Bauwerk

Hungerburgbahn
Zaha Hadid Architects - Innsbruck (A) - 2007
Hungerburgbahn, Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES
Hungerburgbahn, Foto: Norbert Freudenthaler

Gletscher mit den Händen bauen

Es geht alles, wenn man nur daran glaubt. Mit diesem Glauben schlägt sich die britische Architektin Zaha Hadid seit Jahren durch die Männerdomäne. Jüngstes Beispiel: die Hungerburgbahn in Innsbruck. Ein Ausflug.

15. Dezember 2007 - Wojciech Czaja
Gegner hat sie immer schon gehabt. Als die Feuerwehrstation in Weil am Rhein in ein Designmuseum umgewandelt wurde, lachte sich die Welt ins Fäustchen. Für die geplante Nutzung erwies sich das Gebäude als gänzlich untauglich. Die Kurvenradien waren zu schmal bemessen, in der Eile des brennenden Gefechts schafften es die Feuerwehrleute nicht, ohne zu reversieren aus dem Feuerwehrhaus herauszufahren. Doch Hadid weiß darauf zu antworten: „Die Feuerwehrstation ist später zum Vitra-Museum umgebaut worden, weil es viele neugierige Besucher gegeben hat, die von dieser Architektur angezogen wurden.“

Eines muss man der mächtigen Dame aus London lassen: Zaha Hadid ließ sich niemals unterkriegen. „Wenn ich mich je durch die internationale Meinung über meine Arbeit hätte beeinflussen lassen, hätte ich die Arbeit schon vor zwanzig Jahren hingeschmissen“, sagt sie heute, spielt mit ihrem wuchtigen Silberring, klackert mit den hochhackigen Stilettos am Boden, „wenn man Fantasie will, dann muss man sie auch ausreizen.“ Punktum.

Hadids jüngster Wurf ist die Hungerburgbahn in Innsbruck. Die Seilbahnstationen wirken wie Botschafter aus einer fernen Architekturzukunft. Als hätte man den Glasgebilden Leben eingehaucht, ruhen sie auf einem massiven Sockel aus Sichtbeton und sind im Begriff, jeden Moment ihre innewohnenden Kräfte zusammenzuballen und schwungvoll abzuheben. Warum die Glasdächer so sind, wie sie sind? „Wir haben uns bewusst für diese elastische Formensprache entschieden, damit wir uns den jeweiligen Bedingungen vor Ort besser anpassen können“, erklärt Thomas Vietzke, Projektleiter im Büro von Zaha Hadid, „schließlich darf man nicht außer Acht lassen, dass sich die Stationen gegen die unterschiedlichen städtebaulichen Einflüsse behaupten müssen.“

Fließende Eislandschaften

Die etwas leichtfüßigere Erklärung lieferte Hadid bei der Eröffnung vor zwei Wochen höchstpersönlich: „Die Architektur scheint zu fließen. Wir haben die Stahlkonstruktion unsichtbar belassen, damit der Eindruck einer fließenden Eis- und Gletscherlandschaft entsteht. Schließlich sind wir hier mitten in den Alpen.“ Das mit der Gletscherlandschaft sei selbstverständlich nicht buchstäblich gemeint, obwohl Architekten immer schon versucht hätten, die Natur zu imitieren. „In diesem Projekt war es jedoch technisch möglich. Wir sind der Form von fließendem Eis sehr nahe gekommen.“

Wiewohl, die smoothen Gletscher haben riesige Schrammen davongetragen. Das ist schade, denn gerade große High-End-Architektur wie diese braucht Fingerspitzengefühl und Raffinesse bis ins kleinste Detail. Im Fall der Hungerburgbahn hat Hadid jedoch einmal mehr bewiesen, dass ihre Architektur den Gesetzen des technisch Machbaren um Lichtjahre voraus ist. Mit offenen Mündern marschieren die wackeren Skifahrer, Snowboarder und wochenendfröhlichen Pensionisten durch die Stationen und recken den Kopf nach oben. „Isch guat, die Hadid.“ Aber da: ein ausgestreckter Zeigefinger mitten auf eine ordinäre Glasfuge, wo zwei Glasscheiben windschief aneinander vorbeisausen, anstatt bündig in einer Fläche zu liegen: „Isch nit guat.“

