Bauwerk

Akropolis-Museum
Bernard Tschumi Architectes, Micheal Photiadis - Athen (GR) - 2008

Akropolis, die zweite

Letzte Woche wurde in Athen das neue Akropolis-Museum eröffnet. Bernard Tschumi ist ein Hechtsprung zwischen Antike und Gegenwart geglückt.

27. Juni 2009 - Wojciech Czaja
Die griechische Hauptstadt ist im Ausnahmezustand. Während die eine Hälfte der Athener über die Engländer herzieht, weil das British Museum das lang ersehnte Parthenon-Fries nicht rausrücken will (der Standard berichtete), macht die andere Hälfte einen Kniefall vor der Architektur. Coole Jungs und Mädels stehen auf dem Trottoir und blicken wie in Stein gemeißelt auf das neue Akropolis-Museum. Auch ein schwarz gekleidetes Weiblein, das eben erst aus den hellenischen Bergen herbeigeritten scheint, macht halt und blickt gespannt auf das neue Wahrzeichen am Fuße des heiligen Tempelbergs.

Letztes Wochenende wurde der 130 Millionen Euro schwere Bau des schweizerisch-französischen Architekten Bernard Tschumi feierlich eröffnet. „Im Gegensatz zu anderen Ausstellungshäusern, die meist sehr introvertiert in der Gegend herumstehen, öffnet sich das Akropolis-Museum ganz bewusst zur Stadt“, erklärt Museumsdirektor Dimitris Pandermalis in seiner Rede. Groß sei es, das Gebäude, und schön natürlich auch, meint er. „Wir wollten eben eine zweite Akropolis bauen.“

Doch das Bauvorhaben ließ lange auf sich warten. Konstantinos Karamanlis, griechischer Premierminister, äußerte bereits 1974 den Wunsch, ein neues Museum zu errichten. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden insgesamt vier Wettbewerbe ausgeschrieben. Als endlich alles überstanden schien, ging die Sache wieder von Neuem los.

Während des Aushubs stieß man auf zahlreiche Straßen und Hausmauern aus dem siebenten Jahrhundert. Doch nachdem die beiden italienischen Architekten Manfredi Nicoletti und Lucio Passarelli nicht bereit waren, ihre Pläne umzuzeichnen und das zufällig entdeckte archäologische Grabungsfeld in ihren Entwurf miteinzubeziehen, musste der Wettbewerb im Frühjahr 2001 neu ausgeschrieben werden.

Bernard Tschumi, der mit seinen knallroten Pavillons im Parc de la Villette in Paris (Baujahr 1983) berühmt geworden war, setzte sich gegen Konkurrenten wie Meinhard von Gerkan, Daniel Libeskind und Arata Isozaki durch und bekam den Auftrag. Im März 2003 war Baubeginn. Nach 104 Bauverhandlungen und erfolgreich gemeisterten Gerichtsverfahren konnte die drei Jahrzehnte lang anhaltende Odyssee um den Neubau des Akropolis-Museums endlich in die Zielgerade stechen.

„Ich bin zufrieden“, sagt Tschumi zum Standard, „ich habe noch nicht viel gebaut, aber dafür befinden sich unter meinen wenigen realisierten Projekten zwei essenzielle Arbeiten.“ In gewisser Weise, meint der 65-jährige Architekt, bildeten der Parc de la Villette und das Akropolis-Museum einen großen Bogen über sein bisheriges OEuvre: „Beide Projekte gehen sehr intensiv auf die Umgebung ein, beide Projekte wurden zu Beginn verteufelt, beide Projekte stoßen nach der Realisierung auf große Akzeptanz und Begeisterung.“

Die Eintrittskarten sind für Monate ausverkauft. Nach Auskunft der Museumsleitung sind die ersten freien Karten erst wieder ab September zu haben. Vielen Athenern bleibt das wertvolle Innenleben bis auf weiteres also vorenthalten. Schade eigentlich. Denn obwohl das Areal mit seinen vielen Stufen und Rampen zwar überaus attraktive Freiflächen bietet und dadurch mit der Stadt geradezu symbiotisch verschmilzt, bleibt das Gebäude in seinem äußeren Erscheinungsbild eher unaufregend. Viel Beton, viel Stahl, viel Glas und über allem eine fette Prise Trutzburg-Charme.

