Bauwerk

BRG in der Au / Einkaufszentrum West
reitter_architekten, Eck & Reiter - Innsbruck (A) - 2011
BRG in der Au / Einkaufszentrum West, Foto: Mojo Reitter

Eleganz statt Gestik

Bildung und Nahversorgung – passt das zusammen? Im Innsbrucker „Q-West“ durchaus. Unten gibt's Shopping, darüber eine Schule. Und das alles auch noch übersichtlich und klar organisiert.

23. April 2011 - Liesbeth Waechter-Böhm
Um es vorsichtig zu formulieren: Die Kombination ist einigermaßen überraschend. Der Innsbrucker Architekt Helmut Reitter – in Arbeitsgemeinschaft mit Eck & Reiter – hat mit dem „Q-West“ ein Bildungs- und Nahversorgungszentrum realisiert, bei dem auf einem Einkaufszentrum eine Schule platziert wurde. Auf Anhieb möchte man eigentlich sagen: Furchtbar, lauter kleine Konsumenten! Werden sie nicht früh genug dazu – muss das jetzt schon in der Schule sein? Wenn man aber vor Ort ist, versteht man sehr schnell, dass diese Verdächtigung nicht greift.

Es ist ein sehr großes Objekt, das Helmut Reitter und Eck & Reiter da realisieren konnten. Etwa 100 Meter im Quadrat – bebaut bis zum letzten Zentimeter. Und es steht in einem Viertel von Innsbruck, das hauptsächlich Gegend ist, ohne Zentrum. Verkehrsreiche Straßen, Gewerbe, Einkaufshäuser, eine Bahnlinie, diesseits und jenseits dieser Bahn sollen in Zukunft noch Wohnungen gebaut werden. Mit dem „Q-West“ hat dieser ziemlich unattraktive Ort immerhin ein Frequenz-Zentrum erhalten. Man merkt jetzt schon, hier tut sich etwas.

Die Architekten haben es jedenfalls perfekt verstanden, Schule und Einkaufszentrum vollkommen zu trennen, wiewohl beide räumlich verschränkt sind. Oberste Prämisse war: Die Kinder müssen von der Straße – und damit vom Haupteingang zum Einkaufszentrum – weg, sie brauchen ihre eigene Empfangs- oder Ankunftssituation, die ganz vom Einkaufszentrum abgeschottet ist.

Und das ist wunderbar gelungen. Man ist hier wirklich mit zwei völlig getrennten Welten konfrontiert. Das Einkaufszentrum erstreckt sich über drei Ebenen, sehr übersichtlich, mit einer großzügigen Mall. Und beleuchtet durch einen höchst angenehmen „Sternenhimmel“ aus LED-Lampen, einer Entwicklung aus dem Studio Bartenbach, die hier und auch in der Schule zum ersten Mal in großem Umfang eingesetzt wurde.

Über Einkaufszentren ist im Grund wenig zu sagen. Sie sind immer gleich, sie kämpfen immer mit den lauten Logos der Firmenketten, sie wollen übersichtlich sein. Es geht hier nicht anders zu als im Kaufhaus Tyrol, dem vornehmeren Konkurrenten, nur das Preisniveau ist etwas niedriger. Und der Investor – wieder einmal Herr Benko, wie beim Tyrol – hat es verstanden, aus der Tatsache, dass das zweite Parkgeschoß schon sehr weit im Grundwasser liegt, ein Mehr an Nutzungsfläche als Ausgleich für erschwerte Baubedingungen herauszuholen. Man muss offenbar sehr schnell rechnen können als Investor. Das Nutzflächenverhältnis beträgt jetzt 14.000 Quadratmeter Einkaufszentrum zu gut 12.000 Quadratmeter Schule.

