Bauwerk

Landesforum und Landesparlament des Fürstentums Liechtenstein
Hansjörg Göritz - Vaduz (FL) - 2007

Der zweite Leitbau Liechtensteins

Das Fürstentum Liechtenstein hatte bisher nur einen Leitbau, das Schloss. Nun gibt es einen zweiten, den Landtag, das ‹Hohe Haus›. Hansjörg Göritz, sein Architekt, baute für das Parlament eine profane Kirche. Skeptisch fuhr der Stadtwanderer hin, überzeugt kehrte er zurück.

8. April 2008 - Benedikt Loderer
Ich habs kommen sehen. Im ‹Architekturführer Liechtenstein›, 2002 bei Niggli erschienen, schrieb ich: «Nicht Snozzis antikisierender Demokratietempel, sondern ein nicht minder anspruchsvoller Zeltbau soll den Landtag aufnehmen. Ein eingefriedeter Platz setzt das Parlamentsgebäude vom Tagesbetrieb ab. Das Bauprogramm ist zweigeteilt: erstens ein dem Hangschwung folgendes Verwaltungsgebäude mit grosszügiger Dachterrasse und zweites, traufständig und als Einzelbau dastehend, das spitze Dach mit dem Sitzungssaal des Parlaments darunter. Innen und aussen ist dieses Zelt mit Sichtbacksteinen verkleidet und erhält sein Licht durch einen Beleuchtungsschlitz im Giebel. Das Parlament wird in einer profanen Kirche tagen.» Es ist nun Zeit, die eigenen Voraussagen zu überprüfen. Skeptisch fuhr ich nach Vaduz.

Identitätsstiftend

Im Februar zog Liechtensteins Bevölkerung, darunter ich, in einer langen Prozession durch die Räume und nahm den Neubau in Besitz. Irgendwie schien sich auf den Gesichtern Befriedigung zu spiegeln: Ja, so sind wir im Ländle. Ordentlich, fehlerfrei, einzigartig. Um es gleich zu Beginn festzuhalten: Die architektonische Geographie im Lande hat einen neuen, zweiten Schwerpunkt. Neben dem Schloss, das über Vaduz allen drohend im Nacken sitzt, ist nun zu seinen Füssen ein demokratischer Merkort entstanden. Der liechtensteinische Landtag schafft es, die eigentümliche doppelte Souveränität des Fürstentums sichtbar zu machen: Der Fürst da oben – das Volk da unten. Das Landtagsgebäude stellt die zweite Gewalt im Lande dar, gehört zur Identität des Kleinstaats, ja stellt sie dar. Hierzulande gibt es nun zwei Leitbauten: das Schloss und das Landtagsgebäude. Identitätsstiftung, war das nicht die ursprüngliche Aufgabe der Architektur? Hier ist sie gelungen. Gewiss ist auch das Kunstmuseum ein bedeutendes Gebäude, ein Leitbau aber ist es nicht, es erscheint nicht auf den Postkarten.

Fortsetzung

Der Text im Architekturführer liefert den roten Faden dieser Besprechung. «Snozzis antikisierender Demokratietempel» zuerst. Das Projekt von Luigi Snozzi ging im Frühling 1993 in einer Volksabstimmung unter. Die kulturbewussten zeigten mit dem Finger auf die Treuhänder- und Krämerseelen, die einen grossen Wurf verhinderten. Heute entdeckt man aber, wie viel von Snozzis Projekt trotzdem verwirklicht wurde. Das Landesmuseum (HP 5/04), das ‹Lange Haus›, das im Bau befindliche Archivgebäude, sie alle folgen dem von Snozzi vorgegebenen Schwung entlang dem Hangfuss. Auch das Landtagsgebäude nimmt Snozzis Vorgaben von 1987 auf. Nur das Projekt von Hansjörg Göritz setzte 2000 im zweiten Wettbewerb vor eine Schicht am Hang einen damit verbundenen Baukörper. Das Kennwort hiess ‹Fortsetzung› und war für Göritz Programm. Alle anderen Architekten schlugen Solitäre vor. Snozzis Geist schwebt über dem Städtle. Aus dem Demokratietempel allerdings ist die profane Kirche geworden. Nicht mehr in der Toga der römischen Hoheit, sondern im Gewand «einer nüchternen Klarheit, geboren
aus protestantisch-calvinistischem Realismus», so Göritz, kommt der Neubau daher. Es ist der Schritt vom Mittelmeer zum alemannischen Kulturraum. Der Landtag ist auf seiner Kulturhöhe angekommen.