Seine wahren Stärken entfaltet es erst in den Abendstunden, wenn innen das Licht angeht und die Schwere der dunklen Gläser auf Knopfdruck verschwindet. Mit einem Mal verwandelt sich der eben noch hermetische Doppeldecker zu einem filigranen Gebilde mit Blick auf die Akropolis, keine 250 Meter Luftlinie entfernt.

Dialog der Epochen

„Es ist wie ein Dialog zwischen Antike und Gegenwart“, so der Architekt. Aus der Ausstellungshalle im ersten Geschoß, wo zwischen mächtigen Stahlbetonsäulen steinerne Karyatiden und Kritios-Knaben erhaben über allem Irdischen schweben, sieht man zum gegenüberliegenden Tempelberg. Zwischen Pfeilern und Lamellen blinzeln immer wieder die Ruinen des 2500 Jahre alten Parthenon auf.

Durchblicke auch in den Innenräumen. Hier eine betonierte Loge, dort ein sorgfältig platziertes Loch in der Wand. „Eigentlich ist das Museum eine Art Landschaft, in der die antiken Skulpturen endlich ein neues Zuhause gefunden haben“, sagt Tschumi.

Vor Überraschungen schreckt der nette Herr mit dem stets roten Schal um den Hals nicht zurück. Wer in den dritten Stock will, muss schwindelfrei sein. Hier, rund fünfzehn Meter über dem Erdgeschoß, führt der Weg über einen vollflächig verglasten Boden. Und während der Besucher dem Nichts ausgeliefert ist und zaghaft von einer statisch unterstützten Glasfuge zur nächsten hüpft, breitet sich unter ihm das Foyer aus. Das Geheimnis hinter der höhenängstlichen Angelegenheit: Als schlüpfte man für einen Wimpernschlag der Zeit in Zeus' Fußstapfen, kann man von hier aus einige der steinernen Gottheiten von oben sehen. Tschumi, kurz und bündig: „Neue Architektur braucht neue Perspektiven.“

Glanzvoller Höhepunkt des Akropolis-Museums ist die Parthenon-Galerie im letzten Stock. Zum übrigen Gebäude um 23 Grad verschwenkt, ist der rundum verglaste Baukörper in Größe und Ausrichtung dem historischen Vorbild nachempfunden. Entlang der Innenmauer verläuft der 159 Meter lange Parthenon-Fries und ist im Gegensatz zur ursprünglichen Positionierung nicht den Blicken der Götter vorbehalten, sondern für jedermann einsichtig. Die Montage in Augenhöhe lädt zum genauen Studium der teils originalen und teils kopierten Steinplatten ein.

Wer es mit den Details der Antike nicht so hat, der braucht sich nur umzudrehen und sich der Erhabenheit dieses Ortes hinzugeben. Auf der zart besaiteten Oberfläche, die man sich in diesem Museum nach wenigen Minuten nolens volens angeeignet hat, zeichnet sich ein Hauch von Gänsehaut ab. In der Glasfassade spiegelt sich der Fries mit seinen rund 360 prozessierenden Männern und Frauen, Reitern und Wagenlenkern. Dahinter ragt, so mächtig wie von keinem anderen Blickwinkel in der Stadt, der beleuchtete Parthenon in die Dunkelheit.

„Die Lichtverhältnisse übertreffen all unsere Erwartungen“, sagt Direktor Dimitris Pandermalis. Aufgrund der speziellen Folierung und Schichtung mehrerer Glasplatten zu einem ziemlich gemeinen Trugbild-Apparat kann man zwischen Realität und Spiegelbild kaum noch unterscheiden. Parthenon und Parthenon-Fries finden auf diese Weise, geschützt vor Smog und Witterung, endlich wieder zueinander.

Im Bilderrausch der Epochen wird unweigerlich Stellung bezogen. Im beschaulichen Innenstadtviertel Plaka, nur wenige Schritte vom Museum entfernt, hat eine griechische Hand ein paar fordernde Worte an die Wand gepinselt. Dem Appell ans British Museum in London kann man sich nach einem Besuch im neuen Athener Konkurrenzhaus nicht entziehen: „Return our marbles now.“

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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