen die Eingriffe am Nordflügel, auch wenn sie an der Fas-sade zum Arkadenhof nicht in Erscheinung treten. Giencke hat die desolate Dachkonstruktion entfernt, die Böden durch Einziehen einer zweiten Decke entla-stet und darauf ein neues Dach gesetzt. Es beherbergt einen Zeichensaal, der über ein durchgehendes Glasband von Norden belichtet wird und einen atembe-raubenden Ausblick auf die bergige Landschaft bietet neben drei Musikproberäu-men, die mit rauhen, schallschluckenden Betonsteinen isoliert sind. Sparrenunter-sichten bleiben - ungewöhnlich heimelig für Giencke - sichtbar und sprechen mit der einfachen Verglasung zum darunterliegenden Korridor und der roh belasse-nen Ortbetonuntersicht der Decken eine unprätentiöse Sprache. Spielerischer die Lösung zur Verbesserung der Lichtverhältnisse im Physik-/Chemiesaal. Da der Denkmalschutz eine Vergrößerung der Fensteröffnungen nicht ermöglichte wurde eine zweischalige gläserne Trennwand zum Gang errichtet; ihr Zwischenraum enthält ein an Stehleitern erinnerndes Regalsystem, das historisch wertvolle wis-senschaftliche Geräte aus dem Fundus zeigt. Die Reihe der alten Portale mit ihrer wertvollen Steineinfassung stellt der Architekt wieder her, indem er sie bündig in die Glaswand setzt. Daß diese fast manieriert anmutende Geste äußerst stimmig wirkt, zeugt nicht vom Mut Gienckes. Sie beweist seinen unverkrampften, inter-pretativen Zugang zu historischer Substanz, vor der er nicht in Ehrfurcht erstarrt, deren Qualitäten er aber hervorzuheben weiß. Sie zeigt Gienckes Wissen um die Strahlkraft von Materialien und sie läßt seine enorme Vorstellungskraft erahnen, die modernsten Hightech mit geschichtsträchtigen Elementen verbinden kann.

Auf unterschiedliche strukturelle Anforderungen antwortet der Architekt mit pass-genauen Lösungen - den intakten Dachstuhl am Nordostflügel beläßt er und ver-steift die Balken, an denen durch Einfügen einer Galerie stärkere Biegemomente auftreten, mit Stahlplatten. Alle additiven Tragelemente sind in weiß und wirken leicht und freundlich. Am nordöstlichen Ende des Trakts, dort, wo große Teile der Klosteranlage verfallen waren, weil man sie nach Einführung der Dachflächen-steuer abgedeckt hatte, zeigt sich sein Interesse an ungewöhnlichen konstruktiven Lösungen. Er fügt an einen Wandrücksprung der Ecke eine zusätzliche Erschlie-ßung aller Ebenen des Gymnasiums an und haust sie mit einer abgehängten Glasfassade ein. Ihre Aufhängung muß auch das Dach tragen, hat aber kein Eck-auflager. Eine Stütze über drei Geschoße wäre ihm wohl zu massiv gewesen und hätte die Deutlichkeit des Abbruchs gemindert, also überträgt er die Lasten der auskragenden Ecke über einen pyramidalen Bock aus massigen I-Trägern auf das Mauerwerk. Die daraus entstehende Raumwirkung unter Dach ist äußerst pla-stisch, wirkt jedoch auch sehr aufwendig.

