Bauwerk

Stadthäuser in Amsterdam-Osdorp
Atelier Kempe Thill - Amsterdam (NL) - 2008
Stadthäuser in Amsterdam-Osdorp, Foto: Ulrich Schwarz
Stadthäuser in Amsterdam-Osdorp, Foto: Ulrich Schwarz
Stadthäuser in Amsterdam-Osdorp, Foto: Ulrich Schwarz
14. Februar 2012 - newroom
Kollektivität versus Individualität: im Städtebau der Nachkriegsmoderne

Der in den 60er Jahren gebaute Stadtteil Amsterdam - Osdorp wird seit der Jahrtausendwende umfassend saniert. Ziel ist es hierbei, durch strategischen Abbruch bei gleichzeitiger Zufügung neuer Gebäude, den vorhandenen, sehr einheitlichen Wohnungsvorrat zu differenzieren und neue, mehr individuelle Wohnangebote für die Mittelschicht zu schaffen. Hierbei stellt sich die Frage, wie mit dem städtebaulichen und architektonischen Erbe der Nachkriegsmoderne umzugehen ist.
Das Projekt liegt im Südteil des „Masterplanes Zuidwest-Kwadrant“, der durch das Planungsbüro De Nijl seit Ende der 90er Jahre erstellt und betreut wird. Ziel des Planes ist der Erhalt der typischen, sehr breiten Strassen- und Grünraumprofile bei sorgfältiger Integration von Parkgaragen innerhalb der neuen Gebäudevolumen.
Die neue Häuserzeile nimmt diese besondere räumliche Großzügigkeit des Gebiets als direkten Ausgangspunkt für die Organisation der Wohnanlage und sucht nach einer optimalen Lösung für das Parken. Als Resultat entsteht eine prototypische Lösung, die nahtlos anschließt an den kollektiven Maßstab von Amsterdam - Osdorp ohne dabei die Individualität der Einzelwohnung zu unterdrücken. Traditionelle Werte der Moderne werden dabei neu interpretiert und ein zeitgemäßes Wohnen stimuliert.


Beschränktheit der Mittel: Kostenstrategie

Das zur Verfügung stehende Baubudget entspricht dem üblichen niederländischen Standard und ist mit ca. 850 € /m2 für Amsterdamer Verhältnisse eher knapp. Um eine gute Basis für die Materialisierung zu generieren, wird dem Projekt folgende Entwurfsstrategie zugrunde gelegt. Das Achsmaß wird auf ein akzeptables Minimum von 4,80 m reduziert. Hierdurch besitzen die Wohnungen im Vergleich zum Standard ca. 20% weniger Fassadenoberfläche. Der Grundriss ist mit 12,50 m ca. 30% tiefer als normal üblich, hierdurch entstehen im Inneren des Hauses viele „billige Quadratmeter“ und wird eine sehr energieeffiziente Struktur geschaffen. Die entstehende räumliche Enge innerhalb des Hauses wird kompensiert durch eine vollständige Glasfassade und die Einfügung eines doppelt hohen Wohnraumes.
Die gewünschte Garage wird nicht unterirdisch sondern ebenerdig organisiert. Hierdurch entfallen aufwendige wasserdichte Konstruktionen und Klimatisierungen. Die Parkstraße wird als kostengünstige Stahlkonstruktion vor das eigentliche Betonskelett des Hauses gestellt, das entstehende Dach wird als Terrasse genutzt.

