Bauwerk

Wohnhaus in Kronberg
MEIXNER SCHLÜTER WENDT - Kronberg im Taunus (D) - 2007

Inspiration B-Plan

Wohnhaus in Kronberg/Taunus

Baurechtliche Vorgaben werden von Architekten häufig als lästige Einschränkung ihrer Kreativität empfunden. Nicht so in diesem Fall: Hier löste der Bebauungsplan, frei interpretiert, eine ambivalente Verwandlung aus. Gepaart mit dem Spieltrieb der Entwerfer, gerann die Regel »Satteldach« zum schrägen Flugobjekt, das alle Blicke auf sich zieht.

1. Mai 2009 - Christoph Gunßer
Eigentlich wünschte der Bauherr ein Flachdach, kannte er doch frühere Häuser der Architekten, die stets eine mehr oder minder abstrakte Quaderform angenommen hatten (vgl. db 9/2007, S. 54–60 ). Nun besaß die fünfköpfige Familie aber im piekfeinen Kronberg ein Grundstück, dessen Bebauung durch einige baurechtliche Auflagen beschränkt war. Insbesondere wurde ein Satteldach verlangt.

Alltägliches wahrzunehmen und neu zu deuten – das reizt die Architekten Claudia Meixner, Florian Schlüter und Martin Wendt seit Langem. Also akzeptierten sie die Vorgaben des B-Plans und begannen mit dem Thema des »klassischen Hauses« zu spielen …
Am Anfang stand die Teilung des Hauses in eine offene Wohnebene, welche sich mit dem Rest der alten Obstwiese ringsum verbinden sollte, und eine geschlossenere Etage darüber für Schlaf- und Kinderzimmer. Damit war die Aufständerung beschlossen. Ein scheinbar über dem Gelände schwebender Baukörper sollte es sein.

Bauvoranfrage für ein Nashorn
Aus der ins Baufenster passenden länglichen Kiste wurde im Verlauf des Spiels die Kiste mit Knick, die Kiste mit Einkerbungen, Höfen, schließlich schrägte einer der Partner die Kanten gemäß der B-Plan-Vorgabe ab: 30 bis 35 Grad Dachneigung verlangte dieser, bei festgelegter Traufhöhe. Es war nun ein Satteldach, nur eben schwebend.

In dieser Phase des Mini-Modells habe die Form noch etwas von einem Nashorn gehabt, meint Florian Schlüter. War ein Nashorn genehmigungsfähig?
Es begann das Verhandeln. Der Bauvoranfrage fügte man sicherheitshalber Fotos dessen bei, was in benachbarten Baugebieten mit ähnlichen Reglements möglich gewesen war: eine erstaunliche Kakophonie, ernüchternd, was den Effekt baurechtlicher Bestimmungen betrifft – sollen sie doch eigentlich für ein harmonisches Gesamtbild sorgen!

Der örtliche Baudezernent zeigte sich denn auch offen für das schwebende Satteldach: »Schöne Architektur – nur schade, dass das Grundstück nicht größer ist!«, soll er gesagt haben. Er wusste wohl schon, in welchen Dimensionen der Nachbar plante.
Trotz deutlich abweichender Dachneigung – 26 Grad südlich, 9 Grad gen Norden – und Überschreitungen bei Traufhöhe und Baufenster passierte der Bauantrag den zuständigen Ausschuss. Am krassesten sollte jedoch die Materialwahl abweichen: Nicht Putz oder Holz, sondern dunkles Aluminiumblech umhüllt den Baukörper. Vermutlich weil dieses farblich dem regionaltypischen Schiefer ähnelt, gab es dennoch den Baufreigabeschein.

Besuch vor Ort: krasse Kontraste

Wer heute in die enge Stichstraße einbiegt, sieht Baukulturen aufeinanderprallen. Geld allein – und bei Baulandpreisen um die tausend Euro für den Quadratmeter geht es hier um sehr viel Geld – macht auch architektonisch nicht glücklich, das sieht man hier. Neben dem konventionellen Massivbau des Nachbarn mit steilem, schwarz glasiertem Ziegeldach nimmt sich unser Haus zurückhaltend, geradezu zierlich aus. »Tarnkappenbomber« hat man es getauft, seit sich die falzlose Blechverkleidung um die (übrigens ebenfalls konventionelle) Konstruktion gelegt hat und die beweglichen »Landeklappen« über die Terrasse kragen – diese lassen sich mittels integrierter Elektromotoren hochschwenken, um mehr Licht in den Wohnraum zu lenken. Ganz so teuer wie ein Kampfjet wird das Objekt nicht gewesen sein, doch eine so raffinierte Spezialanfertigung hatte gewiss ihren Preis, den zu nennen die Bauherren sich scheuen.

