Bauwerk

Zwillingshäuser in Rodenbach
bayer | uhrig - Rodenbach (D) - 2007

Zwillingshäuser

Häuser für amerikanisches Wohnen in Rodenbach

Mitten hinein in die vielfältigen Wohnträume einer Eigenheimsiedlung setzten die Architekten zwei Doppelhäuser, die demonstrieren, dass auch unter Berücksichtigung aller Vorgaben Baukultur entstehen kann. Dabei ging es nicht nur darum, den Absichten, die mit dem Bebauungsplan verfolgt werden, zu entsprechen. Die Häuser müssen auch den unterschiedlichen Ansprüchen wechselnder Mieter gerecht werden, die sich aus der nahe gelegenen Ramstein Air Base rekrutieren.

1. Mai 2009 - Matthias Castorph
»Auch die beste Gestaltung der einzelnen Bauformen […] kann nichts frommen, wenn die große Form, die sie alle zusammenfasst, unzweckmäßig und hässlich ist. […] Umgekehrt ist es natürlich auch nicht zu vergessen, dass selbst die besten Bebauungspläne nichts frommen, wenn die Formen der Bebauung ihrem Sinn stracks entgegenlaufen und die jämmerlichen Formen unsrer heutigen Bauerei jeder Baugruppe ihren Stempel aufdrücken.«
Diese Feststellung von Paul Schultze-Naumburg hat auch nach über hundert Jahren noch Aktualität, wenn man die gebaute Realität in den Wohnsiedlungen in der Agglomeration betrachtet. Denn an der Fragestellung, wie Gesamtqualität von Siedlungen entstehen kann, in gegenseitiger Abhängigkeit von Einzelinteressen und öffentlichem Willen, individueller Architektur und Bebauungsplan, hat sich bis heute nichts geändert und lässt sich in jedem Neubaugebiet nachvollziehen.

Üblichkeitsbauten und Normalhausparadox

Die Wohnsiedlung, die in den letzten zehn Jahren am Dorfrand des westpfälzischen Rodenbach, einem Vorort von Kaiserslautern, entstand, besteht aus Einfamilien- und Doppelhäusern, die vorrangig an amerikanische Militärangehörige der nahe gelegenen Ramstein Air Base vermietet werden. Ein qualifizierter Bebauungsplan mit Gestaltungssatzung regelt die Genehmigungsfähigkeit. Die mediokre Gesamterscheinung des Ortsteils summiert sich aus den bunten Üblichkeitsbauten, mit ihren landläufig immergleichen formalen Ausblühungen der Erker, Gauben, Wintergärten, Tonnendächer, Säulenportale und den öden Vorgärten an den Wohnstraßen.
Bemerkenswert sind nur zwei Einfamilienhäuser in hellen Grautönen, die zwischen den anderen Bauten an der Südgrenze des Baugebietes stehen und durch ihre relative Zurückhaltung auffallen. Wie Zwillinge, baugleich, lediglich horizontal gespiegelt, markieren sie an den Abzweigungen, die hangaufwärts ins Neubaugebiet führen, die Straßenecken.

Die beiden Satteldachhäuser zeigen sich zum Hang hin traufständig, hangabwärts zweigeschossig, mit großen Öffnungen, bergwärts eingeschossig, mit kleinen Fenstern, die die Nebenräume belichten. Der Gebäudetyp ist für die Situation sinnfällig, die Aufenthaltsräume sind nach Süden hin ausgerichtet und die Erschließung sowie die Bäder und die Küche zum Hang hin nach Norden in einer schmalen Nebenraumzone. Die drei Individualräume im Obergeschoss sind nutzungsneutral geschnitten, das lang gestreckte Wohn- und Esszimmer im Erdgeschoss beansprucht die ganze Hausbreite und ist dreiseitig belichtet. Davor liegt über die gesamte Hausbreite eine ¬Veranda, die über die in den Hang eingeschnittene Einfahrt der im Keller liegenden Garage auskragt. Die hellen Markisen können die gesamte Veranda schließen und schaffen so einen sommerlichen Zusatzraum, der das schmale Wohnzimmer ideal erweitert. Auch Konstruktion und Materialität sind der Bauaufgabe und dem Umfeld angemessen: Betondecken und verputzte Ziegelwände mit Wärmedämmverbundsystem, das die Anforderungen der EnEV erfüllt. Graue Dachsteine sowie Holzfenster und einfache, braunschwarz gestrichene Stabgeländer ergeben im Wesentlichen das Bild eines »normalen« Hauses.

Der darüber hinausgehende formale Anspruch der Architekten zeigt sich in der subtraktiven Verformung des Baukörpers auf der Giebel- und rückwärtigen Eingangsseite. Statt additiver Vordächer und Vorbauten ergibt sich durch das skulpturale, winkelförmige Einziehen des Baukörpers die lang gestreckte Vorzone zum Hauseingang, in die auch die außen liegende Keller- und Garagentreppe mündet. Die Schnittflächen sind an Wand und Decke heller abgetönt und verstärken so die räumliche Wirkung. Im Gesamten eine ruhige und nachvollziehbare Architektur, die auf Nutzung, Lage und Budget zugeschnitten ist.

