Bauwerk

Gemeindezentrum St. Gerold
Cukrowicz Nachbaur Architekten - St. Gerold (A) - 2009
Gemeindezentrum St. Gerold, Pressebild: Lukas Schaller

Österreichischer Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2010

Eine kleine Gemeinde hatte hohe Anforderungen an Ökologie und Nachhaltigkeit, die Architekten einen sehr emotionalen Zugang zur Baukultur. Das Ergebnis ist ein konsequentes Beispiel für Architektur gewordene Nachhaltigkeit.

28. Mai 2010 - newroom
Als die kleine Gemeinde St. Gerold im Großen Walsertal im Jahr 2005 beschloss, ein neues Gemeindezentrum mit Gemeindeamt, Kindergarten, Dorfladen und einem Mehrzweckraum zu bauen, wollte man nichts weniger als das Beste. Das hatte aber nichts mit Luxus zu tun, sondern mit einem umfassenden Anspruch an Ökologie und Nachhaltigkeit. Beim Bau sollte so viel Holz wie möglich aus dem gemeindeeigenen Wald verarbeitet werden, außerdem sollte das Haus energieeffizient und mit ökologisch hochwertigen Materialien gebaut werden. Schließlich befindet sich die Gemeinde im Biosphärenpark Großes Walsertal, also einer von der UNESCO ausgezeichneten Modellregion für nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise.

Um alle diese Ansprüche realisieren zu können, ließ sich die Gemeinde von Beginn an vom Umweltverband Vorarlberg, vom Energieinstitut Vorarlberg und der Firma Spektrum Bauökologie in Bezug auf ökologisches Bauen und ökologischnachhaltige Beschaffung beraten. Um auch die beste architektonische Lösung für das steil abfallende Grundstück an der Hauptstraße und der Zufahrt zur Propstei zu bekommen, schrieb die Gemeinde einen Wettbewerb aus, aus dem das Architekturbüro Cukrowicz Nachbaur aus Bregenz als Sieger hervorging.

Ein Solitär als Landmarke

Die Architekten entwickelten das Gemeindezentrum als viergeschossigen Solitär, der am Orts- eingang gemeinsam mit dem denkmalgeschützten Schulhaus eine räumliche Torsituation schafft und mit seiner klaren, unbehandelten Holzfassade eine Landmarke für Nachhaltigkeit ist. Die verschiedenen Nutzungen des Gemeindezentrums sind auf vier Stockwerke aufgeteilt, wobei vom oberen Eingang aus nur zwei Stockwerke zu sehen sind. Am Fuß des Gebäudes, auf Ebene –2, führt vom Kindergarten ein Ausgang direkt auf den vor Straßenverkehr geschützten Spielplatz.

Vor dem Eingang auf Straßenniveau wurde im Zuge des Baus auch ein Platz mit Brunnen, Bank und Baum geschaffen, der nicht nur als Parkplatz, sondern auch als Dorfplatz dient. „Es war uns wichtig, dass wir mit dem Bau des neuen Gemeindezentrums auch eine Dorfmitte in unser Straßendorf bekommen“, sagt Bürgermeister Bruno Summer.

Holz aus dem Ort Das Gemeindezentrum ist ein konstruktiver Holzbau, nur die geländeberührenden Stützwände sind aus Stahlbeton. Es ist der erste viergeschossige Holzbau in Vorarlberg. Die für Konstruktion und Oberflächen verwendete Weißtanne stammt, wie gefordert, großteils aus den Wäldern der Gemeinde, die Sägewerksund Zimmermannsarbeiten wurden im Nachbarort ausgeführt.

Für Nachhaltigkeit bei Material und Verarbeitung sorgte auch der traditionelle Umgang mit dem Baustoff. Projektleiter Stefan Abbrederis: „Es war uns wichtig, dass das Holz im Winter geschlägert wird und an der Luft trocknet.“ Das verbessert die Langlebigkeit des Holzes und spart jene Energie, die beim mechanischen Trocknen von womöglich auch noch zu feucht geschlägertem Holz ver(sch)wendet wird.

