Bauwerk

Orgel Basilika Mariazell
Susanne Fritzer, Wolfgang Feyferlik - Mariazell (A) - 2000

Kill Speed

In einer Jahrhunderte alten, großen Wallfahrtskirche lagern sich die baulichen Eingriffe verschiedenster Perioden lesbar in Schichten ab.

29. Januar 2003 - Matthias Boeckl
In einer Jahrhunderte alten, großen Wallfahrtskirche lagern sich die baulichen Eingriffe verschiedenster Perioden lesbar in Schichten ab. Sie reflektieren das kontinuierlich erneuerte religiöse Verständnis in seiner baulichen Fassung.

Auf Initiative der neuen geistlichen Führung des Wallfahrtsbetriebs ergänzt und verbessert nun eine aktuelle Interpretation der Liturgie im Altarbereich der Basilika und eine auch denkmalpflegerisch subtile Anpassung des benachbarten geistlichen Wohnhauses an heutige Bedürfnisse die historischen Sedimente.


Langer Atem gefordert

Wie in allen bedeutenden und großen historischen Baukomplexen ist auch im kirchlichen Bereich die langsame Anpassung an aktuelle Nutzungsanforderungen eine zähe Angelegenheit, die dem Architekten ein Höchstmaß an Geduld, Einfühlungsvermögen und geschickter Kommunikation mit dem Bauherrn abverlangt.

Hier winkt nicht der Ruhm eines in Schnellschüssen erreichten spontanen Geniestreichs, sondern nur das beharrliche und bedächtige Voranschreiten über viele Jahre hinweg. Kontinuierlich auf ein Ergebnis hinzuarbeiten, das dann letztlich als Selbstverständlichkeit, nicht als spektakuläre Architektur-„Intervention“ erscheint, ist hier das tägliche Brot des Planers. Und es ist keineswegs ein trockenes, wie manche meinen, sondern ein saftiges, opulentes Eintauchen in kulturelle und religiöse Werte vergangener Jahrhunderte, die noch sehr lebendig sind und unter der Hand des Architekten auch in heutigen Zeiten aufblühen können.

Wie in allen anderen Bauaufgaben spielt aber auch hier der Bauherr eine entscheidende Rolle. In großen Institutionen kann seine leitende Funktion leicht hinter Gremien und verschachtelten Zuständigkeiten verschwinden - das gilt für Wirtschaftsunternehmen ebenso wie für Staat und Kirche. Gibt es jedoch eine engagierte Führungskraft, die das Weiterbauen am Betrieb zur Kernaufgabe des Managements macht, dann gibt es - Fortschritt!


Neue Besen

Als 1991 ein neuer Superior für die, vom Benediktinerstift St. Lambrecht in der Steiermark seit ihrer legendenumwobenen Entstehung 1197 als Filialbetrieb betreuten, weitaus größten Wallfahrt Österreichs eingesetzt wurde, war das alte Wohnhaus der Mönche schon ein Sanierungsfall. Zudem war die Pilgerfrequenz nach der Ostöffnung sprunghaft angestiegen - Mariazell ist immer noch eine Art zentrale Wallfahrt für alle Länder der ehemaligen Habsburgermonarchie - und erforderte in Basilika und Wallfahrtsadministration grundlegende Neuerungen.

Der neue Superior Pater Karl Schauer, für Architekturfragen im Umkreis des kunstsinnigen Bischofs Egon Kapellari sensibilisiert, trat mit kleinen Umbauideen zunächst an Hubert Riess heran, der diesen „Auftrag“ an Wolfgang Feyferlik weitergab. Der erarbeitete 1992 gemeinsam mit Georg Giebeler eine Studie, die nun bis 2007 nach und nach umgesetzt werden soll.


Komplexe Anforderungen

Das „geistliche Haus“ ist ein historisch gewachsenes Konglomerat verschiedenster Funktionen. Der behäbige, breit hinter der Basilika lagernde, Bau dient nicht nur den Mönchen von St. Lambrecht, die hier den Wallfahrtsbetrieb organisieren und geistlich betreuen, als Wohnhaus mit Hauskapelle, sondern auch als Büro für ihr Superiorat, der lokalen Pfarre als Amtssitz, beiden gemeinsam als Archiv und Depot sowie dem Bischof und anderen hohen geistlichen Würdenträgern als repräsentatives Pied-a-terre.

