Bauwerk

Parlamentsgebäude für Wales
Richard Rogers - Cardiff Bay (GB) - 1998

Beschwingtes Statement am Wasser

Das walisische Regierungsgebäude von Richard Rogers

Die Kohlenindustrie machte Cardiff berühmt; dann kam der Niedergang. In jüngster Zeit wandelte sich die walisische Hauptstadt zu einem High-Tech-Zentrum. An den alten Docks steht jetzt der neue Sitz der Welsh Assembly.

26. April 2006 - Georges Waser
Dass die Selbstverwaltung nicht ohne einen Preis kommt, haben die Waliser ebenso wie die Schotten einsehen müssen. Kaum war 1997 ihre politische Autonomie Tatsache geworden, entschloss man sich in beiden Landesteilen, dem wiedererwachten nationalen Selbstbewusstsein ein Monument zu setzen. Ein bauliches Symbol drängte sich auf, war doch sowohl in Edinburg als auch in Cardiff ein permanentes Zuhause für die neue Regierung notwendig. In Edinburg war für den Bau der Parliament Buildings mit etwa 40 Millionen Pfund gerechnet worden - doch als diese Parlamentsgebäude im Herbst 2004 bereitstanden, hatten sie 431 Millionen Pfund gekostet. In Cardiff sollte man zwar zurückhaltender sein; als aber dort die ursprünglich mit 26,6 Millionen Pfund veranschlagten Kosten für das Assembly Building im Sommer 2001 bereits auf 47 Millionen geschätzt wurden - und zugleich aus Schottland die Kunde von astronomischen Mehrauslagen kam -, verlor man die Nerven und entliess nach lediglich vier Monaten Bauarbeit den Architekten Richard Rogers. Später wurde Rogers wieder eingestellt. Und nun ist das walisische Regierungsgebäude in Betrieb. Es kostete (Mehrwertsteuer inbegriffen, wie die Politiker betonen) 65,8 Millionen Pfund.

Verwandlung des Inneren Hafens

Auf Wunsch der walisischen Assembly - sie soll dem Volk zugänglich erscheinen - musste ihr Regierungsgebäude transparent und einladend wirken. Es sei denn auch gleich vorweggenommen: Das einer Skulptur ähnlich auf einem niedrigen, terrassenartig gestalteten Sockel sitzende Assembly Building ist in seinem gläsernen Gewand und mit dem leicht gewellten, weit ausgreifenden Dach ein Bau, welcher der Promenade am Wasser einen beschwingten Akzent verleiht. Im Rahmen des 1987, also lange vor der politischen Autonomie des Landesteils, gestarteten «Cardiff Bay Development» ist Rogers' Gebäude im Inneren Hafen der Stadt vorläufig wohl das letzte grosse Statement. Ziel der Initianten dieses Projekts war es gewesen, Cardiff «einen Platz auf der Weltkarte» zu sichern - und zwar «as a superlative maritime city, which will stand comparison with any such city in the world». Was heisst: Man hatte gelobt, die alten Docks der Küstenstadt (die flächenmässig nahezu der City of London entsprachen) mit neuen Bauten in ein «Covent Garden on the waterfront» zu verwandeln.

Diese Verwandlung liess allerdings auf sich warten. Erstmals geriet sie in Stocken, als im Frühjahr 1996 politische Intrigen den Bau eines Opernhauses nach Plänen von Zaha Hadid vereitelten. Als dann im Herbst 1998 Richard Rogers' siegreiches Wettbewerbsprojekt für das Parlamentsgebäude in den Himmel gehoben wurde, schien der Elan wiederhergestellt. Doch mit der Entlassung von Rogers kam erneut ein Stillstand. Als dann Rogers zurückgeholt wurde, schloss der neue Auftrag die Konstruktionsfirma Taylor Woodrow mit ein. Warum? Auf diese Anfang April bei einer Besichtigung des Assembly Building gestellte Frage antwortet der walisische Regierungschef Rhodri Morgan, man habe vor dem Weitermachen einen absolut verbindlichen Kostenvoranschlag gewünscht; Taylor Woodrow habe diesen geliefert, und in der Folge seien die Kosten nicht weiter gestiegen. Der Architekt sei einverstanden gewesen - und jetzt, mit einem vortrefflichen Bau, habe auch Rogers' Karriere wieder Auftrieb erhalten. Dazu eine Randbemerkung: An den ursprünglichen Verteuerungen trug nicht Rogers die Schuld - hatten doch nationalistische Politiker darauf bestanden, dass, zu welchem Preis auch immer, walisisches Material und walisische Unternehmen beschäftigt wurden.