Die besondere Qualität liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der auf die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen reagiert wird: Man verkünstelt sich nicht in ambitionierten Details und gestalterischen Dogmen, sondern baut konventionelle »Normallösungen« wie zum Beispiel eine knapp vorgehängte Regenrinne, die den Dachrand klar akzentuiert. Eine Gestaltung, die nicht versucht, notwendige Bauteile mit hohem konstruktivem Aufwand und Schadensrisiko zu verbergen, sondern gestalterisch zu bewältigen. Man fragt sich, wenn man die Nachbarschaft betrachtet, warum dieses anscheinend so unspektakuläre Vorgehen offensichtlich der Sonderfall ist. Warum ist das Normale das Besondere?

Annahme

Warum entstand hier in den beiden Einzelgebäuden Qualität, während dies bei den Bauten der Umgebung, die identische Anforderungen an Gebrauchsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit haben, offensichtlich nicht der Fall ist? Am Bebauungsplan kann es wohl nicht liegen, da doch alle Häuser im Neubaugebiet den gleichen Festsetzungen, die klar und nachvollziehbar formuliert sind, unterliegen. Wenige Festsetzungen regeln die Nutzung der Grundstücke (Bauraum, Wandhöhe und Geschossfläche), und die in den B-Plan integrierte Gestaltungssatzung reglementiert im Rahmen der gesetzgeberischen Möglichkeiten die Gestaltung der Dächer, Fassaden, Anbauten und Nebenanlagen.

Der Grund dafür ist, dass Bayer | Uhrig die Bedingungen des Bebauungsplans einfach angenommen haben. Ganz ohne Befreiungen, ohne ironische Reflexion der Festsetzungen und ohne die baurechtlichen Möglichkeiten bis zum Letzten auszuschöpfen, haben sie den Bebauungsplan als abstrakten Kontext und Möglichkeitsraum akzeptiert und im Freistellungsverfahren gebaut.
Denn wie will man sonst an einem Ort Hinweise für relevante Entwurfsentscheidungen bekommen, wenn Geschichte, Landschaft, Nutzung oder besondere Lebensweise im Kontext der überplanten Zersiedelungsflächen der Vorstadt fehlen, die dem Entwurf Impulse geben können?

Die Architekten verfolgen eine an sich sehr nahe liegende Strategie, die allgemein jedoch in Vergessenheit geraten zu sein scheint: einen Bebauungsplan als das anzunehmen, was er ist; eine möglichst gerechte wirtschaftliche Verteilung von Baurecht gepaart mit einer Gestaltungssatzung, die die wildesten Ausblühungen vermeiden will, und darin ein Haus entwerfen, das in der Alltäglichkeit bestehen kann. So einfach könnte es sein, auch im Unterschied zu den Planern, die sich in ihrer ambitionierten kreativen Freiheit eingeschränkt fühlen und märtyrerhaft, von Juristen unterstützt, in Auseinandersetzungen mit den Behörden für die in ihren Augen allein selig machende »Befreiungsarchitektur« der spektakulären Einzelbauten kämpfen.

Selbsterfüllende Prophezeiungen

In der Nachbarschaft führt das Prinzip der Grundflächenarithmetik dazu, dass sich Baukörper nicht nach architektonischen Gesichtspunkten entwickeln, sondern aus Gründen der Flächenmaximierung in alle Richtungen verformen. Im Bebauungsplan benannte Einschränkungen für Bauelemente (Gauben, Zwerchgiebel, Vor- und Rücksprünge), kommen anscheinend allein schon ihrer Erwähnung wegen reflexhaft zur Anwendung. Gestaltfestsetzungen als architektonische Musterbücher des 21. Jahrhunderts?
Vielleicht sind die ausufernden Bauformen mit den formalen Ausblühungen auch in der Haltung begründet, man müsse so bauen, wie es sich ein zukünftiger Nutzer vielleicht wünschen könnte – selbsterfüllende Prophezeiungen?

Normalhaus

Erwartungsbildern lassen sich die Zwillingshäuser in Rodenbach nicht so leicht zuordnen. Ihre Erscheinung beziehen sie aus einfachen, modernen architektonischen Operationen, wie zum Beispiel der volumetrischen Verformung des Hauskörpers oder dem Ablösen des Gebäudes vom Gelände sowie der großzügigen Verteilung der notwendigen Öffnungen – eine an sich bild- und methapherfreie Architektursprache. Es ist eine Architektur entstanden, die gerade ohne die heute gerne in der Fachpresse und von den Architekten evozierten Bilder auskommen kann und sie nicht für ihre Legitimation benötigt. Da ist es eigentlich unnötig, darüber zu spekulieren, ob man die Veranda als Anklang an den Porch eines Südstaatenhauses und die drei Fenster im Obergeschoss als die drei Dachgauben der Heimstatt der Waltons interpretieren möchte oder bei den Außenanlagen vielleicht ungewollt an Cézannes Bahndurchstich erinnert wird.

So stehen die beiden Häuser wie selbstverständlich entlang der Straße, die aus dem Dorf herausführt; spiegeln akzentuiert Elemente der im Ort vorhandenen dörflichen Alltagsbauten und zeigen, wie einfach es eigentlich trotz aller Zwänge sein könnte zu bauen, ohne auf architektonischen Anspruch zu verzichten. Da fügt es sich, dass man sich die Bauplätze an verschiedenen Ecken im Baugebiet mit gleicher Ausrichtung und Hangneigung geschickt aussuchen konnte – nicht nur um Zwillingshäuser als städtebaulichen Akzent in die heterogene Umgebung einzustreuen – sondern auch ganz pragmatisch, um einen Entwurf zweimal – einfach gespiegelt – verwenden zu können.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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