Dafür ist diese Schule zweifellos ein Vorzeigeobjekt. Etwas so Großzügiges, auf angenehmste Weise Durchorganisiertes habe ich kaum je gesehen. Die Auskragung des Gebäudes signalisiert nach außen, wo die Schule anfängt. Sie erstreckt sich über zwei Vollgeschoße oben und ist auf der untersten Ankunftsebene teilweise, aber unmerklich mit dem Einkaufszentrum verschränkt. Man kommt auf einem großen gedeckten Vorplatz an – dazu muss man allerdings entweder über eine Rampe oder über eine Treppe zehn Höhenmeter überwinden –, geht in eine mehrgeschoßige Eingangshalle und über eine besonders breite Treppe hinauf auf das eigentliche Schulniveau. Dabei sieht man links hinein in den Dreifachturnsaal (hinter dem, unsichtbar, das Einkaufszentrum weitergeht) und verteilt sich dort zu den Klassen.

Die Schule umfasst – auf zwei Ebenen – immerhin 32 Stammklassen, ergänzt durch eine Vielzahl an Sonderklassen und räumlichen Angeboten aller Art. Wobei die Stammklassen in drei als Finger ausgebildeten Baukörpern angeordnet sind, die jeweils drei Atrien umschließen. Dorthin sind diese Stammklassen durchwegs orientiert. Vom Straßenlärm bekommt man hier nichts mit – Schallschutz war überhaupt eine Prämisse –,außerdem ist der Ausblick auf diese teilweise begrünten Höfe ausgesprochen attraktiv. Zum Thema Freiflächen: Sie fehlen hier nicht, im Gegenteil. Das Angebot an großzügigen, teilweise gedeckten Terrassen (4000 Quadratmeter), dazu ein riesiger Sportplatz auf dem Dach der Dreifachturnhalle, könnte nicht vielfältiger sein.

Aber die auffälligste Besonderheit liegt im Prinzip der Klassencluster, einem Schweizer Modell, das zusätzliche Unterrichtsmöglichkeiten in klassenübergreifender Form anbietet. Man könnte von überbreiten Gängen sprechen, die in der Mitte möbliert sind – links und rechts davon bleibt die vorgeschriebene Gangbreite selbstverständlich frei, und dort können Lehrer und Schüler in sehr lockerer Form zusammenkommen. Jeweils vier Klassen sind zwei solcher Cluster zugeordnet, und wenn man der Schuldirektorin glauben darf, dann tragen sie wesentlich zum Aggressionsabbau zwischen den Klassen bei.

Natürlich wurde das Thema Sicherheit großgeschrieben. Und da hat die Schule vom Einkaufszentrum unten profitiert: Sie verfügt über eine – normalerweise viel zu teure – Sprinkleranlage. Im Einkaufszentrum war die sowieso vorgeschrieben, man musste nur die Leitungen bis hinauf legen – die kostspielige Basisinvestition fiel also weg. Im Kaufhaus kann es zwei Stunden brennen, bevor man in der Schule etwas merkt. Und die Schule kann in sechs bis sieben Minuten geleert sein – nicht zuletzt, weil man von jeder Klasse auf zwei Wegen ins Freie kommt.

Tatsächlich konnten die Architekten fast alles, was sie im Wettbewerbsprojekt vorgeschlagen haben, umsetzen. Energetisch erfüllt es den Passivhausstandard. Bei der Einrichtung wurde erfolgreich für eine Qualität jenseits des Üblichen gekämpft. Nur bei den Bodenbelägen musste das gewünschte Holz mehrheitlich einem angeblich pflegeleichteren Naturkautschuk weichen. Außerdem gibt es keine Zentralgarderobe, damit wäre das Flächenlimit für eine solche Schule überschritten worden, und auch hier – kein Holz für die Spinde, sondern nur Blech.

Formal kann man diesem sehr großen Objekt jedenfalls attestieren, dass es mit Sachlichkeit und Ruhe auftritt. Es bildet die unterschiedlichen Funktionen nach außen ab, aber ohne große Gestik, dafür mit Eleganz. Damit trägt es zur Aufwertung der gesamten Umgebung bei, und die verträgt es hier.

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