Bauwerk

Walt Disney Concert Hall
Frank O. Gehry - Los Angeles (USA) - 2003

Im Namen der Rose

Eröffnung der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

28. Oktober 2003 - Peter Hagmann
I did it. Stellte mich mitten auf die Champs- Elysées, blickte in die Strassenschlucht und liess die Wolkenkratzer wirken. Natürlich nicht auf die wirklichen Champs-Elysées, sondern ihr Abbild in der Neuen Welt, die Grand Avenue in Downtown Los Angeles, die aus gegebenem Anlass gesperrt und autofrei war. Der Anlass: die Eröffnung der neuen Walt Disney Concert Hall des Architekten Frank Gehry und des Akustikers Yasuhisa Toyota, die mit drei Konzerten, einer Ausstellung zum Werk des Architekten, mit Empfängen und Feuerwerk begangen wurde. Das Kulturzentrum auf dem Bunker Hill mit dem Dorothy Chandler Pavilion, in dem die Los Angeles Opera jetzt allein residiert, und den beiden anderen Theatern des Music Center, mit dem Museum of Contemporary Art und der privaten Colburn School of Performing Arts hat durch den Konzertsaal eine kräftige Aufwertung erfahren. Ob die Grand Avenue damit ihrem Vorbild näher kommen und die Riesenstadt in Kalifornien ein Wahrzeichen jenseits von Hollywood erhalten wird, muss die Zukunft weisen.

Der Haupteingang mit seiner Treppe aus Travertin nimmt sich schon einmal vergleichsweise bescheiden aus - aber das hat auch damit zu tun, dass der eigentliche Eingang dort liegt, wo es zu den Parkplätzen geht. In dieser so sehr in die Breite gestreuten Stadt, in der es nur wenig öffentlichen Verkehr gibt, bewegt man sich mit dem Privatauto, und so hat die Regionalverwaltung, die das Grundstück zur Verfügung gestellt hat, eine sechsstöckige Tiefgarage gebaut, die ebenso viele Plätze aufweist wie der Konzertsaal. In den hellen, weiten Foyers, denen sich zahlreiche Nebenräume für Einführungsveranstaltungen und private Versammlungen anschliessen, fallen die gekurvten Holzelemente auf, die wie riesige Rispen in die Höhe streben. Der Weg an den Platz führt an einer Wand aus Filz vorbei, an der die Namen unzähliger Gönner aufgeführt sind; tatsächlich sind die 274 Millionen Dollar für den Bau des neuen Konzertsaals voll und ganz von privater Seite aufgebracht worden - eine Bürgerinitiative der besonderen Art.

Runde Formen dominieren auch den Konzertsaal. Von Anfang an hatte die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun als Vorbild gegolten. Der Akustiker Yasuhisa Toyota vom Büro Nagata in Tokio hatte dem entgegengehalten, dass die parallelen Wände der Schuhschachtel, die etwa dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein zugrunde liegt, der Klangentfaltung im Saal dienlicher seien. Weshalb Gehry einen Mittelweg gewählt hat. Im Grundriss geht die Disney Hall von einem Rechteck aus, doch präsentiert sie sich nicht in italienischer Anordnung mit dem Podium vorne und den Sitzreihen dahinter; die Plätze sind vielmehr wie in der Berliner Philharmonie in steil ansteigenden Gruppen zusammengefasst, die, den Terrassen eines Weinbergs gleich, um das Podium verteilt sind. Eine Art Arena also - und die weiche Rundung bestimmt auch die durchwegs in Holz gehaltenen Verkleidungen der Wände und der Decke. Selbst bei der Orgel hat Gehry das stramme Nebeneinander der Pfeifen zu vermeiden gesucht - und deshalb den Prospekt als einen etwas durcheinander geratenen Blumenstrauss entworfen, hinter den die deutsche Firma Glatter-Götz das (noch nicht fertig intonierte) Instrument gebaut hat.

