Bauwerk

Wohnhaus Neustiftgasse
Walter Stelzhammer - Wien - 2012
Wohnhaus Neustiftgasse, Foto: Rupert Steiner
Wohnhaus Neustiftgasse, Foto: Rupert Steiner
Wohnhaus Neustiftgasse, Foto: Rupert Steiner
Wohnhaus Neustiftgasse, Foto: Rupert Steiner
11. Januar 2013 - Az W
Das Wohn- und Atelierhaus in der Neustiftgasse wurde in den vergangen Jahren etappenweise saniert und ausgebaut, wobei die baulichen Veränderungen sich straßenseitig nicht ablesen lassen. In der Tradition der Gründerzeithäuser öffnet sich hofseitig eine eigene Welt, die mit der Straßenansicht nichts gemein hat, bestehend aus Hoftrakten und niedrigeren Hofhäusern, die traditionell für Gewerbe- und Atelierzwecke genutzt wurden. Über die Entstehungszeit der Hofhäuser gibt es keine Aufzeichnungen, da die Pläne beim Brand des Justizpalastes vernichtet wurden.

Der 5-geschossige Straßen- und Hoftrakt wurde im Zuge der Sanierug nachträglich mit Balkonen ausgestattet, die sich von den vereinzelten „Klopfbalkonen“ der Gründerzeit unterscheiden, indem sie über eine Tiefe verfügen, die den Nutzern Aufenthaltsqualität bietet. Der bestehende Dach- und Trockenboden des Straßentraktes wurde um 2 Maisonette-Wohnungen mit Galeriegeschoss ausgebaut. Die Erdgeschosszone verfügt über einen Kinderwagen- und Fahrradraum, 4 Garagenstellplätze und ein Gassenlokal.

Der neu gepflasterte Innenhof führt nach hinten, in den dritten Hof. Hier erfolgte eine weniger konventionelle Sockelsanierung: Das hier befindliche viergeschossige Hofgebäude durfte aus bauphysikalischen Gründen nicht aufgestockt werden. Der Architekt erweiterte das Hofhaus durch einen sechsgeschossigen Zubau, der an den Bestand anschließt und als Querriegel das Hofgebäude um zwei Geschosse überragt. Der Neubau ist statisch unabhängig vom Hofgebäude. Das bestehende Stiegenhaus wurde mit einem behindertengerechten Lifteinbau ausgestattet und komplett erneuert. Brüstungen aus Aluminium-Massivplatten sowie ein Boden mit industriellem Charakter (Nivelliermasse auf zementärer Basis) sind eine gelungene Reminiszenz an die Werkstättennutzung der Gründerzeit-Hofhäuser.

Entsprechend der traditionellen Hofgebäudenutzung werden die unteren vier Geschosse auch heute noch als Ateliers genutzt. Die nicht von der Hand zu weisenden Nachteile, die eine Nachverdichtung in Innenhoflage bietet – weniger Licht, direkte Einblicke in den privaten Wohnraum – fallen bei einer gewerblichen Nutzung weit weniger ins Gewicht als bei einer Wohnnutzung. Die Vorteile für die Ateliermieter überwiegen: der neugebaute, anschließende Querriegel erweiterte das Raumangebot, die Hoflage bietet Ruhe und eine Atmosphäre, die man beim Verlassen der stark befahrenen Neustiftgasse nicht vermutet hätte. Das Erdgeschossatelier verfügt im Hof über einen Mietergarten, der von der alten Begrenzungsmauer zu den Nachbargrundstücken eingerahmt wird. Die abgeschlagenen Klinker der Hofmauer bilden einen Kontrast zur begrünten Hoffläche.

Die Wohnungen in den beiden oberen Geschossen des angrenzenden Querriegels sind nicht nur baulich vom Hofgebäude losgelöst, sondern orientieren sich auch mehr zur Umgebung denn zum „eigenen Hof“. So schweift der Blick über die umliegenden Höfe der angrenzenden Häuser, eine gewachsene Wohnwelt, die selbst an einem grauen Jännertag nicht trist, sondern angesichts der Vielfalt überraschend bunt wirkt. Die Räume im neugebauten Riegel sind allesamt nach Westen orientiert – im Osten wird der Riegel von der Feuermauer begrenzt. Großzügige Fenster- sowie Türöffnungen statten die Wohnungen trotz einseitiger Orientierung mit reichlich Tageslicht aus. Den Wohnungen sind schmale „Balkonbänder“ vorgelagert, die sich über die gesamte Wohnungslänge erstrecken. Das Balkonband kann von jedem Raum betreten werden und bietet nicht nur zusätzliche Freiheitsgrade für die Bewohner, sondern leistet gleichzeitig den erforderlichen Schutz vor Brandüberschlag. Balkonausbuchtungen im Küchenbereich bieten ausreichend Platz für Sitzgelegenheiten.

Für eine Immobilie im hochpreisigen Segment verfügen für die Wohnungen über verhältnismäßig bescheidene Nutzflächen unter 100 m². Dafür sind die Grundrisse im Detail clever angelegt. Der Gang, der entlang der Feuermauer die Wohnräume miteinander verbindet, verfügt über Schrankbreite und die Proportionen der Wohnräume lassen mannigfaltige Nutzungen zu. Die Badezimmer konnten noch entsprechend der alten Bauordnung geplant werden – sie sind im Unterschied zu Badezimmern nach neuer Bauordnung kleiner dimensioniert. Die heute geltende Bauordnung verlangt, dass Badezimmer im Bedarfsfall zu 100% barrierefrei gestaltet werden können müssen. (Text: Martina Frühwirth)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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