Ganz in seinem Element ist Giencke beim Entwurf des neuen Turnsaals, der halb in die Erde gesenkt ist. Mit der selbstbewußten Haltung eines Solitärs, an keine stilistischen Vorgaben gebunden, wächst er an der Nordfassade aus einem bestehenden Nebengebäude, greift aus in die ländliche Umgebung. Daß er diese nicht verdrängt - im Gegenteil, die Wiesen scheinen durch ihn durchzufließen - liegt an Gienckes Lust und Können, Material und Konstruktion ganz auszureizen. Er entwickelt eine vorgehängte, an den Ecken abgerundete und horizontal geglie-derte Nurglasfassade als weiche Membran, die den auftretenden Windkräften nachgeben kann und sie dämpft. Drückt man gegen sie, gerät sie in sanften Wel-lenbewegungen ins Schwingen. Sie weckt Assoziationen an jene filigranen wind-schlüpfrigen Verglasungen der Dreißigerjahre, an Transparenz und Leichtigkeit, die in italienischen Ferienheimen an der Adria genauso zu finden war wie in der Freiluftschule des holländischen Architekten Duiker in Amsterdam, den Giencke außerordentlich schätzt. Die Umkleiden und Sanitärräume, die unter den ausge-höhlten Schuppen (der zur Jugendherberge ausgebaut werden soll) geschoben sind und das extensiv begrünte Flachdach des Turnsaals - es wirkt von oben ge-sehen wie unter der Traufe des Satteldachs hervorgerollt - provozieren fast vor-dergründig die Metapher vom Neuen, das aus Altem wächst.

An der sensiblen Aufgabe der Neugestaltung des großen Klosterhofs, der mit seinen eindrucksvollen Renaissancefassaden und den nach einem Einsturz neu aufgebauten neoromanischen Türmen der Basilika an einen allseits umschlosse-nen italienischen Campo erinnert, wird Gienckes Handschrift am deutlichsten er-kennbar. Er findet ein ebenes, auf das Eingangsniveau bezogenes Areal vor, das den Kirchenvorplatz zu einem knappen Einschnitt werden läßt, erreichbar über enge Stufen. Und er formt daraus eine begrünte städtische Landschaft, ein sanft geneigtes Terrain, das einen ebenen Festplatz enthält und durchzogen ist von gekurvten Wegen, die verschiedene Hauptrichtungen aufnehmen - temporär auch den roten Holzsteg zur Ausstellung. Der Zugang zur Basilika wird hervorgehoben durch eine großzügige amphitheatralisch angelegte Treppe mit Sitzstufen, die das Portal zum Bühnenprospekt werden läßt (Jeder am Land Aufgewachsene weiß, wie strategisch wichtig ein guter Überblick über die Kirchenpforte ist). Andere wä-ren dazu verleitet gewesen, der strengen, durch Symmetrie und Orthogonalität bestimmten Form des Innenhofs mit Rigidität und Raster zu antworten. Nicht so Giencke! In seiner Lösung spiegeln sich Einflüsse von Merete Mattern, der deut-schen Landschaftsplanerin, mit der Giencke nach dem Studienabschluß arbeitete. Sie entwickelte die Arbeit ihres Vaters Hermann Mattern, der mit Scharoun arbei-tete, weiter im Sinne einer freien Planung, in der Begriffe wie Beweglichkeit, Flexi-bilität und Asymmetrie wesentlich waren. Giencke scheint das Gelände im Arka-denhof gleichsam händisch zu formen - die Landschaft wird zum modellierten Körper.

In Seckau hat Giencke wieder bewiesen, daß man ihn nicht als Modernisten ab-stempeln kann. Wohl liegt sein besonderes Interesse an der Klarheit strenger Geometrie, an der Konstruktion und ihrer Verfeinerung und Präzisierung und an Materialien (und deren Ausreizung), die heutig sind und somit dem Fortschritts-streben entsprechen. Dennoch pendelt seine Arbeit immer zwischen einfacher orthogonaler Form im Corbusier’schen Sinn (siehe Wohnbau Carl-Spitzweg in Graz St.Peter) und plastisch betonter Form (Kirche in Aigen im Ennstal und Cho-ralraum in der Ausstellung „Die Welt der Mönche“, Seite 145 - 148) hin und her. Mit diesem geglückten Bauvorhaben über Jahre widerlegt er auch seinen Ruf als „angry young man“ der steirischen Architekturszene, der kompromißlos, ohne Rücksicht auf Verluste seine Ideen durchzieht.