Hinter dem Raumkonzept steht die Überzeugung, dass das Konzert seine Attraktion vorab aus dem Live-Charakter und dem gemeinschaftlichen Erleben gewinnt - in einer Medien-Stadt wie Los Angeles mag das besonders ins Gewicht fallen. Trotz der relativ hohen Zahl von 2226 Plätzen sollte das Gefühl der Intimität und der direkten Wirkung erhalten bleiben. Der Blick aufs Podium wie in den Kreis der Zuhörerschaft sollte von allen Plätzen aus gewährleistet sein; und der Klang sollte so unmittelbar aufs Ohr treffen, dass sich der Zuhörer involviert, ja körperlich angesprochen fühlt. Das ist alles eindrücklich gelungen. Der mit floralen Mustern dekorierte, bunte Bezug der Sitze ist gewöhnungsbedürftig, aber optisch wirkt der übrigens durch Tageslicht erhellte Saal in keiner Weise monumental. Und die Akustik, die sich ja nicht bis ins Letzte errechnen lässt, gehört zum Besten in diesem Bereich. Wie im Luzerner Konzertsaal von Jean Nouvel und Russell Johnson sind die musikalischen Abläufe bis in die Einzelheiten zu verfolgen, doch anders als bei diesem eigentlichen Gegenstück strahlt der Klang Fülle, Wärme und direkt einwirkende Kraft aus - wie in dem ebenfalls vom Büro Nagata gestalteten Kitara-Saal im japanischen Sapporo.

Wenn sich die Disney Hall als konventioneller Konzertsaal mit fester Bestuhlung und nur wenig modifizierbarer Akustik versteht, so herrscht hier doch ausgeprägt der Geist der Gegenwart. Das ist dem Los Angeles Philharmonic und Esa-Pekka Salonen, seinem Chefdirigenten, zu verdanken. Seit Jahren liegt in den Programmen der Akzent auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts - was sich auch in den drei Eröffnungskonzerten niedergeschlagen hat. «Sonic LA» nannte sich das erste, und es führte von der kleinsten Besetzung mit der Sängerin Diane Reeves, welche die amerikanische Nationalhymne solo vortrug, über die Raumwirkungen in «The Unanswered Question» von Charles Ives zur Grossformation von Igor Strawinskys «Sacre du printemps» - der in einem Saal mit dem Namen Walt Disneys natürlich nicht fehlen durfte.

Am zweiten Abend, «Living LA», stellte Salonen mit den «LA Variations» ein eigenes Stück vor und gab es das Cellokonzert von Witold Lutosawski mit dem blendend aufgelegten Yo- Yo Ma sowie eine gewiss anregend ausgedachte, aber für europäische Ohren fragwürdige Uraufführung von John Adams. Bis hin zu der Filmmusik von «Soundstage LA» am dritten Abend bewährte sich das Los Angeles Philharmonic, das anders als die amerikanischen Orchester auf einem gestuften Podium auftritt, als ein Klangkörper von hoher Qualität; jetzt, da es nicht mehr im 3000 Plätze fassenden Opernhaus des Dorothy Chandler Pavilion, sondern im eigenen Saal auftreten kann, eröffnen sich ihm bemerkenswerte Perspektiven.

Wer mochte, konnte in der Pause den erhöhten Park aufsuchen, der, auf zwei Seiten des Gebäudes, über den Büros sowie den grosszügigen Garderoben, Üb- und Aufenthaltsräumen angelegt ist. Auch hier südlich helle Bodenplatten und schon grosse Bäume, die so ausgewählt seien, dass sich je nach Jahreszeit eine andere Blütenpracht einstellt. Da begegnet man dem kleinen Einfamilienhaus, das Gehry für Esa-Pekka Salonen und die Gastdirigenten entworfen hat, und der separaten Lounge für die besonders zahlungskräftigen Donatoren, die nicht mit dem matten Edelstahl des Hauptgebäudes, sondern mit dessen glänzender Ausführung eingefasst ist. Und man kann jenen Brunnen aufsuchen, den Gehry in Form einer grossen Rose gestaltet hat; Liliane Disney, die Witwe von Walt Disney, die zusammen mit ihrer Familie ein gutes Drittel der Baukosten getragen hat, sei eine Liebhaberin von Blumen, insbesondere von Rosen gewesen. Ein Idyll ist das hier - gut abgeschirmt von der Armut, die wenige Schritte weiter, in dem ganz und gar mexikanisch geprägten Teil der Innenstadt herrscht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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