Scharnier

Es folgt der «eingefriedete Platz» abseits vom Tagesbetrieb. Hier irrte der Stadtwanderer in seiner Vorschau. Abseits ist hier nichts, denn hier ist der Empfangsort von Vaduz. Der grosszügige, gepflästerte Peter Kaiser-Platz müsste eigentlich ‹Liechtensteiner Mitte› heissen, denn er bildet das Gefäss für die Repräsentation der zweiten Staatsgewalt. Hier öffnet sich der Trichter, der die Leute sammelt und zur Hauptgasse führt. Dort, wo die Gasse sich schliesst – oder öffnet, wenn man in der Gegenrichtung geht –, dort steht das neue Landtagsgebäude als Auftakt oder als Abschluss. So ist es je nach Richtung der beherrschende Bau des Platzes oder das letzte Haus in der Gassenzeile. Diese städtebauliche Setzung ist die entscheidende Korrektur an Snozzis Konzept. Der Neubau steht mit knappem Abstand neben dem Verweserhaus und nicht mehr zu nah neben dem Regierungsgebäude. Dort steht heute ein neu gepflanzter Symbolbaum, eine Eiche. Die Traufe des ‹Hohen Hauses› liegt gassenparallel, was die Zugehörigkeit zur Zeile unterstreicht. Die hohe, dem Platz zugewandte Giebelwand setzt den Schwerpunkt des Ensembles. Das ‹Hohe Haus› markiert das Scharnier zwischen Gasse und Platz, hier ändert sich die Gschwindigkeit, vom Gehen kommt man ins Schlendern. Das Verwaltungsgebäude, nun das ‹Lange Haus›, hingegen ist Raumgrenze und Platzhintergrund. Das Regierungsgebäude steht weiterhin frei, wie von seinem Architekten Gustav von Neumann 1905 geplant.

Perfektion

Das «Bauprogramm ist zweigeteilt», schrieb ich im Architekturführer.
Das ‹Hohe Haus› folgt dem Typ des Rathauses einer Reichsstadt: Eine Pfeilerhalle trägt den Ratssaal im ersten Obergeschoss, der mit einem mächtigen Dach abgeschlossen ist. Im ‹Langen Haus› sind die Sitzungsräume der Parlamentsfraktionen, die Bibliothek, die Büros und die nötigen Nebenräume. Eine vernünftige Aufteilung zwischen Vorbereiten und Tagen. Einzig der Ratskeller fehlt, statt der Trinkstube ist da die Tiefgarage. Das spitze Dach braucht keine Erklärung, es ist fremdartig selbstverständlich. Das Eigenschaftswort «archaisch» wetterleuchtete durch die Presse, doch ist diese «zeitlose Urform» (Göritz) keineswegs urtümlich, sondern elementar. Gemeint ist: zurückgeführt auf die geometrischen Hauptfiguren, allen voran das Dreieck. Die reine Form ist das Ziel, gereinigte Form das Ergebnis. So nah wie möglich an die «platonische Figur» will Göritz kommen, dies, wie er sagt, mit «unbedingter Härte». Das setzt er um mit einem einzigen Element, dem Klinkerstein. Backsteinsticken ist hier mit Uhrenmacherei verbunden, ich habe noch keinen Bau gesehen, der so rücksichtslos bis auf drei Stellen hinter dem Komma durchdetailliert wurde. Um die sprichwörtlich schweizerische Perfektion zu besichtigen, muss man seit Februar 2008 nach Liechtenstein reisen.

Zisterziensisch

«Innen und aussen mit Sichtbackstein verkleidet», kündigte der Architekturführer den Bau an. Verkleidet ist ein zu weites Sammelwort. Die insgesamt 684 900 Kelesto-Klinker der Ziegelei Keller in Pfungen (ZH) führen in ihrer goldgelben Farbe jura hell die Vielfalt des Immer-Gleichen vor. Sie sind auf dem Platz ein gestreifter Teppich, beim märkischen Verband der Stützmauern ein währschaftes Mauerwerk, bei den vorgefertigten Tafeln des Dachs ein mechanisches Muster, im Innern des Parlamentssaals ein textiler Wandbehang, auf den Treppenstufen ein irritierendes Fremdmaterial, bei den Pfeilern der Eingangshalle eine senkrechte Verkleidung, bei den Stützen des ‹Langen Hauses› Goldschmiedearbeit. Immer gelten die unerbittlichen Regeln des Steinmasses, ziegelgerecht selbst dann, wenn die Fugen doppelt so hoch und breit sind wie üblich. Vor meinem Besuch dachte ich: Was soll die Backsteinorgie? Ist das nicht Architektenwahn? In Vaduz antwortete ich mir: Göritz liefert das Stichwort «zisterziensisch». Wie die Mönche aus dem einen, am Ort gefundenen Material ihre Klöster bauten, so hat auch er nur aus Klinker seine Curia gebaut. Auch sein Anspruch ist überzeitlich, über das Fürstentum Liechtenstein hinaus, dem das Haus derzeit dient. Elementar ist das Gegenteil der Mode. Allerdings weiss auch Göritz: Das ist der Stand der Konstruktion zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Schärfung der Form ist mit hohem Aufwand erkauft. Wer keinen Blechabschluss am Dachrand duldet, muss mit konstruktiver Erfindungskraft dem Dachwasser Herr werden.

