Bauwerk

Franz-Liszt-Konzerthaus
Atelier Kempe Thill, Brands United - Raiding (A) - 2006
Franz-Liszt-Konzerthaus, Foto: Ulrich Schwarz
Franz-Liszt-Konzerthaus, Foto: Ulrich Schwarz

Ohne Prunk und Pomp

Franz Liszt reiste viel, doch lebte er bescheiden. Morgen eröffnet das neue Franz-Liszt-Zentrum in Raiding: eine schlichte Konzertkiste aus niederländischer Feder.

14. Oktober 2006 - Wojciech Czaja
Ein sonniger Herbsttag im Mittelburgenland. In der Auslage der Bäckerei „Raidinger Brotstadl“ am zentral gelegenen Franz-Liszt-Platz wird das Franz-Liszt-Törtchen - ein Süßgebäck aus Haselnüssen und Marmelade - für 1,60 Euro angeboten. Neben dem Schanigarten prangt auf einem Sockel das steinerne Haupt des Komponisten. Franz Liszt, das berühmteste Kind Raidings, scheint also nicht weit zu sein. Und wahrlich: Hinter der Mauer, die entlang dem plätschernden Rinnsal verläuft, bestätigt sich die Vermutung. Rosenumrankt und mitten im grünen Dickicht eines mit Liebe gehegten Gartens steht ein kleines, weiß verputztes Schmuckkästchen. Es ist das Geburtshaus des fleißig vermarkteten Romantikers.

Zu seinem heurigen 120. Todestag hatte man sich Großes vorgenommen. Die kleine Gemeinde Raiding mit ihren knapp tausend Einwohnern wollte das Geburtshaus zu einem Franz-Liszt-Zentrum ausbauen. Was dazu noch fehlte, war - selbstredend - eine Konzerthalle. Zu diesem Behufe wurde ein EU-weiter Wettbewerb ausgeschrieben, den Zuschlag bekam das niederländische Architekturbüro Atelier Kempe Thill.

„Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben“, sagte einst der weit gereiste Liszt. Die Architekten Andre Kempe und Oliver Thill scheinen dieser Tradition gefolgt zu sein. Denn wie es sich für hochrangige Architektur offensichtlich gehört, sind die Connaisseurs des Fachs begeistert, wohingegen das Volk noch ein bisschen damit kämpft, sich das neue Konzerthaus anzueignen. „In unserer ländlichen Struktur ist moderne Architektur dieser Art eine Seltenheit“, erzählt Gemeinderätin Elisabeth Ackerler. Christian Zimmer, Objektbetreuer und sozusagen der gute Geist des Hauses, setzt hinzu: „Einige Leute haben es zähneknirschend zur Kenntnis genommen.“

Mit der Aufklärung kommt die Akzeptanz. Vergangenes Wochenende gab man sich ein Stelldichein in Form eines Tages der offenen Tür, am morgigen Sonntag wird schließlich feierlich eröffnet. Dann werden sich zum ersten Mal die riesigen Drehtore öffnen und die 600 Besucher, die der Saal fasst, ins Innere des blitzblanken Gebäudes einlassen.

Auf den ersten Blick macht sich gähnende Langeweile breit. Der kreative Urknall, den man von niederländischen Architekturkollegen kennt, bleibt aus. Stattdessen steht da eine weiße Kiste mit großen Fenstern und Türen aus Holz. Ein Haus ohne Details und ohne Maßstab, das war's. Ja, man ist geradezu verleitet zu glauben, anstelle einer Fotografie ein CAD-Rendering aus der Feder eines angehenden Architekturstudenten vor Augen zu haben. Doch das schlichte Bild ist Realität. Und das irritiert.

Ähnlich wie der bucklig gewölbte Putz des alten Geburtshauses schimmert auch das Konzertgebäude mit Schattenspielen im Sonnenlicht. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die vermeintliche Putzfassade als Hightech-Material, das in Österreich nur selten anzutreffen ist: Über das gesamte Haus wurde eine homogene Haut aus Polyurethan-Spritzguss gelegt. Ein wenig erinnert die unebene Fassade an die Unterseite eines Tretbootes. Während man in den riesigen Panoramafenstern Glas vermutet, entpuppen sich diese als massive Platten aus Plexiglas. Bis zu fünf Tonnen wiegt so ein durchsichtiges Teil, das in einem Stück auf die Baustelle geliefert wurde. Aus Glas wäre ein fugenloses Fenster dieser Größe nie und nimmer möglich gewesen. Seine Vorteile erklären sich spätestens dann, wenn man im Foyer steht und durch das Fenster Liszts Geburtshaus in mächtiger Präsenz wahrnimmt.

