Bauwerk

Laban Dance Centre
Herzog & de Meuron - London (GB) - 2003
Laban Dance Centre, Foto: Margherita Spiluttini
Laban Dance Centre, Foto: Margherita Spiluttini

Dem Tanz ein Regenbogen-Haus

Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron

5. Februar 2003 - Lilo Weber
Arm und Reich - der Gegensatz ist allgegenwärtig in London. Doch so eklatant zeigt sich der Wechsel selten wie auf dem Spaziergang der Themse entlang nach Greenwich: Essen mit Stil in den Conran-Tempeln von Butler's Wharf, Wohnen mit Gewürzgeruch in ehemaligen Lagerhäusern, Glaspaläste, Blocks, den Schiffen nachempfunden, die hier nicht mehr fahren, schmucke Reihenhäuschen - der Reichtum will nimmermehr aufhören. Plötzlich tauchen drei Hochhäuser auf, schwarz das eine, weiss die beiden andern, düster alle drei. Deptford, South East London. Hier ist die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie im Londoner Mittel, und die Durchschnittseinkommen sind tiefer als fast überall sonst im Vereinigten Königreich. Nahezu die Hälfte der Kinder erhalten Schulmahlzeiten, über ein Drittel der Haushalte werden von allein erziehenden Eltern organisiert. Das Viertel hat einen hohen Flüchtlingsanteil, ein Drittel der Einwohner gehört ethnischen Minoritäten an. Hierhin, in eine Gegend, welche zu den ärmsten Grossbritanniens gehört, haben Herzog & de Meuron ihr zweites Londoner Werk gesetzt: das Laban Dance Centre. Der 22 Millionen Pfund teure Neubau, der heute Mittwoch offiziell eröffnet wird, umfasst eine Ausbildungsstätte für Tänzer, Choreographen, Tanzlehrer und Community-Arbeiter sowie ein Theater mit 300 Plätzen.

Leuchtende Architektur

Diese Laterna magica ist ein weiteres Gebäude der Basler Architekten, das durch Einfachheit strahlt - leuchtend in der Nacht, reflektierend bei Tage. Geschaffen wurde es in Zusammenarbeit mit dem Künstler Michael Craig-Martin, der mit Herzog & de Meuron bereits an der Leucht-Box der Tate Modern wirkte. Nun wurden die gerundeten Fassaden mit halbtransparentem Polykarbonat - farblos, grün, türkis und magentarot - eingekleidet, was das Haus leicht und transluzid erscheinen lässt. Wie die Tate Modern steht auch Laban in Kommunikation mit einem Barockbau, auch hier St. Paul's genannt, wenngleich viel kleiner als Wrens Meisterwerk. Während die Tate Modern durch die neue Fussgängerbrücke mit der mächtigen St. Paul's Cathedral in eine Achse gebracht wird, blickt man vom Eingangstor des Laban in gerader Linie auf St. Paul's Deptford und umgekehrt. Dazwischen liegt eine stark befahrene Strasse, die den schnurgeraden Zugang fast so schwierig macht wie die Themse und recht eigentlich nach einer Fussgängerpassage ruft.

Nähert man sich dem im Volksmund bereits «Rainbow Building» genannten Bau aber von der Themse her, ist er leicht zu übersehen. Aus dem Schmutz steigt er empor, hinter Lagerschuppen, Reifendepots, Schutt und Stacheldraht. Ein Kubus, lang und flach, der die Stimmungen der Umgebung aufnimmt, den Himmel spiegelt und die Erde ein bisschen versöhnlicher stimmt. Der Geruch ist nicht zu ignorieren, die Trostlosigkeit nicht zu übersehen: Der Deptford Creek liegt stinkend, dreckig, und triebe die Flut einen toten Hund an den vor sich hin rostenden Kähnen vorbei - man würde ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Noch sind hier die Erinnerungen an Schutt und Asche wach, in welche der Osten Londons unter dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs versank. Aufgeräumt wurde lange nicht, weshalb der auf der Insel seltene Gartenrotschwanz hier nistet - er soll sich in Bombenlandschaften heimisch fühlen. Herzog & de Meuron haben das Dach ihres Gebäudes mit der Erde des Creek bedeckt, auf dass der Vogel sich weiterhin wohl fühle, und ihren Bau unterteilt mit kleinen Innenhöfen, in denen Mooslandschaften auf Vulkangestein wachsen sollen, als Ruhepole in diesem quirligen Tanzhaus.

