Bauwerk

Neubau und Sanierung HTBLVA Spengergasse
Otmar Hasler - Wien (A) - 2012

Vom Blockrand zum Campus

Erste Schritte zu einer neuen Lernkultur: Otmar Haslers Erweiterung und Sanierung der HTL Spengergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk.

12. Mai 2012 - Christian Kühn
Die Höhere Technische Lehranstalt in der Spengergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk gehört mit 1350 Schülern und 170 Lehrern zu den größten Schulen Wiens. Sie geht auf eine Gründung Maria Theresias im Jahr 1758 zurück, die den Mangel an Fachkräften im Bereich der textilen Gewerbe beheben sollte und ab 1881 unter dem Namen „Lehranstalt für Textilindustrie“ geführt wurde. Ihren Bezug zum Textil hat sie bis heute behalten, und so bietet sie neben textiltechnischen Ausbildungen auch eine Ausbildung für Kunst und Design an, die aus dem „Musterzeichnen“ hervorgegangen ist. Mehr als die Hälfte der Schüler besucht heute aber die Abteilung für EDV und Organisation, die an der Schule seit Mitte der 1970er-Jahre als zweites Standbein aufgebaut wurde.

Dieser über 250-jährigen Geschichte entsprechend, ist die Schule in einem sehr heterogenen Gebäudebestand untergebracht, der drei Seiten einer Blockrandbebauung einnimmt. Der älteste, nach Norden gerichtete Teil an der Ecke Spengergasse/Siebenbrunnengasse stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die längere Front zur Spengergasse wird von einem mächtigen, teilweise in Sichtziegelmauerwerk ausgeführten Gebäude aus dem Jahr 1898 dominiert, dem ehemaligen „Landwehrmonturdepot“, ursprünglich ein Uniformlager der Armee. Abgeschlossen wurde diese insgesamt 140 Meter lange Front von einem weiteren gründerzeitlichen Gebäude, das vom Uniformlager durch eine neobarocke Toreinfahrt getrennt war. Zu dieser Toreinfahrt gab es am anderen Ende des Gebäudes ein symmetrisch angelegtes Pendant, wodurch das Uniformlager als frei stehender Monumentalbau zur Geltung kam. Nach 1945 wurden diese städtebaulich wichtigen Zäsuren wie Zahnlücken mit viergeschoßigen Einbauten geschlossen, die sich mehr schlecht als recht an den historischen Bestand anzupassen versuchten.

Im Jahr 2006 lobte die Bundesimmobiliengesellschaft einen EU-weit offenen Wettbewerb zur Erneuerung des Schulkomplexes aus. Man entschied sich dafür, den südlichsten Teil komplett abzubrechen und hier einen Neubau mit zwei Turnsälen und Klassenräumen zu errichten. Das desolate Uniformlager sollte saniert, und die Werkstätten im Hof sollten erneuert werden.
Nach dreijähriger Bauzeit konnte die nach dem Entwurf des Wiener Architekt Otmar Hasler erneuerte Schule heuer wieder bezogen werden. Sein Konzept zeichnet sich durch die Idee aus, die Blockrandbebauung aufzubrechen und die Schule zumindest stadträumlich wieder nach außen zu öffnen. Diese Öffnung war in der ursprünglichen Anlage durch die Freistellung des Uniformlagers bereits angelegt. Hasler geht aber einen Schritt weiter, indem er den Straßenraum ohne Barrieren direkt in den Hofraum hineinzieht, um die Schule als „Campus“ erlebbar zu machen. Zwei überdeutlich angebrachte Überwachungskameras signalisieren allerdings, dass hier auf Kontrolle großer Wert gelegt wird, und auch der verschiebbare Schranken, mit dem der Zugang am Abend gesperrt werden kann, ist kein leichtes Gitterwerk, sondern wirkt eher wie eine Panzersperre. Dass auf deren Ende noch das Verkehrszeichen für „Einfahrt verboten“, also ein roter Kreis mit weißem Querbalken, prangt, und die Altstoffcontainer dort stehen, wo man eigentlich ein paar Sitzbänke erwarten würde, konterkariert die einladende Botschaft der Architektur nochmals deutlich. Die Schulleitung scheint diesem zusätzlichen Eingang in ihr Reich also noch etwas reserviert gegenüberzustehen. Von den Nutzern wird er aber gut angenommen, und bei einer 140 Meter langen Anlage dürften die Vorteile doch deutlich überwiegen.

Der freigestellte neue Trakt zeichnet sich durch eine glänzende Aluminimumhaut aus, die aus vertikalen Lamellen vor einer großteils verglasten Fassade besteht. Die Lamellen werden computergesteuert dem jeweiligen Sonnenstand nachgeführt, können aber auch von Hand justiert werden. Nur vor den tragenden Betonstützen in der Fassade sind die Lamellen fix, wobei die Anzahl dieser fixen Lamellen von Geschoß zu Geschoß variiert, um den Eindruck vertikaler Bänder zu vermeiden. Die Frage, ob es sinnvoll ist, eine südseitige Fassade in Glas auszuführen und dann wieder mit Lamellen zu schließen, liegt nahe. Die Lichtstimmung in den Klassen ist jedenfalls gut, und da Hasler die Parapethöhe der Fenster auf nur 60 Zentimeter gesetzt hat, wirken die Räume großzügig und offen.

Auch zum Gang hin gibt es neben jeder Klassentüre eine fast gleich breite raumhohe Verglasung, die zur Belichtung der Innenzone beiträgt und einen Einblick in den Unterricht zulässt. Man kann das als vorsichtigen Schritt zu einer veränderten Lernkultur betrachten, in der nicht nur das einzelne Klassenzimmer, sondern das ganze Schulhaus ein Ort des Lernens ist und eine Lerngruppe sich auch einmal „am Gang“ aufhalten kann. Falls sich irgendwann die Idee durchsetzen sollte, eher im Team zu lehren und zu lernen – wofür es eine andere Raumstruktur mit unterschiedlich großen Vortragsräumen und mehr offenen Lernräumen bräuchte –, ist der Neubau in der Spengergasse dafür jedenfalls gerüstet: Es gibt keine tragenden Innenwände, die einer Neuordnung des Grundrisses im Wege stünden. Im Altbau wurde vor der Bibliothek zumindest ein solcher offener Lernraum eingerichtet.

Die Lastabtragung ohne innere Stützen ermöglichte es, die beiden Turnsäle im Keller des Neubaus unterzubringen. Hasler ist es gelungen, von mehreren Seiten natürliches Licht in diese Säle zu bringen, ein nicht gering zu schätzendes Kunststück. Geholfen hat dabei die Idee, den lang gestreckten Hof gegen das Gefälle abzusenken, wodurch eine zusätzliche Belichtung möglich wurde.

Im Hof sind an der Längsseite alle Labors und Werkstätten aufgereiht. Sie werden von oben belichtet und über einen langen Gang erschlossen, der als gedeckte Erweiterung des Hofs wirkt. Erst die Durchgängigkeit quer durch alle Trakte verdeutlicht die Einheit der Schule, deren Teile sich mit ihren unterschiedlichen Qualitäten zu einem gelungenen Ensemble ergänzen.

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