Aus dem als Weiße Wanne ausgeführten Keller ragen die eingespannten Rundstützen und tragen (mit dem aussteifenden Treppenkern) die Betondecke und -längsseiten des Obergeschosses. Zwischen letzteren spannen Holzbalken, darauf folgt Holzschalung, Dichtbahn, Blechpaneele, hinterlüftet. So weit, so normal, ein wenig ruft die Hülle tatsächlich die dunklen Schindelhauben der siebziger Jahre ins Gedächtnis. Auch haustechnisch bietet der Bau nur Standard, er kommt ohne Lüftungssystem aus, eine Gasbrennwerttherme für Warmwasser und Fußbodenheizung reckt ihr Abgasrohr durchs Dach. Die Fenster bleiben mit gewöhnlicher Zweischeibenverglasung gleichfalls im Rahmen, und sie schließen nicht einmal moderne-typisch bündig mit der Außenhaut ab, was an der Absturzsicherung für die Kinder liegt. Die Glasfassade zu ebener Erde ist rahmenlos ausgeführt, an den Ecken verklebt, Schiebetüren lassen sich talwärts öffnen.

Die »Möblierung« der »hindurchfließenden« Wiese (O-Ton Architekten) mit eingestellten Volumina ist ablesbar: Die Küche und das Atelier der Hausherrin sind unter das schwebende Dach gerückt und durch Glasstreifen abgesetzt.   Abgesenkt wie diese Räume ist leider auch der Hauseingang auf der Bergseite (wegen der Traufhöhenbeschränkung im B-Plan!), was dann, mit Verlaub, eher nach Kellereingang aussieht, indes die Offenheit dahinter um so mehr wirken lässt.

Rein vom Wohngefühl her ließe sich auch fragen, ob es so angenehm ist, auf der Terrasse »wie unterm Auto« zu stehen (Zitat Schlüter). Die dunkle Unterseite der »Landeklappen« wird der eine oder andere schon als sehr schwer und lastend empfinden. Aus gutem Grund wurde die technische Metapher im Innenraum verlassen. Dezente Grautöne und Weiß prägen hier neben dunklen Schiefer- und Parkettböden die Räume.

Poetisierung des Prosaischen

Woran sich alle, positiv oder negativ, erregen, ist also keineswegs eine Eleganz der Geste, technische Raffinesse oder die Delikatesse der Details. Moderne Villen diesen Typs wurden schon viele gebaut.
Spektakulär neu ist einzig die Form, die mit den Deutungen spielt. Wer sie auf den »Tarnkappenbomber« reduziert und damit nur den Technik-Fetischismus Porsche-fahrender Architekten verwirklicht sieht (nebenbei: Die Architekten fahren keinen Porsche), greift zu kurz. Eine gewisse Genugtuung über die listige Umdeutung des Bebauungsplans – zugestanden. Den Architekten ging es aber um mehr.

Zum einen ist es ihnen gelungen, den wirklich wunderschönen Baugrund mit dem fremdartigen Objekt nur (scheinbar) »leicht« zu besetzen, ihn nicht wie die Nachbarn zuzubauen. Vielleicht ist das Ding mitsamt seinen Bewohnern hier ja nur zu Besuch? Bodenständige Leute sind die Bauherren jedenfalls nicht gerade.
Aber nein, nomadisch ist das Gebäude dann doch nicht. Denn zum anderen ruft es mit seiner Kontur das Wesen von Behausung in Erinnerung – das Dach, das jedes Kind einem Haus verpasst. Verfremdung macht sichtbar, das ist ein Merkmal der künstlerischen Avantgarde (der sich die Architekten mit ihrem inzwischen internationalen Renommee durchaus zurechnen). »Poetisierung des Prosaischen« hat das einmal jemand genannt.

So überhöht das Haus den Ort, macht ihn zum Wohn-Ort und setzt zugleich ein Zeichen gegen die Banalisierung des Bauens ringsum.
Weil es so spielerisch-provokant die Grenzen des Möglichen auslotet, wird das Haus sogar in Lifestyle-Magazinen herumgereicht. Tabu-Bruch zieht immer, und wenn es nur einen Zehn-Sekunden-Kick bringt.

Dabei möchten die Architekten nicht mit jenem »expressiven Geballere« (Schlüter) in einen Topf geworfen werden, welches derzeit die mediale Präsenz von Architektur stark prägt. CAD-Renderings à la Frank Gehry oder Zaha Hadid entbehren jedweder Bodenhaftung, bleiben beliebig. Seit Bilbao hat ein Kult des Noch-nie-Dagewesenen Investoren wie Bürgermeister ergriffen. Baurechtliche Bedenken werden von solch »großen Würfen« selbstverständlich hinweggefegt.

Das gemeine Wohngebiet fiel bislang freilich eher nicht in diese Kategorie. Wie unser Beispiel lehrt, muss das nicht von Übel sein.
Während wir den Kronberger Bebauungsplanern für die Mithilfe an diesem »schrägen« Entwurf nur danken können, bleibt leider festzustellen, dass der Zweck ihres Planens ansonsten gründlich verfehlt wurde. Dem Neubaugebiet bleibt nur zu wünschen, dass üppiges Grün sich rasch über die disparate Nachbarschaft legt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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