„Mit derartiger Architektur umzugehen, ist nicht leicht“, gesteht sich Christian Schleich ein. Er ist Projektleiter im Innsbrucker Planungsbüro Malojer, das die Generalplanung Hochbau innehatte und dafür sorgte, die kühnen Schwünge Hadids in die Realität zu übersetzen. Keine leichte Aufgabe. „Das Schwierigste war, dass wir in unserer Anbotsphase noch nicht wussten, dass wir mit Zaha Hadid zusammenarbeiten würden.“ Die Kosten von 35 Millionen Euro (Gesamtbetrag Hochbau, Tiefbau und Seilbahntechnik) mussten dennoch eingehalten werden - da wurde seitens der Auftraggeber Strabag, Stadt Innsbruck, Land Tirol und Tourismusverband Innsbruck-Igls freilich kein Auge zugedrückt.

Man musste tricksen. Die Produktion der 1200 Glasscheiben, die in Summe mit 2,18 Millionen Euro zu Buche schlägt, wurde aus finanziellen Gründen kurzerhand nach China ausgelagert. „Es blieb uns nichts anderes übrig, doch im Nachhinein stellte sich die Zusammenarbeit mit China als Problem heraus“, so Schleich, „die Qualität entspricht ganz einfach nicht unseren Vorgaben. Ein Drittel der Gläser wurde von uns bemängelt.“ Zu kurz, zu breit, zu flach, zu ungenau.

Montiert wurden die 300 bemängelten Scheiben dennoch. Schließlich musste man der Urheberin Zaha Hadid, die die neuen Stationen bei der Eröffnung zum ersten Mal gesehen hat, den rund 80 aus aller Welt angereisten Journalisten und den zigtausenden Besuchern ein hübsches Bild bieten. Ob, wie und wann die mangelhaften Glasscheiben im Laufe der kommenden Monate ausgetauscht werden, steht nach Auskunft des Büros Malojer noch offen.

„Wir haben gesehen, dass die Firmen und sogar einzelne Leute bei ihrer Arbeit an die Grenzen des Machbaren stoßen“, sagt Christian Schleich. Der Stand der Technik sei noch nicht so weit. „Aber scheinbar ist genau das ein Indiz für zeitgenössische und innovative Architektur. Andernfalls gäbe es keinen Fortschritt.“

Das ist ganz im Sinne Hadids: „Ich persönlich glaube sehr stark an Entwicklungen und Erfindungen“, erklärt die Architektin in einem Interview, „doch das größte Problem ist, dass die anderen nicht daran glauben. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass man Fantasie mit den eigenen Händen machen kann.“

Erstes PPP im Seilbahnbau

Und was sagt Hans Peter Haselsteiner, Mitinitiator des ersten Public Private Partnerships im Bereich Seilbahnbau? Immerhin hat der Strabag-Chef stolze 13,5 Millionen Euro in das Gesamtprojekt Hungerburgbahn und Nordkettenbahn investiert und wird nun für die Dauer von 30 Jahren die Einnahmen kassieren. „Es ist ein Projekt, von dem ich hoffe, dass es auch die kritischen Stimmen in Innsbruck überzeugen wird. Wer das erste Mal mit der Hungerburgbahn fährt, oben aussteigt und dann die skulpturale Architektur sieht, der muss - wenn er nicht blind ist oder ein Vorurteil hat - wohl anerkennen: Das ist etwas, worauf die Menschen in dieser Stadt stolz sein können.“

Fingerdickes Silikon in den Fugen, schiefe Gläser und eine verpatzter Auftrag nach China - das ist die eine Seite des Projekts. Doch der kritische Blick des Architekturkenners wird nicht von Dauer sein. Viel wichtiger ist, dass Innsbruck mit der Hungerburgbahn einen weiteren Schritt in Richtung Alpenmetropole gesetzt hat. Nach dem Rathaus (Dominique Perrault), dem in Bau befindlichen Kaufhaus Tyrol (David Chipperfield), der Sprungschanze am Bergisel (ebenfalls Zaha Hadid mit Malojer) und etlichen verheißungsvollen Projekten aus der Feder lokaler Architekten setzt Innsbruck einmal mehr auf die Architekturkarte.

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