Das Holz wurde komplett unbehandelt eingebaut, sogar bei den Fußböden. Diese sind aus sägerauen Brettern gefertigt, die mit langsamem Sägevorschub geschnitten werden und damit ein typisches Muster und eine feine, pelzige Oberflächenstruktur erhalten. Der Boden fühle sich an wie ein Holzteppich und sei extrem pflegeleicht, erklärt Architekt Andreas Cukrowicz. Der „Holzteppich“ wurde auch im Dorfladen verlegt, was einige Diskussionen mit der zuständigen Behörde verursacht habe. Schließlich konnte man diese jedoch überzeugen, dass das Holz aus Sicht der Hygiene und des Raumklimas einem Fliesenoder PVC-Boden ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sei.

Ökologisch bis ins kleinste Detail

PVC wäre der Gemeinde ohnehin nicht ins Haus gekommen. Alle Materialien mussten nach dem Ökoleitfaden Bau des Umweltverbandes Vorarlberg frei von PVC, H-FCKW/HFKW und anderen schädlichen Stoffen (wie zum Beispiel Schwermetallen in Farben) sein. Auch Schäume, Silikone oder verpackungsintensive Materialien waren nicht erlaubt. Die Vorgaben konnten sogar bei Elektroverrohrungen und Verkabelungen eingehalten werden.

Als Dämmstoffe wurden nachwachsende Rohstoffe wie Holzfaser und Schafwolle verwendet. Selbst der Aufzug, der für eine barrierefreie Erschließung des ganzen Gebäudes sorgt, ist aus Holz gebaut.

Diese Konsequenz beim Einsatz der Materialien hat einen positiven Nebeneffekt, wie Andreas Cukrowicz anmerkt: „Uns ist wichtig, dass ein Gebäude gut riecht und dass man es mag“ und das ist eindeutig gelungen.

Wärme aus der Erde Ein Musterbeispiel für Ökologie, Nachhaltigkeit und heimische Wertschöpfung, wie es das Gemeindezentrum St. Gerold ist, muss natürlich auch beim laufenden Betrieb nachhaltig sein. Das Gemeindezentrum ist als Passivhaus konzipiert und das erste nach PHI Darmstadt zertifizierte Nicht- Wohngebäude in Vorarlberg. Der geringe Heizenergiebedarf von 14 kWh/m2a (PHPP) wird durch eine Wärmepumpe mit zwei Erdwärmesonden und Solekreislauf gedeckt.

Weiters wird die Abwärme der Kälteaggregate des Dorfladens genutzt. Der Warmwasserbedarf im Gebäude ist so gering, dass eine zusätzliche Solaranlage nicht nötig ist. Im Sommer werden Erdsondenanlage und Erdkollektor zur Kühlung verwendet.

Zur Nachhaltigkeit tragen auch die großteils fix in das Gebäude integrierten Möbel aus Holz bei und der kleine Dorfladen, der die Nahversorgung sichert und neben den gängigen Waren auch regionale landwirtschaftliche Produkte verkauft.

Die Jury des Staatspreises für Architektur und Nachhaltigkeit war bei der Besichtigung des Gemeindezentrums in St. Gerold sehr rasch von dem sympathischen Gebäude eingenommen, der erste Eindruck hielt auch näherer Betrachtung stand. In der Begründung für die Verleihung des Staatspreises heißt es unter anderem: „Mit dieser einzigartigen Arbeit setzen die Architekten ihr Lieblingsthema Holz in Architektur oder besser gesagt Architektur in Holz fort. Das gesamte konstruktive und ästhetische Konzept ist einfach, schlicht und gleichzeitig vollkommen. Alle Elemente, inklusive Einrichtung, Beleuchtungskörper oder Fahrstuhl, sind tief in diesem Konzept verwurzelt. Die Monomaterialität, die das ganze Werk prägt, ist kein Selbstzweck, sondern inspirativer Rahmen für die bunten Prozesse, die im Gebäude stattfinden.“ (Text: Sonja Bettel)

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