Bauwerk

„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben
archipel architektur kommunikation - Wien (A) - 2012
„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, Foto: Rupert Steiner
„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, Foto: Rupert Steiner
3. Mai 2013 - Az W
Der neue Konzertsaal befindet sich im Wiener Augarten unweit des Palais der Wiener Sängerknaben. Nähert man sich dem neuen Konzertgebäude vom Augarten kommend, sucht man vergeblich einen Blickfang. Einzig zum Straßenraum hin darf sich das Gebäude kurz aufbäumen und Höhe vorgeben. Zur denkmalgeschützten Gartenanlage hingegen duckt sich das Gebäude gleichsam weg. Umso überraschender ist die Größe des Konzertsaals: 400 Sitzplätze und eine Bühne, die in ihrer Größe den Bühnen großer Aufführungsstätten um nichts nachsteht, würde man in dem diskreten Gebäude, welches zwei Stockwerke tief in die Erde eingegraben wurde, nicht vermuten. Wenn das Palais ein schweres Schiff, gleichsam den Hochseedampfer der Wiener Sängerknaben verkörpert, dann ist der Konzertsaal das dazugehörende Lotsenschiff, das an der Kaimauer des Augarten angelegt und sich in eine Lücke gedrängt hat.

Untypisch und prägnant, so präsentiert sich das Konzerthaus, in dem der Konzertsaal das Herzstück bildet. Um den Saal herum arrangieren sich alle weiteren Funktionen im Rahmen der finanziell und räumlich sehr eng gesteckten Vorgaben. Das Gebäude erfüllt nicht die Kriterien, die für repräsentative Aufführungsstätten gelten – großzügige Pausenfoyers, luxuriöse Ausstattungen. Der Bereich vor dem Saal ist kein Großraum, wie es heute üblich ist, sondern wickelt sich bandartig um den Saal und charakterisiert den Raum mit Linien. Die Partitur aus der Arie des Pamino findet sich mit differenziertem Lichtkonzept, dimmbar zwischen horizontalen und vertikalen Lichtelementen, an der Außenwand des Konzertsaals wieder. Ein „Leuchtenschwarm“ aus 30 Leuchten bildet einen spielerischen Hinweis auf die Gruppendynamik, wie man sie in Chören wiederfindet. Das Spiel der Asymmetrie, die das Grundstück vorgab, wird im Saal fortgesetzt und kommt der Akustik zu Gute, denn Symmetrie ist in Konzertsälen unerwünscht. Gemeinsam mit Karl Bernd Quiring aus Innsbruck haben die Architekten anhand eines 1:10 Modells am perfekten Klang „geschliffen“, bis der Entwurf schließlich den Anspruch an den Klang erfüllte und der Saal formal die von den Architekten gewünschte Einheit bildete. Schuppenartig angeordnete Paneele, die aus unterschiedlich dicken Holzlagen (Satinnuss) hergestellt sind, erfüllen ihre Funktionen als Absorber, Resonanzen und Refektoren. Die Decke präsentiert sich mit industriellem Charakter und ist mit Streckmetall (eloxiertes Aluminium) verkleidet. Das akustisch transparente Deckenmaterial erhält das gesamte Saalvolumen als Klangraum und schafft gleichzeitig aus der Publikumsperspektive einen geschlossenen Eindruck, der den Blick auf die Bühne lenkt. Satinnuss für die gesamte Wandvertäfelung und helles Splintholz für die Brüstung verleihen dem Saal eine warme Atmosphäre. Dank gepolsterter Unterseite der hochgeklappten Sitzflächen hat der Saal im besetzten wie nicht-besetzten Zustand – z.B. während Proben – die gleiche akustische Qualität.

Die Bühne entspricht in ihrer Größe Bühnen in großen Musiktheatern, was ebenfalls wichtig für die Probenerfahrung der Wiener Sängerknaben ist. Das knappe Raumangebot bietet immerhin auch Platz für eine Ehrenloge und drei Parterre-Ränge. Dass im Saal eine intime Atmosphäre entsteht, in der der „Funke“ leicht überspringt, ist kein Zufall: Die Architekten haben sich bemüht, alle Sitze möglichst innerhalb eines 20 m-Radiusses unterzubringen, um die gewünschte Nähe zu bieten. Eine versetzte Anordnung der Sitze gewährleistet eine 100%ige Sichtbarkeit, keine Selbstverständlichkeit für Konzertsäle. Der Vortragende kann die Reaktion des Pulbikums an den Augen und Gesichtszügen aus der Nähe mitverfolgen. Für frische Luft im Konzertsaal sorgt eine komplexe Lüftungsanlage. Sie bremst die Luft, entfernt den Schall aus der Luft und gewährleistet im Saal Studioqualität bei permanenter Luftumwälzung.

Nach außen „ent“-wickelt sich das Gebäude schichtenweise, wobei die Materialien nach außen hin kühler werden. Ein silberner Mantel, der das ganze Gebäude bedeckt, zeichnet die Kontur des Saales nach. Der Mantel entwickelt sich aus der Fläche des Augartens – alles im Rahmen der zulässigen Höhen, Flächen und Volumina. Die Platzierungen der Fensteröffnungen sind gezielt gewählt. Die „Verletzungen“ in der Außenhaut geben den Blick auf die unmittelbare Umgebung – das Eingangstor und die Dachlandschaft des Pförtnerhauses – frei. Ein spitzwinkeliges Fenster stellt den Blickbezug zum Palais im Augarten her, ein Panoramafenster öffnet die Galerie zum Augarten. Nach Jahren der Kritik am Bauvorhaben sind jetzt die Musik- und Theaterkritiker am Wort. (Text: Martina Frühwirth)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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