Bauwerk

Living Roof I
SQUID - Wien (A) - 2005
Living Roof I, Foto: SQUID office for architecture  design
Living Roof I, Foto: Michael Nagl

Alte Gaupe in neuer Tracht

Meistens wird das Wohnen im Dachgeschoß von einem kleinteiligen Fensterhäuschen namens Gaupe beeinträchtigt. Dass eine Gaupe aber auch mit ganz anderem Kaliber auffahren kann, beweist eine zukunftsträchtige Aufstockung der Squid-Architekten.

24. Februar 2007 - Wojciech Czaja
Manche Menschen werden vom Glück verfolgt. Herr O., seines Zeichens Industriedesigner und Lehrer desselbigen Fachs an der HTL Ferlach, befand sich auf Wohnungssuche in Wien und antwortete auf ein recht unspektakulär klingendes Inserat in der Tageszeitung. Nüchtern wurde darin eine „Dachgeschoßmaisonette beim Margaretenplatz, 90 Quadratmeter, mit Dachterrasse und Atrium“ angeboten. Ein Anruf, eine Besichtigung, den Rest kann man sich denken.

Was Herr O. zu sehen bekam, war alles andere als eine herkömmliche Dachmaisonette. Vielmehr handelte es sich dabei um ein futuristisches Cockpit in der sonst recht schnöden Dachlandschaft über Wien. Architekt Gundolf Leitner vom Architekturbüro Squid, der für die Aufstockung verantwortlich zeichnet, erinnert sich an die ersten Gespräche mit der Baupolizei MA 37 zurück: „Aufgrund der Ecksituation des Hauses hat sich die Stadt Wien an dieser Stelle mit allen Mitteln einen Eckturm gewünscht.“ Doch die Architektur der Nullerjahre will nicht gemäß alten Vorbildern geschichtsträchtig emporsteigen, sondern will dynamisch in die Breite flitzen. Leitner: „Schließlich konnten wir die Baupolizisten davon überzeugen, dass wir nicht historisch, sondern futuristisch bauen wollen.“

Spleen für die Sixties

Das Resultat ist ein breiter Panoramamonitor - definitionsgemäß handelt es sich dabei um eine schlichte, blechverkleidete Gaupe -, der wie ein Breitmaulfrosch in der Dachschräge sitzt. Was sich von außen bereits erahnen lässt, findet im Innenraum seine Bestätigung: Der Architekt lebte mit diesem Projekt seinen ausgeprägtes Spleen für die Sechzigerjahre aus. Ecken und Kanten finden sich in dieser Wohnung nur spärlich, denn die meisten Wände sind von nahtlosen Rundungen gesäumt. Unweigerlich fließt ein Raum in den anderen, das Auge kommt erst gar nicht auf die Idee, Enge zu verspüren.

Nicht von ungefähr liegt das auch an der Tatsache, dass die Zimmertrennwände nicht bis zur Decke reichen, sondern in einer Höhe von etwa 2,20 Metern ein Ende finden. Leitner: „Wir haben zwar angedacht, die so entstandenen Deckenschlitze nachträglich mit Glas zu schließen, wenn dies die Bewohner wünschen, doch dieser Wunsch wurde bisher nicht geäußert.“ Und somit bilden Wohnküche, Schlafzimmer und Bad, die sich allesamt in der unteren Etage befinden, nicht nur ein optisches, sondern auch akustisches Kontinuum. Herrn O. stört's nicht.

Gelb ist die Helligkeit

Der Vorteil dabei: Da das Tageslicht durch die glaslosen Oberlichten in die Wohnungsmitte eindringen kann, ist das Vorzimmer den ganzen Tag über lichtdurchflutet. Reflektiert wird das Licht zusätzlich durch den hellen Boden - nichts anderes als handelsübliche OSB-Holzwerkstoffplatten, die nachträglich lackiert wurden. Die Oberfläche glänzt und pendelt sich auf der Farbskala irgendwo zwischen Zitrone und Vanillesauce ein.

Auf dem Weg ins Obergeschoß fällt ein Stück originales Architektenwerk auf. Denn das Geländer der Treppe ist kein alleiniges Werk des Schlossers, sondern auch eine Signatur von Squid. Das drahtige Flechtwerk - eine Art Architektenspinnennetz - hat Gundolf Leitner eigenhändig durch die Ösen gezogen. „Bei solchen Details kann man keinem Professionisten erklären, wie man es eigentlich haben möchte. Da hilft nur, selbst Hand anzulegen.“ Erst einmal angekommen, wandert man sehnsüchtig zur halb rund ausgeschnittenen Glasfassade - und befindet sich mitten in der Gaupe. In diesen Rundungen und Wölbungen entfalten sich die Sechziger in voller Blüte.

Und was sagt Herr O.? „Die erste Reaktion war hysterisch, auf Anhieb habe ich mich von der Formgebung und Struktur der Wohnung angesprochen gefühlt. Und ich wusste: Diese Wohnung muss ich haben.“ Gesagt, getan. Eingerichtet ist die Wohnung übrigens vollends in Weiß: eine Parade an Designerstücken von Patricia Urquiola bis Eero Aarnio. Herr O.: „Für die Mischung aus Alt und Neu habe ich nichts übrig. Wenn schon Sechziger, dann auch radikal.“

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