3. Drive-in Haus: die Typologie

Innerhalb der Basisstruktur wird nach einer optimalen Organisation für das Wohnen gesucht. Der eigentliche Wohnbereich überspannt dabei zwei Etagen und wird jeweils gekoppelt an zwei unterschiedliche Außenbereiche. Das Haus wird an der Westseite über einen großzügigen Vorgarten von 6 m Tiefe erschlossen. Dieser Garten wird durch Hecken umgrenzt, ist aber vom Charakter eher gemeinschaftlich und stimuliert den Kontakt zwischen den Bewohnern. An den Vorgarten grenzt die doppelt hohe Wohnküche, die ebenfalls über die Garage erschlossen wird. In der Wohnküche befindet sich eine offene Treppe, die das eigentliche, von zwei Seiten lichtdurchflutete Wohnzimmer erschließt. Dieses ist durch eine massive Brüstung der Sicht aus dem öffentlichen Raum entzogen und grenzt direkt an eine intime Terrasse von ca. 30 m², die Sicht auf den begrünten Innenhof bietet.
In der dritten Etage befinden sich Schlaf- und Arbeitszimmer. Das vorhandene Skelett bietet durch seine flexiblen Innenwände eine Vielzahl von Einrichtungsmöglichkeiten. Zusätzlich wurde noch als Option ein Dachgeschoss beim Verkauf angeboten.

4. Informelle Leichtigkeit und dematerialisierte Collage: Materialanwendung

Die Materialisierung der Häuser ist eher unprätentiös und versucht die heutige, leichte Art des Wohnens optimal zu unterstützen. Um das Innere der Wohnungen nach Außen räumlich zu erweitern, werden die Fassaden von großen Verglasungen versehen. Hierdurch besitzt das Gebäude zum Straßenraum hin keine eigentliche Fassade, sondern erscheint als ein die Konstruktion offenbarendes Skelett. In diesem stellt sich – hinter Glas - das Wohnen zum öffentlichen Raum zur Schau. Die Fassade wird dabei mit starken, leicht spiegelnden Sonnenschutzgläsern versehen, um Klimakomfort im Sommer ohne zusätzlichen Außensonnenschutz zu garantieren. Die Eingangstür wird aus Platzersparnis als Schiebetür ausgeführt und speziell für das Projekt entworfen.
Die Hoffassade wird stark geprägt, durch die Parkgarage im Erdgeschoß. Diese wird mit einem Maschendrahtzaun vom Hof abgegrenzt und begrünt. Die über der Garage liegenden Terrassen werden mit leichten, lichtdurchlässigen Kunststofftüchern voneinander getrennt. Die eigentliche Hoffassade besitzt großzügige Verglasungen und wird teilweise – wie auch die Kopffassaden - durch gekantete Metallplatten abgedeckt.
Der Innenausbau ist sehr zurückhaltend. Aus Gründen der Platzersparnis wird auf abgetrennte Erschließungsräume innerhalb der Wohnung verzichtet und werden die Treppen offen im Wohnraum positioniert. Hierbei werden sehr kostengünstige Standardtreppen verwendet, die mit einem speziell entworfenen Geländer ästhetisch ins Gesamtgefüge integriert werden.

Aufgrund der Kostenoptimierung besteht das Gebäude - innen wie außen - aus einer Materialcollage von Beton- und Stahlkonstruktionen; Aluminium- und Holzfenstern; Stahl-, Holz- und Aluminiumplatten; Aluminium-, Stahl- und Holztüren und verschiedenen Kunststoffen. Um doch einen ruhigen Gesamteindruck für die Anlage zu schaffen und das Material zugunsten des Raumes zurücktreten zu lassen, werden alle Bauteile mit einem einheitlichen Farbcoating in RAL 9010 versehen und somit optisch dematerialisiert.
Hierdurch präsentiert sich die Anlage - klassizistischen Vorstellungen folgend - als einheitliche, weiße Struktur und formt einen neutralen Hintergrund für das Wohnen.
Vor diesem kann die Ikea-Generation ihren Traum vom freien und luftigen Wohnen problemlos realisieren.

Mit dem Projekt wird ein Gegenmodel zum derzeit die Niederlande prägenden New Urbanism präsentiert, das sich nicht aus sentimentalen Formvorstellungen speist, sondern sich vielmehr konsequent aus der inneren Organisation des Wohnens ableitet. Auch werden Vorurteile widerlegt, wonach zeitgenössische Architektur sowohl teuer als auch schlecht verkäuflich sei. Alle Wohnungen wurden – auch zur Überraschung des Bauträgers – innerhalb von nur zwei Wochen verkauft. (Text der Architekten)

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