Bauwerk

MAS - Museum Aan de Stroom
Neutelings Riedijk Architecten - Antwerpen (B) - 2010

Picknick mit Rubens

Kommenden Dienstag wird in Antwerpen das Museum aan de Stroom eröffnet. Hier ist nicht nur die Kunstgeschichte zu Hause, sondern auch die Freizeit.

14. Mai 2011 - Wojciech Czaja
„Ich hab's nicht so mit den dünnen Häusern, anorektische Architektur, das ist nicht mein Fall“, sagt er, lehnt sich an die gewellte Glasfassade und schaut hinaus auf die verzerrte und tausendfach durchgequirlte Stadt. „Wenn ich schon baue, dann will ich etwas zwischen meinen Fingern spüren, dann will ich's richtig dick und fest. So wie bei Rubens. Kein Gramm weniger.“

Willem Jan Neutelings ist nicht nur Barock-Liebhaber, sondern auch Architekt. Gemeinsam mit seinem Partner Michiel Riedijk plante er das neue Museum aan de Stroom, kurz MAS, das kommenden Dienstag in Antwerpen offiziell eröffnet wird. Und es ist nicht irgendein Museum. Es ist das stolzeste und mächtigste Bauprojekt in der flämischen Hafenstadt seit langem.

„Kunst und Diamanten haben wir schon seit Jahrhunderten, seit kurzer Zeit ist Antwerpen auch für seine zeitgenössische Mode bekannt, jetzt ist die Architektur an der Reihe“, erklärt der neue Museumsdirektor Carl Depauw, der das Bauwerk unter seiner Ägide liebevoll als Maskottchen bezeichnet. Das macht das Pathos wieder wett. „Ja, es ist ein Maskottchen für Antwerpen. Wir haben lange genug darauf gewartet. Nun ist es endlich da.“

Mitte der Neunzigerjahre hatte die Stadtregierung beschlossen, vier kleinere kommunale Museen zusammenzulegen und in einem einzigen, neuen Wahrzeichen zu vereinen. „Die alten Museen waren viel zu klein und längst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik“, sagt Depauw. „Manche der Exponate sind uns aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit in diesen Räumen regelrecht davongeschimmelt. Es war eine Schande.“

1999 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 51 Büros bewarben. Neutelings & Riedijk gingen mit ihrer Neuinterpretation eines historischen Hafenspeichers als Sieger hervor. Nach einer etwas längeren Dürreperiode in der Stadtkasse rollte Ende 2006 der erste Bagger heran. 56 Millionen Euro später (Baukostenanteil 33,4 Millionen Euro) ist das Ding unter Dach und Fach: ein 60 Meter hoher Bilbao-Effekt mit Ecken und Kanten.

Eine wilde Mischung

Insgesamt umfasst das MAS heute 470.000 Objekte, zusammengetragen aus dem Ethnografischen Museum, dem Völkerkundemuseum, dem Nationalen Schifffahrtsmuseum, dem Kunsthandwerksmuseums Vleeshuis sowie aus der Sammlung präkolumbianischer Kunst Paul und Dora Janssen. Als Draufgabe gibt es zurzeit eine temporäre Ausstellung mit Werken von Peter Paul Rubens, Jan Brueghel, Jan van Eyck und Konsorten. Wilde Mischung.

Der Clou jedoch: Die Exponate sind nicht nach ihrer kulturellen und ethnischen Zugehörigkeit sortiert (Ausstellungskonzept B Architecten), sondern nach übergeordneten, abstrakten Themen wie Leben, Tod und Stadt. Da kann es schon einmal passieren, dass ein angegammeltes Totem neben einer hochglanzpolierten Schiffsschraube hängt. „Wir wollen nicht einfach nur Dokumente in die Vitrine legen und Bilder an die Wand nageln“, sagt Direktor Depauw. „Es geht uns um den Kontext. Wir suchen nach Konnotationen und Analogien.“