Transparent und umweltfreundlich

Wie von aussen wirkt das Regierungsgebäude auch im Innern, auf zwei weiten Ebenen, «durchschaubar». Schieferböden und Holz sorgen für eine schlichte Note, das viele Glas wirkt befreiend und da und dort eine Tür eher zufällig. Die ihm vorbestimmte Funktion offenbart der Bau diskret, und zwar auf der höheren Ebene, in deren Zentrum sich das Dach trichterförmig senkt und durch den Boden verschwindet. Hier ist es auch, am Rande des Trichters, wo wie durch ein Guckloch der Blick nach unten frei wird und sich der Bau einem inneren Organ ähnlich vor dem Besucher auftut. Was man sieht, ist die unter der ersten Ebene angelegte, also ins Innere der Erde eingebettete Debating Chamber. Besser allerdings lässt sich die kreisrunde Debattierkammer aus der mit 130 Sitzen ausgestatteten Besuchergalerie, die hinter der Eingangshalle liegt, überblicken. Fasziniert stellt man hier fest, wie sich der durch die Decke kommende Trichter einer umgekehrten Trompete ähnlich auftut und der Kammer Tageslicht zuführt. Übrigens dürfen sich die 60 Mitglieder der Welsh Assembly bei der Debatte sowohl der englischen als auch der walisischen Sprache bedienen, wird die letztere doch von 21 Prozent des Volkes gesprochen.

Rings um die Debattierkammer befinden sich im Untergeschoss nebst weiteren Räumlichkeiten auch drei Committee Rooms, die ebenfalls über Besuchergalerien verfügen. Tageslicht kommt hier teils aus einem anliegenden «inneren Hofraum» durch verglaste Wände, teils durch Oberlichter. Während sowohl in diesen Räumen als auch in der Debattierkammer nebst einem natürlichen Ventilationssystem eine Klimaanlage verfügbar ist, konnte in den Büros und der Eingangshalle auf die letztere Einrichtung verzichtet werden. Unter dem Bau sorgt ein geothermales System dafür, dass dem ganzen Gebäude im Winter aus hundert Metern Tiefe Wärme zugeführt, im Sommer aber die Wärme von oben in die Tiefe transferiert wird. Last, but not least: Auch an das «Recycling» von Regenwasser hat man gedacht, wird dieses doch gesammelt und im Gebäude Brauchwasser verwendet. Dem Assembly Building geben die walisischen Politiker und der Architekt eine Lebensdauer von hundert Jahren.

Europäischer «Touch»

Wie aber wirkt neben dem Welsh Assembly Building die in jüngster Zeit verwandelte Nachbarschaft? Wer den Bau verlässt, auf den wartet ein spektakuläres Panorama. Silbern das Wasser und weit der Himmel - und gleich neben dem Regierungsgebäude das sorgfältig restaurierte Pierhead Building, ein monumentaler, spätviktorianischer Backsteinbau, in dem seit kurzem ein Visitor and Education Centre untergebracht ist. Dahinter erhebt sich das Wales Millennium Centre: ein vor eineinhalb Jahren eingeweihter Mehrzweckbau, in welchem sowohl die Welsh National Opera als auch die Dance Company of Wales und andere kulturelle Institutionen untergebracht sind. Das mit Schiefer verkleidete Gebäude liegt wie ein gestrandeter Wal am Ufer und verwandelt sich - scheint plötzlich die Sonne - in einen riesigen Goldklumpen. Ebenfalls zu dieser Nachbarschaft gehören die norwegische Seefahrerkirche, in der der Autor Roald Dahl getauft wurde, und zahlreiche Bars, Shops und Restaurants, die wie das Millennium Centre und das Regierungsgebäude erst in jüngsten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Eines davon, auf Pfeilern im Wasser stehend, trägt den Namen Bosporus und bietet türkische Spezialitäten an. Was davon zu zeugen scheint, dass man im politisch autonomen Wales heute gar nicht mehr ausgesprochen nationalistisch, sondern gerne auch international denkt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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