Bauwerk

Wohnsiedlung Heustadelgasse
Pichler & Traupmann - Wien (A) - 2009
Wohnsiedlung Heustadelgasse, Foto: Rupert Steiner
Wohnsiedlung Heustadelgasse, Foto: Rupert Steiner
5. Juli 2009 - Az W
Laut Statistik ziehen jährlich rund 5.000 Wienerinnen und Wiener in den Speckgürtel, um sich den Traum vom eigenen Haus mit Garten außerhalb der Stadtgrenzen zu verwirklichen. Dieser Abwanderung ins Umland versucht die Stadt Wien seit einigen Jahren mit zielgruppengerechten Konzepten im Rahmen des geförderten Wohnbaus entgegenzusteuern. Die Wohnbauförderung wurde auf das sogenannte Wiener Gartensiedlungsgebiet ausgedehnt, das auf kleineren Grundstücken flächenreduzierte Hausbebauung erlaubt. Die herkömmliche Parzellierung für Einfamilienhäuser auf Mindestgrundstückgrößen würde viel mehr Bauland verbrauchen. Die Bauten der neuen Siedlerbewegung hingegen oszillieren per Definition zwischen Gartenstadt und Schrebergarten, zwischen Reihenhaus- und Kleingartenanlage. Mit der ursprünglichen Bewegung des „wilden Siedelns“ in den 1920er Jahren hat die gegenwärtige Initiative freilich wenig gemein. „Bereits um die Jahrtausendwende wurde begonnen“, so hieß es 2006 in einer Presseaussendung der Stadt Wien, „die in Wien sehr traditionsreiche Idee des Schrebergartens in der Neudefinition „Neue Siedlerbewegung“ umzusetzen.“ Die Stadt Wien und der wohnfonds_wien kaufte und kauft Grundstücke (vorwiegend in Floridsdorf und in der Donaustadt), um dort, wo sich zuvor die Folientunnel von Gemüsebauern erstreckten, Reihenhausprojekte und größere Siedlungs-, und Grünraumkonzepte zu verwirklichen. Es folgte eine Reihe von Bauträgerwettbewerben, darunter das Projekt Neue Siedlerbewegung–Heustadelgasse in Aspern, das auf einer Fläche ca. 63.000 qm insgesamt 210 Wohneinheiten (aufgeteilt auf 3 Baulose) vorsieht. Der neue Siedlungsteppich in der Nähe der Lobau umfasst die derzeit noch in Bau befindlichen Kleingartenhäuser (Bauherr: ÖSW) von Dietrich Untertrifaller, die soeben fertiggestellte Gartensiedlung in der Sophie-Scholl-Gasse (Bauherr: Heimbau) von Helmut Wimmer sowie die vor kurzem übergebene Wohnsiedlung Heustadelgasse (Bauherr: BUWOG und AH – Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft Altmannsdorf und Hetzendorf) von Pichler & Traupmann.

Individualität in der Repetition, geometrische Differenz und Selbstähnlichkeit sind im Bauteil von Pichler & Traupmann Programm: Die volumetrisch hochkomplexe Anlage mit 38 Häusern und drei Wohnblöcken (insgesamt 89 Wohneinheiten) besteht im Kern aus einem prototypischen Siedlerhaus, das punktsymmetrisch aufgebaut und daher in alle vier Richtungen kuppelbar ist. Die Punktsymmetrie erlaubte auch ein einfaches Skalieren, um auf simple Weise mehrere Hausgrößen und Wohnungstypen zu generieren. Vom Einzelhaus, über das Doppel- oder Reihenhaus bis zur Splitlevel-Wohnung reicht das typologische Spektrum der Anlage, die sich von der verdichteten Straßenkante an der Lobaustraße Richtung Norden lockert. Die mit Niveausprüngen und Böschungen topografisch differenzierte Landschaftsgestaltung (Büro bauchplan) moduliert Zonen der Privatheit ohne Maschenzaun. Jedem Haus und jeder Wohnung sind definierte Vorgarten-, Terrassen- und Gartenflächen zugeordnet, doch zwischen diesen Privatflächen erstreckt sich ein Netz von öffentlicher und halböffentlicher Durchwegung mit Aufweitungen zu kleinen Plätzen. Ein Regelwerk, das auch dem Zufall, ja vielleicht sogar dem „Wildwuchs“ Raum lässt.

Aus der Ferne herrscht ein einheitliches Bild, die weißen Putzflächen leuchten in der Sonne, Assoziationen zu mediterranen Siedlungen drängen sich auf. Erst wenn man die Anlage durchwandert, wird deutlich, dass kein Haus dem anderen gleicht. Ähnlich, aber nicht identisch bilden die Häuser ein mal dichteres, mal poröseres Muster. Durch Rücksprünge in der Fassade konnte die Fassadenfläche minimiert werden, nach der sich im Rahmen der Bauklasse die maximale Gebäudehöhe bemisst. Die an der Fassade verlorene Kubatur wurde in der Höhe wieder zurückgeholt – ein Spiel mit der Wiener Bauordnung, die die Architekten auch mit Erkern und fiktiven Giebeln trickreich auszuloten wussten.

Aus ökonomischen Gründen lag es nahe, mit Präfabrikation, in diesem Fall mit Stahlbetonfertigelementen zu arbeiten. Das Statikbüro Woschitz Engeneering entwickelte eine kraftschlüssige Verbindung dieser Elemente, sodass auch Auskragungen und andere „Sonderfälle“ bewältigt werden konnten. Als Fassadendämmung (18 cm) kam graues EPS-F Plus zum Einsatz, vom konventionellen Verputz musste nur an den Schrägflächen abgewichen werden, die mit einer Spritzfolie beschichtet sind. Die Terrassen- und Balkone sind mit edel wirkenden (aber kostengünstigen) Brüstungen aus anthrazitfabenen Well-Lochblechen ausgestattet. Auch im Inneren gelang es den Architekten, mit Stabparketten, gewendelter Holzstiege und Schiebetüren einen Ausbaustandard zu realisieren, der im gefördeten Wohnungsbau keine Selbstverständlichkeit ist.
Zu wünschen übrig lassen vorerst, wie bei Siedlungs-Neugründungen häufig, die Nahversorgung und die Anbindung ans Wiener Verkehrsnetz – der Autobus 98A scheint keine echte Alternative zum PKW zu sein. (Text: Gabriele Kaiser)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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