Bauwerk

Siedlung Halde
Hans Purin - Bludenz (A) - 1967
Siedlung Halde, Foto: Friedrich Achleitner
Siedlung Halde, Foto: Friedrich Achleitner

Kontinuitäten

15. September 2007 - Robert Fabach
Ganz am Beginn der »Siedlung Halde« stand ein Text von Friedrich Achleitner über die Problematik des Bodenverbrauchs von Einfamilienhäusern, erschienen 1964 in der »Presse«. Franz Bertel, Initiator und immer noch Bewohner, erinnert sich an diesen Beitrag als Auslöser für die Initiative zu einem gemeinschaftlichen Siedlungsprojekt. Bertel, der früher in Deutschland und Frankreich gelebt hatte, war mit den Ideen der Moderne und einer Reihe ihrer Bauten bestens vertraut. Die programmatische Bedeutung dieser Siedlung ist also nicht das späte Resultat einer Architekturgeschichtsschreibung, sondern stand von Beginn an im Zentrum eines idealistischen Bemühens.

Nachdem sich eine erste Gruppe von etwa fünf Familien in Vorarlberg zusammengetan und ein steiles Hanggrundstück am Stadtrand von Bludenz günstig erworben hatte, galt es, einen geeigneten Planer zu finden. Reisen zu vorbildhaften Anlagen wie der Weißenhofsiedlung in Stuttgart oder der Siedlung Halen bei Bern waren Teil der Vorbereitung. Die Entscheidung fiel schließlich auf Hans Purin, einen jungen Architekten, der gerade sein eigenes Wohnhaus in Holzbauweise fertiggestellt hatte, aber vor allem durch den kompromisslosen Umbau der Kirche im Zisterzienserkloster Mehrerau aufgefallen war.

Planung und Bau werden von allen Seiten als unproblematisch beschrieben, Mitbestimmung und Selbstbau waren Teil des Programms. Hans Purin hatte einen Bebauungsvorschlag für den gesamten Hang und eine detaillierte Planung von 15 Wohneinheiten erarbeitet, für die nun Interessenten gesucht wurden. Mit einem Modell der Anlage wurde sogar in der örtlichen Sparkasse geworben, die als Bank der Errichtergemeinschaft das Projekt unterstützte. Vermutlich wurde – im Gegensatz zu vielen ähnlichen Projekten dieser Zeit – auch dadurch die baurechtliche Genehmigung zwar mit Skepsis der Behörden, aber ohne Verzögerung erteilt.

Mit dem Bau der ersten drei Einheiten wurde bereits 1965 begonnen. Dieser dreigeschossige Typ quer zum Hang wird von unten erschlossen und zeigt mit seiner Abfolge von Garten-, Wohn- und Zimmergeschoss einen Grundrisstypus, der noch heute nahezu unverändert gebaut wird.

Der Sockel und die Trennwände zwischen den Einheiten bestehen aus weiß geschlämmten Betonsteinen. Dazwischen wurde eine reine Holzkonstruktion eingebaut. Ein Windwurf bei München hatte billiges Bauholz auf den Markt gebracht, das dazu verwendet wurde, massive Holzdecken mit Nut und Kamm und fertigen Untersichten herzustellen. Darauf wurde ein minimaler Fußbodenaufbau mit Riemenboden aufgebracht. Die ganze Umsetzung stand im Zeichen einer intelligenten Zusammenführung präziser Planungssysteme und harter ökonomischer Rahmenbedingungen.

Tragbalken aus Leimholz spannen in einem Raster von 4 mal 3 Metern über die gesamte Haustiefe. Ihre Maßhaltigkeit garantiert dichte Anschlüsse bei den Wanddurchdringungen. Das Riegelwerk wurde dunkelbraun imprägniert, Holzdecken und Wandscheiben im Wohngeschoss blieben unbehandelt.

Die Bewohner von Halde I haben kaum etwas verändert. Spuren der Abnutzung sind erkennbar und einzelne Elemente wurden ersetzt, doch sind die Stimmigkeit und die Präzision der Ordnung als harmonische, ja musikalische Struktur der Räume stets präsent. Die Form scheint die Substanz zu schützen, verleiht ihr eine beeindruckende Gültigkeit und ist wohl auch ein Grund für die Leichtigkeit der überaus knappen Raumdimensionen.

Die zweite Serie mit neun Häusern wurde 1967, unmittelbar nach Halde I fertiggestellt. Der schmale und im Vergleich zu Halde I mit 102m² Nutzfläche kleinere Typus wird über eine zweiläufige Treppe erschlossen und von rückwärts im Halbgeschoss betreten. Ein Flugdach über der zentralen Freitreppe entstand ohne den Einfluss von Hans Purin. Die auch heute noch erhaltene moderne Strenge der Häuser von Halde I wurde hier durch eine lebendigere Ausgestaltung ersetzt, ohne jedoch die Ordnung der Bauten nachhaltig zu verletzen. Purin hatte für die Innenausstattung der Häuser nicht nur die Planung von Einbaumöbeln angeboten, sondern auch ein universelles Möbelsystem aus 36 mal 36 mm starken Lattenquerschnitten entwickelt, das er später immer wieder anwendete.

In den 1970er Jahren entstand angrenzend an Halde I ein kleiner Zubau, den Franz Bertel mit Purin als seinen Alterswohnsitz plante, inzwischen jedoch vermietet.

»Die Halde« überrascht nach wie vor mit einer Fülle von Konzepten und Ideen und zeigt die durchgängige Qualität gestalterischer Kontinuität. Die Loos’sche Idee vom Haus mit einer Mauer ist darin ebenso zu finden wie Einflüsse der Siedlung Halen von 1958 bis 1961. Und wenn man mit den Bauherren der ersten Stunde im nahezu unveränderten Arbeitszimmer spricht, reichen die Assoziationen von den Armutsgeboten und Bauvorschriften Bernhard von Clairvaux’ bis zu Euklids »Elementen«. Die Organik des Baustoffes Holz erschließt sich dabei ebenso logisch wie das Elementare der geometrischen Grundformen, das die Häuser in eine fast kosmische Ordnung bringt und zu einer geistigen Konstruktion macht, denen die materielle und die bauliche ganz selbstverständlich zu folgen scheinen. Eine beständige Suche nach dem Dahinter, nach dem Transzendentalen beseelt dann diese Häuser, die plötzlich jenseits der Moderne eine archetypische Spur des Bauens aufnehmen.

Wenn man den Worten Franz Bertels folgt: »Keine Zukunft ohne Tradition«, dann gilt dies nicht nur für die Vorbilder, sondern auch für die Spuren zu nachfolgenden Bauten, die sich zu einer Kontinuität der Baukunst bekennen. Dass diese Kontinuität eine sehr selektive ist und die Geschichte nicht als gemütliches Nähkästchen, sondern als Folge von Aufbrüchen sieht, macht sie radikal.

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at

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