Bauwerk

Westin Hotel
Arquitectonica - New York (USA) - 2002

Kometenschweif in Manhattan

Das „Westin Hotel“ von Arquitectonica am Times Square

Mit dem Neubau des „Westin Hotel“ in New York gelangt die Umwandlung des Areals rund um den Times Square in ein Unterhaltungsviertel zu ihrem Abschluss. Das in Miami ansässige Architekturbüro Arquitectonica realisierte eine bildkräftige Architektur, die in Midtown Manhattan einen unübersehbaren Akzent setzt.

4. Februar 2003 - Hubertus Adam
Der Times Square mit seinen Leuchtreklamen, überdimensionalen Billboards und dem unablässigen Strom von Verkehr und Passanten gilt vielen Besuchern als Inbegriff New Yorks, als mythischer Ort des metropolitanen Lebensgefühls in Midtown Manhattan. Dabei hat die langgestreckte, sich zwischen West 42nd und West 47th Street aufspannende Kreuzung von Broadway und 7th Avenue in den vergangenen hundert Jahren mehrfach ihr Gesicht gewandelt.

Um 1900 entwickelte sich das einst als «Hell's Kitchen» verschrieene Gebiet zum Theaterdistrikt, in dem die ersten Lichtreklamen installiert wurden. Den Theaterdirektoren folgten in den zwanziger und dreissiger Jahren die grossen Kinobetreiber. Die Krise, in welche die Kinowirtschaft nach den Jahren der Depression und des Zweiten Weltkriegs geriet, forderte auch am Times Square ihren Tribut: Etliche Lichtspielhäuser wurden abgerissen und durch Bürobauten ersetzt. Der einstige Glanz des Areals war verblasst, und das Entertainment konzentrierte sich auf das Sexgewerbe.


Neues Wahrzeichen

In Übereinstimmung mit den stadtbildästhetischen Postulaten des Bürgermeisters Rudolph Giuliani begann die «New York State Urban Development Corporation» in den achtziger Jahren, mit erheblichen finanziellen Mitteln dem Schmuddel-Image den Garaus zu machen. Drogenhandel und Prostitution verschwanden aus dem Strassenbild, Pornoschuppen und Sexkinos wurden geschlossen. An ihre Stelle traten die Exponenten der globalisierten Unterhaltungsindustrie: Disney, Virgin oder MTV mit ihren Megastores und Indoor-Entertainment-Centers. Man muss den früheren Zeiten nicht nachtrauern, und doch wirkt der gentrifizierte und der konfektionierten Unterhaltungsindustrie ausgelieferte Times Square heute steril. Robert A. M. Stern hat gemeinsam mit dem Grafiker Tibor Kalman eine Gestaltungssatzung ausgearbeitet, die Proportionen und Massenentwicklung festlegt - und schliesslich auch den Einsatz der Leuchtreklamen und Billboards, ohne die der Times Square eben nicht der Times Square wäre. Exzeptionell sind die Bauten der jüngsten Zeit indes kaum geraten. Zunächst hatten Philip Johnson und John Burgee den Auftrag erhalten, die Kreuzungen von Broadway und 7th Avenue mit der 42nd Street durch vier Hochhäuser zu markieren. Das Projekt scheiterte, als Nachfolger konnten Fox & Fowle zwei Türme realisieren: das Condé Nast und das Reuters Building (1999/2001). Gerasterte Lochfassaden verbinden sich mit gekurvten gläsernen Bauteilen, doch vermag das auf zeitgemäss getrimmte Pasticcio aus Set-Back-Building und Streamline- Design nicht zu überzeugen.

Ein einziges Gebäude sticht aus dem Einerlei der Investorenarchitektur rund um den Times Square hervor: das von dem in Miami ansässigen Architekturbüro Arquitectonica entworfene Hotel «The Westin at Times Square»; im Wettbewerb 1994 hatte sich das Team gegen die Konkurrenz von Zaha Hadid und Michael Graves durchgesetzt. Genaugenommen befindet sich der Bau nicht am Times Square, sondern etwas weiter westlich, an der Kreuzung von 42nd Street und 8th Avenue. Die Lage schräg gegenüber dem von Pendlern frequentierten Port Authority Bus Terminal lässt das Gebäude zu einem neuen Wahrzeichen von Manhattan avancieren.

