Bauwerk

Passivwohnhaus Universumstraße
querkraft architekten - Wien (A) - 2010
Passivwohnhaus Universumstraße, Foto: Lisa Rastl
Passivwohnhaus Universumstraße, Foto: Manfred Seidl

Die Lust am Faltenrock

Allerbeste Energiekennzahlen mit guter Gestaltung vereinen. Das geht. Ein Passivhaus vom Architektenteam Querkraft in Wien-Brigittenau.

25. Juni 2011 - Franziska Leeb
Nüchterne Effizienz, aufgepeppt mit nutzerfreundlichen Zusatzangeboten und das Ganze gepaart mit viel Sportsgeist bei der Ausreizung gängiger Regeln, zeichnet seit jeher die Architekturkonzepte des Wiener Architektenteams Querkraft aus. Im Wohnungsbau mit seinen beschränkten Mitteln – sei es, weil die Wohnbauförderung eine bestimmte Kostenobergrenze festsetzt, ein Investor die Rendite maximieren möchte oder ein privater Häuslbauer auf sein Budget schauen muss – macht sich dieses Talent besonders bezahlt.

Als die Heindl Holding für das Grundstück an der Ecke von Universumstraße und Kampstraße nach geeigneten Architekten zur Umsetzung eines Passivhauses suchte, hielt man bewusst nicht nach Planern Ausschau, die als Passivhausarchitekten bekannt sind, betont Projektleiter Rainer Tietel. In erster Linie wollte man eine besondere, clevere Architektur. Ein energiesparendes Haus zu errichten, das die Kriterien eines „klima:aktiv Passivhauses“ erfüllt, war quasi die Zusatzaufgabe. Dieser Gebäudestandard verfügt über einen Heizwärmebedarf, der mindestens 80 Prozent unter jenem normaler Neubauten liegt. Anhand des Gesamt-Primärenergiebedarfs wird die energetische Qualität von Gebäudehülle, Wärmeversorgungssystem und Energieträger bewertet. Zudem ist der Einsatz besonders klimaschädlicher Baustoffe zu vermeiden, gute Raumluftqualität und Benutzerkomfort müssen gesichert sein. Die Herausforderung für die Architekten liegt dabei darin, trotz unumgänglicher Notwendigkeiten, die in einem Kriterienkatalog definiert sind, nicht ihre ureigensten Kompetenzen als Gestalter eines räumlich attraktiven Lebensumfelds zugunsten der bauphysikalischen Erfordernisse hintanzustellen.

Mit einem dick gedämmten Würfel mit kleinen Löchern ist der angepeilte technische Standard am leichtesten zu erreichen. Für das Team von Querkraft – Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp und Projektleiter Dominique Dinies – wäre dies allerdings eine unbefriedigende Lösung gewesen. Sie „kneteten“ dieses theoretische technische Optimum so lange, bis die Form gefunden war, die auch einen räumlichen und städtebaulichen Mehrwert anbieten konnte, und das Vorurteil entkräftet, Passivhäuser müssten zwangsläufig unelegant klobige, hermetisch abgeschlossene Gebäude sein.

Auf einem unregelmäßigen Rechteck entwickelten sie einen Baukörper mit zentralem Stiegenhaus, der den Blockrand nicht ganz schließt, sondern zum benachbarten – noch unbebauten – Grundstück eine Fuge lässt, durch die sowohl ein angenehmer, von der Straße abgesetzter Zugang entsteht als auch die Nachmittagssonne sich den Weg zu den hofseitig gelegenen Wohnungen bahnen kann. Entlang der Kampstraße schließt es an ein vom gleichen Bauträger errichtetes und von Françoise-Hélène Jourda geplantes Wohn- und Bürohaus an. An allen drei Seiten durchgehend umlaufende Balkone sorgen dafür, dass aus sämtlichen Zimmern der direkte Zutritt ins Freie möglich ist. Keine Fensterluken also, sondern pro Wohnung zwei bis vier bis zum Boden reichende, unterschiedlich breite Öffnungen. Um diesen privaten Freiräumen einen abwechslungsreicheren und räumlich angenehmeren Zuschnitt zu geben, wurden sowohl die Gebäudehülle als auch die Balkonplatten einer Verformung unterzogen: Indem die Außenwände Knicke nach innen und die Balkonzone Knicke nach außen erhielten, entstanden Balkontiefen, die eine sinnvolle Möblierung und bequeme Nutzung begünstigen und zudem die Begrenzungsflächen zu den jeweiligen Nachbarn gering halten. Selbst die kleineren Wohnungen verfügen so noch über einen zehn Quadratmeter großen Freiraum, bei den 74 Quadratmeter großen Eckwohnungen sind es gar 25 Quadratmeter.

Balkone oder Loggien sind immer eine jener Zone, in der die einzelnen Bewohner individuelle Gestaltungsambitionen ausleben, oft nicht zur Freude der Architekten. Querkraft hingegen lieferte den Bewohnern gleich ein passendes Instrument, um diese Kreativität zu befriedigen und zugleich dafür zu sorgen, dass eine rasche und unkomplizierte Begrünung ermöglicht wird. In den Geländerstäben wurden Lochungen vorgesehen, in die Halterungen zur Befestigung von Blumentöpfen und Pflanzkästen eingehängt werden können. Ein entsprechendes Sortiment an Schellen und Bügeln wurde an die Bewohner bereits ausgegeben und auf so gut wie allen Geländersegmenten arrangiert. Das Thema des Begrünens wurde nicht ausschließlich an die Bewohner delegiert: Vor den Büros der Erdgeschoßzone säumt entlang des Gehsteigs ein bepflanzter Streifen das Haus, und im hauseigenen Hof wuchern Blumen, Kräuter, Gräser, Sträucher und Bäume, dass es eine Freude ist. Begrünt sind auch all jene Dachflächen, die nicht von der riesigen Dachterrasse eingenommen werden, und zwar nicht in der üblichen konventionellen, gleichförmigen Art, sondern bewusst gestaltet.

Flächen zur individuellen Aneignung stehen auch in der internen Erschließung in hohem Ausmaß bereit. Das Entree ist kein winziger Schluf, sondern eine geräumige Halle. Ein Trinkwasserbrunnen sorgt für eine rasche Erfrischung außerhalb der eigenen vier Wände. Das Stiegenhaus ist so großzügig, dass es einlädt, zu Fuß zu gehen, und mit den breiten Gangflächen zu einem angenehmen, wohl auch als Begegnungsort tauglichen Binnenraum wird. Über der Eingangszone liegt ein zwei Geschoße hoher Gemeinschaftsraum mit vorgelagerter Terrasse. Genau darüber wurde nochmals ein – diesmal zum Stiegenhaus hin offener – Raum vorgesehen, der zur Bespielung durch die Hausgemeinschaft, zum Beispiel als Wintergarten, bereitsteht.

Es sind keine gestalterischen Kinkerlitzchen, die dieses Energiesparhaus zu einem angenehmen, sympathischen Wohnort machen, sondern wohlüberlegte Raumangebote, die über das Übliche hinausgehen, ohne für Kostenexplosionen zu sorgen. Das Haus offeriert eine robuste Struktur, die den frisch eingezogenen Nutzern die Möglichkeit gibt, sich auch außerhalb der eigenen Wohnung vielfach im Haus aufhalten zu können und im Idealfall zu einer Hausgemeinschaft zu werden, die diese Räume aktiv bespielt und gestaltet.

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