Bauwerk

Chinesisches Nationalstadion
Herzog & de Meuron - Peking (VRC) - 2008
Chinesisches Nationalstadion, Foto: Julia Jungfer / ARTUR IMAGES
Chinesisches Nationalstadion, Foto: Josef Weis / ARTUR IMAGES

Wie man den Phönix anlockt

Ein Kinofilm über Architektur: Herzog & de Meurons Olympiastadion für Peking spielt die Hauptrolle in „Bird's Nest“, der demnächst auch hierzulande anläuft.

24. Mai 2008 - Ute Woltron
„China“, sagt Michael Schindhelm, „ist eine Provokation: die älteste Kultur der Welt, politisch ein für uns Westler undurchschaubares Gelände, wirtschaftlich die kommende Weltmacht.“ Und: „Keine andere Nation macht deutlicher, dass unsere Gesellschaftskonzeption nicht universell ist und wir uns an Konkurrenten gewöhnen müssen, von denen wir immer noch wenig wissen und die wir kaum verstehen.“

„Verstehen wollen“ gehöre für ihn aber zu den Grundantrieben, warum ihn etwas interessiere - und deshalb hat der deutsche Theater- und Filmmann gemeinsam mit Regisseur Christoph Schaub in den vergangenen vier Jahren einen Dokumentarfilm über die Entstehung eines komplizierten Gebäudes unter schwierigen Bedingungen gedreht: Das Olympiastadion der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron in Peking. Architektur in Film zu übersetzen ist eine harte Aufgabe, weil die Kameralinse zwar Bilder, nie aber die dritte Dimension und das Raumgefühl einfangen kann. Doch Bird's Nest, so der Filmtitel, nähert sich dem Gebäude ohnehin vielmehr über die persönlichste Schiene der Architektur: über die Menschen, die sie ausgedacht haben und schließlich bauen. Und über die Menschen, die sie benutzen werden.

Der Film, der ab 6. Juni in den heimischen Kinos zu sehen sein wird, entspricht in seinem vernetzten Aufbau der Architektur seines Hauptdarstellers. Schaub und Schindhelm verweben die Bilder des gebauten und belebten Peking mit den Bildern der architektonischen Vision, mit den Modellen, und mit den Aufnahmen der wachsenden Baustelle.

Das erzählende Traggerüst bilden aber die Gespräche mit den beiden Architekten, die Interviews mit grashalmfein lächelnden Baufirmenbossen und die Momentaufnahmen der Hektik, der Freude und der Verzweiflung im Architekturbüro vor Ort. Und an exakt diesen Punkten legen die Filmemacher einerseits die Spannungen und Querkräfte frei, die zwischen Europäern und Chinesen laufen, und andererseits die Drehmomente, die Projekte so schnell zum Kippen bringen können, und von denen die der Architektur- und Bauwelt Fernstehenden so gar keine Ahnung haben können. Die aber eben wichtig sind, um die Angelegenheit zu verstehen.

Zum Beispiel jener Moment, in denen die grashalmfein Lächelnden den Architekten erklären, dass das Baubudget nun doch um 230 Millionen Euro gekürzt werde. „Wir können die europäischen Klos durch chinesische ersetzen, die kosten nur ein Achtel“, sinniert ein Mitarbeiter. Wir können das enorme Schiebedach ersatzlos streichen, sagen schließlich die Architekten. Man müsse mit der Baufirma gewissermaßen ein wenig dealen, meint Pierre de Meuron, aber nur dort, wo es konstruktiv-architektonisch zu verschmerzen sei. Dass die Schweizer selbst die längste Zeit ohne Vertrag, also auf gut Glück gearbeitet haben, macht die Angelegenheit auch nicht gemütlicher.

Um die chinesische Geschäfts- und Lebensphilosophie in allen Momenten richtig zu interpretieren, engagierten sie sicherheitshalber den chinesischen Architekten und Künstler Ai Weiwei - einen Dolmetsch zwischen den Welten. Einen solchen hätte zum Beispiel auch der französische Kollege Jean Nouvel schon vor der Wettbewerbsabgabe für das Olympiastadion im Jahr 2003 bitter nötig gehabt.

Denn Nouvels Stadionentwurf hatte eine grüne Glaskuppel zum Abschluss, und hätte Weiwei oder ein anderer Eingeweihter nur einen Blick darauf getan, so hätte er dem Architekten folgende zu erwartende Assoziationskette erläutern können: Die Kuppel erinnert an eine Schildkröte. Schildkröten verheißen in der chinesischen Volksmeinung nichts Gutes. Und wenn die Schildkröte noch dazu grün ist, steht sie für eine Frau, die ihrem Mann Hörner aufgesetzt hat. Nicht genügend, danke, setzen.

Die gebänderte, verschlungene Stahlkonstruktion hingegen, die sich Herzog & de Meuron unter anderem von den Craquelé-Glasuren alten chinesischen Porzellans abgeschaut haben, erinnert an ein Vogelnest. Vogelnester kommen gut an in China. Nicht nur in Suppen. Ein vielgebrauchter Spruch sagt: Du musst ein Nest bauen, wenn du den Phönix anlocken willst. Und genau das will China auch. Es will die ganze Welt anlocken.

Dass es unmoralisch sei, für ein Regime wie das chinesische zu bauen, hat man Herzog & de Meuron vorgeworfen. Das sei eine arrogante und unüberlegte Ansicht, kontert Pierre de Meuron ganz ruhig. „Wir glauben nicht an eine kulturelle Globalisierung“, sagt er, und tatsächlich zählen die Schweizer zu jenen Architekten, die sich Ort, Lage, Kultur, Landschaft, in der ein Gebäude entstehen soll, jeweils sehr gründlich anschauen und diese Studien in ihre Entwürfe einfließen lassen.

Man hat den beiden auch einen Hang zum Dekorativen vorgeworfen, ein gewisses Fassadenkünstlertum ohne Inhalt. Angesichts der präzisen Erklärungen im Film, warum das Vogelnest genau so ausschaut, wie es eben ausschaut, mag es demnächst diesbezügliche Meinungsumschwünge geben.

„Auf eine seltsame Art und Weise“, sagt Jacques Herzog an einem Punkt des Filmes mehr zu sich selbst als zur Kamera, „wissen wir nicht immer, was wir tun.“ Es könnte sein - nicht immer, aber mitunter -, dass genau an dieser Stelle das Bauen aufhört und die Architektur beginnt.

[ Kinostart: 6. Juni. http://verleih.polyfilm.at ]

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