„Ja, ja, stimmt schon, alles Geschichte, alles sehr wichtig. Aber da, schauen Sie nur raus auf die Stadt!“ Architekt Willem Jan Neutelings spricht eine andere Sprache. „Schauen Sie sich nur dieses wunderbare Panorama und diese betrunkenen, tanzenden Kirchtürme an! Ist das nicht großartig?“

Neutelings ist nicht wegzukriegen von hier, lehnt an der Glasfassade, immer noch, deutet hinüber zur Liebfrauenkathedrale, deren Turm in den bauchigen Wölbungen hin- und herschwabbelt, mal dicker, mal dünner wird, sich doppelt und dreifach vermehrt. „Wenn das nicht barock ist!“

Tatsächlich ist dieser Bereich das Herzstück des neuen Museums aan de Stroom, nur wenige Meter von der Schelde entfernt, eingeklemmt zwischen die beiden Docks aus der Zeit von Napoleon Bonaparte und König Willem I. „Das MAS ist mehr als nur ein Museum. Es ist der Versuch, den wunderschönen, aber lange Zeit vergessenen historischen Hafen am Rande der Altstadt zu neuem Leben zu erwecken“, sagt Neutelings. Längst ist das Hafentreiben in den Norden abgewandert. Am Horizont türmen sich Container. Hafenkrane tanzen Walzer in Zeitlupe.

„Die große Frage lautete: Wie macht man ein kunsthistorisches Museum für die breite Masse attraktiv? Wie bringt man die Bevölkerung in so ein Haus hinein? Wir haben uns entschieden, die Geschichte mit der Gegenwart zu kombinieren“, erklärt der Architekt. „Wir haben uns entschieden, kulturelle Bildung und städtisches Leben zu vereinen.“

Ein Speicher der Geschichte

Die Jahrhunderte alten Exponate liegen in tageslichtlosen, übereinander gestapelten Boxen, die wie Container in alle Himmelsrichtungen weisen. Die roten Steinplatten aus Indien sollen in ihren vier unterschiedlichen Farbtönen an die alten, geziegelten Speicher erinnern. Neutelings: „Das ist eine Hommage an den Hafen. Nur werden hier nicht mehr Kaffee und Kartoffeln gelagert, sondern Kunst und Kultur.“

Während der eigentliche Ausstellungsbereich des MAS nur 20 Prozent der Gesamtfläche einnimmt, besteht der Großteil des Gebäudes aus einem öffentlichen Boulevard, der sich hinter einem riesigen Glasvorhang in den zehnten Stock hochschraubt. Flanieren und Rolltreppenfahren ist angesagt. Der Weg bis zur Dachterrasse dauert rund fünf Minuten.

Die sogenannte „Straße“ ist täglich von 9 bis 24 Uhr öffentlich zugänglich,und zwar ohne Ticket. Museumsdirektor Carl Depauw versichert, dass das auch so bleibt. „Wir wünschen uns, dass die Leute hierherkommen, auf die Stadt blicken und sich womöglich doch noch für die Kunst entscheiden. Das ist ein Lockmittel. Dafür kassieren wir kein Geld.“

Noch fehlen Sitzgelegenheiten, doch die sollen demnächst nachgereicht werden. „Bis dahin können die Leute ja eine Decke mitnehmen und sich auf den Boden setzen“, erklärt Depauw. Unter dem Steinboden verlaufen Heizungs- und Kühlungsschläuche, die mit dem Wasser aus den Docks temperiert werden.

Es ist wohl das erste Museum weltweit, in dem die Stadtbevölkerung aktiv dazu eingeladen wird, ihren eigenen Picknick-Korb mitzunehmen, Zeitung zu lesen und zu schmusen (O-Ton des Direktors). „Wenn das kein Ort zum Picknicken und Verlieben ist! Nur Barbecue ist verboten. Sie werden verstehen.“ Auch so kann kunsthistorisches Museum sein.

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