Giencke versteht es, seinen Eingriffen in alte Substanz eine eigenständig sich behauptende Handschrift zu geben und er scheint dabei immer dem Suchen und Forschen nach einer zeitgemäßen Architektursprache verpflichtet. Den Dialog mit dem Vorhandenen nimmt er in einer ungezwungenen erfrischenden Weise auf, die nicht respektlos ist und dennoch unerwartete räumliche Wirkungen erzeugt. Auf diese Weise fügt er der 860-jährigen Baugeschichte der Abtei eine Schicht hinzu, die würdig ist, in die Annalen von Seckau einzugehen.

Temporäre Wunder

Auch die Gestaltung der überaus gut besuchten Ausstellung „Die Welt der Mön-che“ (geöffnet täglich von 10 bis 17Uhr bis 26.Oktober) wurde Volker Giencke übertragen. Erstmals öffnen die Mönche ihr Refugium und erlauben einen Einblick in ihr klösterliches Leben. Was sie uns näher bringen wollen, das geistlich-spirituell geprägte Leben in der Gemeinschaft und die ökonomische Ausrichtung ihres Betriebs - ora et labora ist der Wahlspruch des heiligen Benedikt - zeigen sie in Räumen, die auch ohne jegliche Gestaltung Kraftorte wären. Die Ausstel-lungsarchitektur ist daher im Wesentlichen sehr zurückhaltend, sie läßt die ge-wölbten Räume zur Geltung kommen und erfüllt mit wenigen, sparsamen Eingrif-fen ihren dienenden Charakter. Einfache holzbeplankte rote Rampen und Stufen-podeste unterstreichen die Wegeführung und machen die Ausstellung behinder-tengerecht, ein Leitsystem in Form von gläsernen Stelen erklärt Inhalt und Be-deutung der Schauräume und rahmenlose Glasvitrinen auf zarten roten Holzsok-keln finden überall dort Verwendung, wo wertvolle Exponate geschützt werden müssen. So weit, so gut.

Der Besucher folgt dem Plan, hält kontemplative Rast im wunderschönen Kreuz-gang, umgeben von Vogelgezirpe, und erfährt in Raum 9 „Ora-bete!“, daß das Chorgebet in Seckau wesentlich vom Gregorianischen Choral geprägt ist. Er geht einige Schritte durch einen schmalen rot beplankten Gang - irritiert und neugierig zugleich - und erlebt hautnah die archaische Kraft Gregorianischer Gesänge in einem Raum, der ihn augenblicklich in Bann zieht. Die komplexe Geometrie des asymmetrischen Choralraums, den Giencke um weniger als 200.000 Schilling in den dritten Innenhof gesetzt hat, ist schwer zu erfassen. Und das ist auch gar nicht notwendig, wesentlich ist die Wirkung des Raumes. Durch die horizontalen Fugen der roten Holzbeplankung in ihren vielfach geknickten Flächen strömt ein fernes warmgelbes Licht ein, bringt den Raum mit den in der Decke verborgenen Lautsprechern zum Klingen. An dieser meisterlichen Raumplastik zeigt Giencke, was er von seinem großen Vorbild Scharoun gelernt hat. Wie bei diesem gibt es bei Giencke zuerst die Vision einer Raumwirkung, die dann umgesetzt werden will, steht Wollen und Sehnsucht nach einem Raum, „in dem Überraschung pas-siert“ (Zitat Giencke) am Anfang. Bakema hat in Bezug auf Scharouns Berliner Philharmonie vom Wunder des totalen Raums, in dem alles entsteht und wird, gesprochen. Giencke ist in Seckau, an diesem Ort mit besonderem Geist, dem Wunder sehr nahe gekommen.

[Erschienen in Architektur & Bauforum 5/1999]

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