Hoheit

«Das Parlament des Fürstentum Liechtenstein wird in einer profanen Kirche tagen», so die Prophezeiung im Architekturführer. Eigentlich geht es nur um den Parlamentssaal, ist er gelungen, so gelang (fast) alles. Es gelang. Das Bild der profanen Kirche stimmt, es ist ein Raum von nüchterner Feierlichkeit, dem die steile Zeltform die bürgerliche Weihe gibt. Der Raumüberfluss zeichnet aus, die Höhe schafft Hoheit. Ein kreisrunder Tischring, an dem die Abgeordneten und die Regierung von gleich zu gleich sich gegenseitig in die Augen schauen, steht im leeren Raum. Darüber hängt ein zweiter Ring mit der Beleuchtung. Wie die Lampen in der Moschee grenzt der Leuchtring die Schicht des Handelns nach oben ab. Das Licht dringt durch ein dreiseitiges Bandfester ein, der Lichtschlitz im Giebel dient hauptsächlich der Ausleuchtung des Klinkerzelts. Es ist hell im Landtag, kein raunendes Düster, debattiert und legiferiert wird bei Licht. Ein Parlament braucht ein Gefäss, das Würde ausstrahlt, das ans Gemeinwohl mahnt. Der liechtensteinische Landtag wird nicht besser arbeiten als zuvor, aber würdiger sicher. Die Zuschauerbänke treten in den Hintergrund, eine Zutat an der einen Querwand. Dort klebt auch die Übersetzerkabine, ein Fremdkörper, der dem Wunsch nach Kongressen und Konferenzen geschuldet ist. Doch einen Würderaum soll man nicht auch noch als Tourismushilfe benützen. Die Kabine ist ein Störfaktor in der profanen Kirche. Die erheblichen Anstrengungen, die Raumakustik zu steuern, sind unsichtbar, wie alle Haustechnik ein verborgenes Wirken ist. Auch die künstlerische Intervention Sabine Laidigs ist sehr zurückhaltend. 64 Farbmuster sind passgenau auf die Ziegel geklebt, es entstand ein Gespinst von Farbpunkten. Das dahinter steckende Bildungsgesetz mögen die Abgeordneten während den langwierigen Debatten zu ergründen versuchen.

Nachtrag

Vier Nachträge sind noch nötig. Zum einen herrscht der Winkel. Der zwischen der Bau- und der Hanglinie. Ein Verwaltungsakt zog die Baulinie vom Verweserhaus zum Regierungsgebäude. Hansjörg Göritz hat sein ‹Hohes Haus› darauf gestellt. Die Hanglinie hingegen ist die bewusste Setzung des Architekten. Der Schnitt der beiden ergibt einen schiefen Winkel, der den Raster regiert, der den ganzen Komplex beherrscht. Jede Stütze, jeder Bodenbelag, jede Decke gehorcht diesem Winkel. Das führt in der unerbittlichen Folgerichtigkeit der selbst gesetzten Regel, zum Beispiel zu schräg abgeschnittenen Spezialklinkern bei den Treppenstufen, zu im Grundriss rhombischen Fassadenstützen oder Raumzuschnitten. Es folgt die «grosszügige Dachterrasse», die ich zwar schon 2002 entdeckte, aber die Umkehrung des Blicks hab ich damals nicht bemerkt. Während das ‹Lange Haus› mit seinen drei Geschossen auf den Platz schaut, richtet sich die Dachterrasse gegen den Berg aus. Die hohe Mauer, die statt einer Brüstung die Terrasse gegen den Platz abschliesst, hat zwei Wirkungen. Sie kehrt erstens den Blick um, aber sie erhöht zweitens auch das Gebäude um ein zusätzliches Geschoss und gibt ihm einen oberen Abschluss, fast wie ein klassisches Dachgesims. Wer auf der Dachterrasse wandelt, entdeckt den Hinterhof. Das ‹Lange Haus›, zweiseitig belichtet, steht mit Respektabstand vor der riesigen, bewundernswert perfekt betonierten Hangmauer, die mit den Spannköpfen der Anker wie mit Schmucknarben besetzt ist. Im Hinterhof stehen die Sichtbetontürme der ausgelagerten bedienenden Räume wie Lift, Sanitäranlagen und Lüftung. Ein Architekturgarten mit den versammelten Volumen im Licht. Schliesslich noch das Licht, genauer die Schwärze der Schlagschatten und die Helle der Lichtstreifen, die Leuchtkraft der Dinge und die Liebkosungen des Streiflichts. Mit gehöriger Skepsis bin ich nach Vaduz gereist, mit hoher Achtung kam ich wieder.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

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