Vom Monte Verità an die Themse

Aussenleben - Innenleben: Die Laban-Schule hat sich schon immer der Gemeinschaft verpflichtet gefühlt. Jeder Mensch ist ein Tänzer - davon war der ungarische Tänzer, Choreograph, Pädagoge und Theoretiker des modernen Tanzes, Rudolf von Laban (1879-1958), überzeugt. Auf dem Monte Verità wurde jener Tanz, der aus der Körpermitte heraus in die Extremitäten strömt und Körper, Geist und Seele vereint, erprobt. In riesigen Bewegungschören wurde alsdann der tanzende Mensch gefeiert, auch an der Eröffnungsfeier der Berliner Olympischen Spiele von 1936, bevor Laban von den Nazis zum Staatsfeind deklariert wurde und nach England auswanderte. Hier gründete er in den späten vierziger Jahren das Art of Movement Studio in Manchester, das später nach Addlestone in Surrey verlegt wurde und 1974 unter der Leitung von Marion North und dem Namen Laban Centre for Movement and Dance nach New Cross London. 350 Studierende aus 35 Ländern erwerben sich hier derzeit einen BA in Tanztheater, einen MA in Tanz-Performance, Choreographie, Szenographie oder einen MSc in Dance Science, einer neuen Ausbildung, die sich stärker mit Anatomie und Physiologie des Körpers befasst. Daneben werden Pilates-Lehrer ausgebildet, insbesondere auch Community-Dance-Pädagogen, legt man doch immer noch viel Gewicht auf die Arbeit mit Amateuren. Deshalb versteht sich Laban auch als Sammelbecken für die Bewegungen im Quartier und bietet Tanzkurse für Kinder und Erwachsene an.

Herzog & de Meuron haben nicht nur Ziel und Zweck dieser Institution, sondern auch ihre Geisteshaltung in die Architektur aufgenommen. Das Innere des Tanzhauses folgt klar der Funktion: 13 Studios, ein Theater mit tiefer Bühne und guter Aufsicht, viel Platz für die umfangreiche Bibliothek, Physiotherapieräume, Pilates-Studio, Cafeteria, verbunden durch Gänge, Strassen genannt, welche die Farben der Fassade tragen: Türkis, Grün und Pink. Diese Räume treten mit der Aussenwelt in ein Zwiegespräch, wechselhaft, irisierend, da - wie dies der Tanzkunst immanent ist - ganz und gar dem Auge verpflichtet, dem, je nach Lichtverhältnissen und Standort, mal mehr, mal weniger von dieser Kunst preisgegeben wird. Verspiegelte Fenster lenken den Blick. Wer bei Tag ums Haus geht, mag in den Fenstern den Turm von St. Paul's oder die Wolken, den Creek und die ganze Trostlosigkeit sehen, und irgendwo wird darin eine Conga aufscheinen, ein Tänzerbein sich strecken. Des Nachts aber werden die Fenster zu einzelnen Steinen des Tanzhaus- Puzzles: Tänzer an der Stange, gebeugte Rücken am Computer, die Nähmaschinen der Schneiderei, die Anlagen der Technik, während im Übrigen die Körper zu Silhouetten verschwimmen hinter den schillernden Kunststoffscheiben. Es ist dies ein leuchtendes Zeichen an die Umgebung: Seht her, was wir machen! Gleichzeitig schützt die Fassade die Privatsphäre der Tanzenden.

Nähert man sich dem Bau von St. Paul's Deptford her und somit wohl auf dem rechten Weg, wird der Turm, der barocke, zusehends verschwinden auf der Fassade. Der Bau präsentiert sich als schlichte, homogene Form, aufgelöst nur durch die sich ablösenden Bilder in den Fenstern. Im Innern aber darf auch ein bisschen Spiel und Chaos sein. Zwei an eine Muschel erinnernde massive schwarze Wendeltreppen verbinden die beiden Stockwerke, die eine trennt gleichzeitig die beiden Strassen, die vom Eingang herführen, nach unten zu Pilates, nach oben ins Theater. Über das schwarze Material zieht ein hölzerner Handlauf, gebogen, organisch anmutend und ein merkwürdiges Zeichen in dieser streng formalen Landschaft. Und doch der Tradition, die hier gepflegt wird, wahlverwandt.

Sie sollen damals nackt getanzt haben auf dem Monte Verità, den freien Tanz gepflegt, was immer das heissen mag. Indes war Rudolf von Laban ein sehr formbewusster Mensch, der die Tanzkunst zu systematisieren und sie in eine Schrift zu binden trachtete, die Labanotation. Seine Theorien werden hier selbstredend gelehrt, und selbstredend wird hier Technik trainiert. Schwerpunkt bildet indes der kreative Akt, und es ist kaum Zufall, dass in der Londoner Tanzszene viele Choreographen vom Laban Centre kommen. Nun haben Herzog & de Meuron der Kreativität ein Haus geschaffen, dem Chaos Deptford eine klare Form gegenübergestellt, in der Labans Vision vom Tanz als lebendiger Architektonik sich entfalten kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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