Arquitectonica wurde 1977 von dem in Lima geborenen Bernardo Fort-Brescia und seiner Partnerin Laurinda Spear (sowie drei weiteren Partnern, die das Büro inzwischen wieder verlassen haben) gegründet. Um 1980 überraschten die gerade einmal 30-jährigen Architekten mit einer Reihe von Apartmentkomplexen an der Biscayne Bay und am Brickell Boulevard in Miami. Immer wieder ist es die Farbe, ist es die Plastizität der Volumina, mit welcher Arquitectonica Akzente setzt; die Tradition der Moderne verbindet sich collageartig mit der Populärkultur des Südens der USA. Dabei wahren die Architekten Abstand zu geschmäcklerisch-dekorativen Lösungen postmoderner Provenienz. Auch wenn die wichtigsten Projekte des Büros in Florida realisiert wurden, ist Arquitectonica inzwischen weltweit erfolgreich: Im japanischen Fukuoka entstanden ebenso Bauten wie in Peru oder auf den Philippinen. Mit einem Bankgebäude in Luxemburg und dem «Dijon Performing Arts Center» ist das Team auch in Europa vertreten.


Aussen und innen

Entsprechend den von Robert Stern erarbeiteten Vorgaben gliedert sich der Baukomplex in drei Teile: ein «Retail Podium» entlang der 42nd Street, den Hotelturm an der 43rd Street und einen dazwischen befindlichen, blockartigen Körper, den die Architekten «Rock» nennen. Auffälligstes Merkmal ist zweifellos der Turm, der durch einen gekurvten weissen Lichtstreif gleichsam zweigeteilt scheint, als sei ein Meteorit in Midtown Manhattan eingeschlagen. Die beiden in Pultdächer auslaufenden Hälften sind nicht nur unterschiedlich hoch, sondern wurden auch hinsichtlich ihrer Oberflächen gegensätzlich materialisiert: Als Basismaterial der östlichen Hälfte dienen erdig-bronzefarbene Scheiben, die von horizontalen Streifen in anderen Farbtönen durchsetzt sind, während blaugraues Glas mit vertikalen Streifen die westliche Partie prägt. Davor lagert sich der in verschiedenen Brauntönen verkleidete «Rock», dessen Oberflächen durch Origami-ähnliche Faltungen in Bewegung gebracht sind. Den Abschluss bildet der «E Walk» entlang der 42nd Street, ein durch Werbeelemente überfrachtetes Arrangement aus Kinos, Restaurants und Geschäften, das zwar im Masterplan von Arquitectonica angelegt war, dann jedoch von der Firma D'Agostino Izzo & Quirk detailliert und ausgeführt wurde.

Um die einträglichen Shopping-Flächen zu maximieren, wurde der Haupteingang zum Hotel an die Ecke von 8th Avenue und 43rd Street gelegt. Ähnlich wie bei Philippe Starcks Hotel «Hudson» aus dem Jahr 2000 muss man zunächst eine Rolltreppe benutzen, um zur Lobby zu gelangen, die sich über dem Podium befindet. Der Empfangsbereich gibt sich modern und elegant: Die Wandverkleidung hinter der Rezeption zitiert das Origami-Motiv des «Rock», während in den Teppichen, den Deckenleuchten und den Liftschächten das Streifenmotiv des Turms zitiert wird. Variiert erscheinen die Streifen auch in den Aufzugskabinen, in der Bar und schliesslich in den Hotelzimmern, deren geschmackvolle Einrichtung ebenfalls Arquitectonica übertragen wurde. Über der Lobby befinden sich auf mehreren Ebenen Konferenzbereiche, während die meisten der insgesamt 863 Zimmer in den 45 Geschossen des Turms angeordnet sind. Der suggestivste Innenraum liegt etwas versteckt: das Atrium inmitten des «Rock». Auf drei Seiten umgeben Galerien, von denen aus weitere Hotelzimmer und Suiten zu erreichen sind, den Luftraum; die vierte Seite wird durch die Fassade des Turms gebildet, so dass der Lichtbogen des Kometenschweifs den Raum beherrscht.

Mit dem stadtbeherrschenden «Westin Hotel» setzt sich die Sequenz qualitätvoller Architektur fort, die nach einer Ära der Stagnation in Manhattan neue Impulse setzt. Ermutigend ist besonders, dass sich die Gestaltung des Hotels nicht nur auf das Äussere beschränkt, sondern den Architekten auch Gelegenheit gegeben wurde, ihre Gestaltung im Inneren fortzusetzen. Das ist, wie man von vielen Hotelketten weiss, heute keine Selbstverständlichkeit.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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