„Das ist wahrscheinlich das einfachste Kulturgebäude, das in Europa in letzter Zeit gebaut wurde“, erklärt Architekt Oliver Thill gegenüber dem Standard. „Die Geldmittel waren knapp, große architektonische Gesten waren daher nicht möglich.“ Wenn die materiellen Ressourcen beschränkt sind (5,55 Millionen Euro Nettoherstellungskosten für das gesamte Areal), dann konzentriert man sich eben auf den immateriellen Wert der Architektur. In diesem Falle ist dies die Tradition des lokalen Bauens. „Ländliche Architektur ist ein großer Indikator für den Geist eines Landes, und die Baukultur im Burgenland ist historisch bedingt sehr reichhaltig.“

Das Herzstück des Gebäudes ist der Konzertsaal. Kein österreichischer Architekt hätte sich je getraut, sich an die Bauaufgabe in solch hölzernen Schritten heranzuwagen. Was die Architekten aufgrund der klassischen Proportionen als „Schuhdose“ bezeichnen, entfacht beim Besucher den Eindruck, als stünde man im überdimensionalen Resonanzkörper eines Cellos oder eines Klaviers - oder mitten in einer hochalpinen Zirbenstube. Ist das regionale Architektur?

„So etwas würden wir bei uns zu Hause niemals hinstellen“, erklären Kempe und Thill, „in den Niederlanden gibt es nämlich überhaupt keine Holzkultur.“ Warum man sich im Burgenland - dermaßen holzig empfindet sich wohl kein Burgenländer weit und breit - dann dennoch in vollen Zügen dem Holze hingegeben hat, hat einfache wie pragmatische Gründe: Die Akustik in einem hölzernen Saal komme am ehesten jenen Räumen nahe, in denen auch Liszt einst seine kammermusikalischen Künste zum Besten gegeben hat. Mit dem Münchner Akustik-Guru Karlheinz Müller wagte man sich an die Aufgabe heran, einen Konzertsaal ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts hochzuziehen, als Architektur und Akustik noch in unzertrennlicher Symbiose vereint gewesen waren.

Anstatt sich mit unbeholfenen Paneelen, Verkleidungen und Gegenschall-Anlagen herumzuplagen, wollte man in Raiding Bauen und Musizieren endlich wieder zusammenführen. Das Resultat ist ein Raster aus Holzleimbindern und Kassetten, die an den Wänden und an der Decke kaum merklich dreidimensional gekrümmt sind. Unter Verwendung von rein architektonischen Mitteln wird eine Akustik geschaffen, die völlig ohne technische Hilfsmittel auskommt. Für Kammermusik sei der Klang schlichtweg berauschend, heißt es. Es wird gemunkelt, dass es sich dabei um einen der weltweit besten Säle handelt. Einige Tonaufnahmen haben hier bereits stattgefunden, andere werden bald folgen.

Ständig wird der Architektur abverlangt, sie möge doch bitte nicht nur zum Schauen da sein, sondern auch all die anderen Sinne ansprechen. Hier ist sie, die Herausforderung, die Franz-Liszt-Halle primär mit den Ohren und nur sekundär mit den Augen zu erfassen. Schön ist sie in beiderlei Sinne, doch im ersteren ganz besonders. „Liszt ist zurückgekehrt“, zeigt sich Raidings Bürgermeisterin Anna Schlaffer stolz. Als Würdigungsstätte wird das Gebäude bestens dem Andenken Franz Liszts gerecht. Schon Jahre vor seinem Tod hatte sich der romantische Komponist Gedanken zu seinem höchst unromantischen und bescheidenen Abschied gemacht: „Ich wünsche, bitte und befehle nachdrücklichst, dass meine Bestattung ohne Prunk geschehe, so einfach und schlicht wie möglich. Keinen Pomp, keine überflüssige Beleuchtung.“

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