Bauwerk

Orgel Basilika Mariazell
Susanne Fritzer, Wolfgang Feyferlik - Mariazell (A) - 2000
Orgel Basilika Mariazell, Foto: Paul Ott
Orgel Basilika Mariazell, Foto: Paul Ott

Im Anfang war Tatendrang

Es gibt sie doch, die kleinen Wunder an Fortschrittlichkeit in Österreichs katholischer Kirche. In der Basilika Mariazell hat frischer Geist bauliche Adaptionen ermöglicht, die die geschichtsträchtige Wallfahrtskirche um eine würdige zeitgemäße Schicht bereichern.

27. Januar 2001 - Karin Tschavgova
Wer meint, Denkmalschutz bedeute ein Konservieren für immer und ewig, denkt zu kurz. Das Gefrieren eines Moments, der mehr oder weniger willkürlich einen Zeitpunkt in der Geschichte eines Objekts markiert - nämlich den, der es durch einen Beschluß des Konservators zu erhaltenswerter Bedeutung erhebt -, würde Stillstand bedeuten und Absterben.

Denkmalschutz muß ein dynamischer Prozeß sein, der in immer neuen Kapiteln fortgeschrieben wird. Er darf sich nicht damit begnügen, zu definieren, welche Zeitschichten aus der Vergangenheit schützenswert sind, sondern muß Veränderungen bewerten und zulassen. Solche Eingriffe sind Erfordernisse der Zeit mit sich wandelnden Ansprüchen, die es in allen Epochen an allen kunsthistorisch bedeutsamen Bauwerken gegeben hat. Der „reine Stil“ ist ein theoretisches Konstrukt.

Die Baugeschichte der Basilika von Mariazell gibt davon beredtes Zeugnis. Um den mittelalterlichen Kern mit der Gnadenkapelle und dem zentralen Gnadenbild entwickelt sich ein dreischiffiges gotisches Langhaus, das in einer ersten Phase der Barockisierung durch Seitenkapellen erweitert wird. Durch den Bau des Osttrakts mit dem prächtigen Kuppelraum und dem kühnen Hochaltar von Fischer von Erlach erfährt die Erneuerung einen unübertroffenen Höhepunkt. Der heute immer stärker werdende Zustrom von Pilgern aus ehemaligen Kronländern, für die Mariazell geistliches Zentrum geblieben ist, hat den Wunsch geboren, im Osttrakt wieder Messen zu feiern - gemäß dem nachkonziliaren Verständnis von Liturgie. Als erster Schritt sollte eine eigenständige Orgel für den Kuppelraum das unzureichende Orgelfernwerk ersetzen.

Zu diesem Zeitpunkt kam die gute Zusammenarbeit mit dem Grazer Architekten Wolfgang Feyferlik zum Tragen, der bis dahin auf Basis eines von ihm erarbeiteten Generalplans mit Umbauten am geistlichen Haus betraut war. Er leitete aus dem zu erwartenden räumlichen Volumen der neuen Orgel ein Konzept ab, das dem barocken Raum die neuen Funktionen einschreibt, ohne Proportionalität und Ornamentik zu beeinträchtigen oder sie zum verwischten Bestandteil desselben zu machen. Den schwierigen Spagat zwischen eigenständiger Behauptung und notwendiger Integration löste er durch die Entscheidung, alles Neue in Form und Material zwar deutlich ablesbar zu machen, die einzelnen raumbildenden Elemente wie die Orgel und den Volksaltar jedoch kompositorisch mit den sie umgebenden Bauteilen zu verweben. Die Orgel wird wie eine Plastik betrachtet, die sich in die Geometrie der Wandfläche mit Stuckrahmen, Gesimsen und Durchbrüchen einfügt.

Aus dem unterschiedlichen Zugang von Orgelbauer und gestaltgebendem Architekten wird ein Korpus, der die klassische Fünfgliedrigkeit der Pfeifen in asymmetrische Falten kleidet. So entsteht der Eindruck geringerer Tiefe und eine imaginäre Schräge, die zum Hochaltar weist. Das Altarpodest ist als klar abgesetzte zweite Ebene in monochromen großformatigen Steinplatten über den unschönen Fliesenboden aus der Ära der historisierenden Umbauten des 19. Jahrhunderts geschoben. Es reicht in den Kuppelraum hinein, um dem neuen Altar vor dem Presbyterium Raum zu geben. Dieser, ein vom bekannten deutschen Bildhauer Ulrich Rückriem ausgewählter Steinblock aus Anröchter Dolomit, ist nur minimal bearbeitet. Für den Ambo schichtet der Architekt zentimeterstarke Stahlplatten mit unscharfen Kanten übereinander. In seiner fast archaischen Schlichtheit stellt der neue Liturgiebereich ein Ganzes dar, das mit dem nun dahinterstehenden Hochaltar, einem Hauptwerk hochbarocker Altargestaltungen in Österreich, nicht konkurriert.

Im Rahmen der Gesamtrenovierung des Osttraktes hat ein kompetentes Team unter der Leitung der Restauratorin Erika Thümmel den Altar, der durch schwerwiegende Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte seiner Kraft und Theatralik beraubt war, behutsam wiederhergestellt. Auf der Basis archivalischer Quellen und alter Stiche wurden gravierende Eingriffe in das formale und inhaltliche Kon- zept zurückgenommen, sodaß der bewußte Gegensatz von irdischer Schwere und himmlischer Transzendenz, ein Charakteristikum im Werk Fischer von Erlachs, wieder hervortritt. Diese Arbeit ist Teil eines Konzepts, das nicht ängstlich auf dem Status quo verharrt und das zu Konservierende auch nicht nach seinem Marktwert beurteilt, sondern gleichermaßen achtsam wie eigenständig Bedeutung und Charakteristik jedes Gegenstands zur Geltung bringt. Besonders schön ist das in den beiden Turmaufgängen zu sehen, die nun die umfangreiche Samm- lung an Votivbildern und Votivgaben beherbergen. Mit einer „barocken Hängung“ - Bild an Bild an den riesigen Wänden - hebt die Restauratorin/Künstlerin diese einfachen Gegenstände in ihrer Bedeutung als rührendes Zeugnis von Frömmigkeit und Alltagskunst hervor.

Im Südturm selbst hat Wolfgang Feyferlik schon zuvor mit wenigen, sparsam gesetzten Elementen aus dem eindrucksvollen Raum eine intime Gebetsstätte gemacht, in der auch die Reliquien aufbewahrt werden. Ein Stahltragrost als neue lichtdurchlässige Ebene, eine formal überzeugende Stahltreppe, die von innen beleuchtete Wandscheibe aus mattiertem Glas, die sie begleitet, und minimalistische Geländer bilden ein stimmiges Ambiente, das mit der Geramb-Rose für vorbildliches Bauen ausgezeichnet worden ist.

Man hat den Eindruck, die Arbeit des Architekten kann sich schrittweise, ohne qualitätsmindernden zeitlichen Druck entwickeln, unter Wahrung von Autonomie und gegenseitigem Respekt. Ein „work in progress“, dessen Ende nicht absehbar ist. Und ein Glücksfall. Fazit? - Manchmal werden innerkirchliche Reformen unspektakulär vollzogen, getragen von Einzelkräften mit dem klugen Wissen, daß Beharren auf dem Ist-Zustand Stillstand und damit Entseelung bedeutet. Was im Superiat Mariazell seit einigen Jahren zugelassen wird, beseelt. Beste Voraussetzung dafür, daß die Kirche zum lebendigen Ort geistlicher und geistiger Auseinandersetzung wird.

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