Mit dieser Aufzählung sind vermutlich längst nicht alle Funktionen dieses hybriden Baus genannt, der schon seit Jahrhunderten, längst vor Erfindung des Architekturjargons, allen möglichen Zwecken „generic spaces“ zur Verfügung stellt.


Neuorganisation

Die Aufgaben der Architekten bestanden hier vor allem in der Sanierung, Neuorganisation und Einrichtung der Innenräume. Der Reihe nach wurden ein Aussprachezimmer, der Gebetsraum, zehn Wohnräume mit eingestellten Nasszellen, eine Studiengalerie für Votivbilder, ein anstelle der ehemaligen Geschoß-WCs eingestellter „Bäderturm“, eine Bibliothek, die Prälatur (repräsentative Wohnräume für Abt, Bischof u.ä.), das Superioratsbüro, die Pfarrkanzlei, der Dachboden mit Archivräumen sowie im Untergeschoß ein Veranstaltungsraum für Pilger eingerichtet.

Die Räume der Geistlichen sollten im südlichen Trakt konzentriert und um den Innenhof (in dem noch ein unschöner Einbau vergangener Jahrzehnte steht) halböffentliche Zonen situiert werden. Die letzte Ausbaustufe sieht vor, dass der Innenhof vom Zubau befreit und von neuen Galerien gefasst wird.


Zeitgemäße Liturgie

Den Auftrag zum Umbau des Altarraums der Basilika nahm Feyferlik erst nach reiflicher Überlegung an. In seinem Sanierungskonzept von 1992 war nur die für Reliquien vorgesehene Turmkammer angesprochen worden, der 1693 bis 1704 von keinem Geringeren als Johann Bernhard Fischer von Erlach errichtete Hochaltar hingegen erschien eher als Arbeitsgebiet der hier erfolgreich und engagiert tätigen Restauratorin Erika Thümel und einer eigens eingerichteten Liturgiekommission.

Im 20. Jahrhundert war der Altarbereich zweimal umgestaltet und dabei unter anderem auch der markante Tabernakel in Form einer Weltkugel von Fischer von Erlach versetzt worden. Clemens Holzmeister hatte später das Presbyterium neu eingerichtet.

Superior Pater Karl wünschte ursprünglich eine sofortige und radikale Umgestaltung durch Feyferlik, 1997 entschied jedoch die Liturgiekommission, einen geladenen Wettbewerb mit einer Handvoll Architekten aus der Region für die Umgestaltung des Altarbereichs samt Orgel auszuloben, den Feyferlik für sich entschied.


Arbeit am Altar

Das Wettbewerbsprojekt sah einen Altarblock aus Paraffin vor, ein Material, das der Kommission jedoch unangemessen erschien. Feyferliks alternativer Vorschlag, den deutschen Bildhauer Ulrich Rückriem mit der Anfertigung des Altars zu beauftragen, wurde jedoch umgesetzt.

Die übrigen Möbel entwarfen die Architekten selbst, und wie schon im Geistlichen Haus waren alle Maßnahmen auf Klärung und Herausarbeiten der originalen Charakterzüge des Baus ausgerichtet: Die rezente Marmorierung der Wände wurde weiß abgedeckt, die störenden Buntfenster hinter dem Kruzifix am Hochaltar von einer weißen Textilbespannung ausgeblendet, die Bodenfläche des Presbyteriums klar definiert und vor allem eine neue Orgel gestaltet.


Architektonische Antithese

Otto Kapfinger hat in einer Beschreibung der fünfzehnjährigen Kampagne zur Sanierung und Adaptierung von geistlichem Haus und Basilika von Mariazell die Formel „Kill Speed“ geprägt, um auf eine angemessene Geschwindigkeit solch komplexer Vorhaben hinzuweisen, die im radikalem Kontrast zum modischen „Speed Kills“-Eifer selbsternannter „Sanierungsprofis“ steht. Nach mehr als 800 Jahren Wallfahrtsbetrieb am Platz ist auch keinerlei Hektik angebracht - denn die Interventionen von Feyferlik/Fritzer haben schon nach kürzester Zeit ihre positive Wirkung bewiesen, die im Endausbau noch gesteigert sein wird.


[Den ungekürzten Originalbeitrag von Matthias Boeckl finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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