Bauwerk

Büro- und Geschäftshaus k47
Henke Schreieck Architekten - Wien (A) - 2003

Scharfer Zahn

Die Wiener Innenstadt bekommt den ersten Neubau nach dem Haas-Haus. Die verantwortlichen Architekten sind Dieter Henke und Marta Schreieck.

24. Februar 2001 - Ute Woltron
Alte Städte sind sensible Organismen, und ihre Fronten und Fassadenreihen blicken auf die Betrachter ihrerseits mit einem eigenen Mienenspiel zurück. Sie schauen dabei fröhlich oder finster drein, je nachdem, jedenfalls haben sie Charakter, Persönlichkeit und ein markantes Gesicht. Es ist für jeden Architekten ausgesprochen schwierig, in einem solchen Ensemble sinnvolle Veränderungen vorzunehmen, vor allem, wenn gleich ein ganzer Schneidezahn aus dem Gebiss zu brechen und durch einen neuen zu ersetzen ist.

Im schönen alten Gesicht der Wiener Innenstadt ist ein solcher Eingriff schon lange nicht mehr erfolgt. Nach der Errichtung des Haas-Hauses - einer Art postmoderner Schönheitsoperation neben der Steffl-Nasenspitze - gab es keine zeitgenössische Intervention größeren Formats. Nun wird, so könnte man sagen, die Stadt-Zahnreihe am Donaukanal, die den Innenstadtbesucher schon von weitem begrüßt, ein neues Implantat bekommen.

Die Vorgeschichte ist bekannt: Am Franz Josef Kai Nummer 47 befindet sich mit dem sogenannten „Kaipalast“ ein schönes und interessantes Stahlbetonhaus aus dem Jahr 1911, das, so diverse Studien, unter anderem auch eine des Bundesdenkmalamtes, zu marod und morsch in seinen Metallknochen ist, um renoviert und wiederbelebt zu werden. Vor zwei Wochen erging denn auch trotz scharfen Protests einiger Architekturleute die offizielle Abrisserlaubnis. Die Besitzerin der Liegenschaft ist die Zürich-Kosmos-Versicherung, das Unternehmen hatte, weil Zeit Geld ist, bereits einen geladenen Wettbewerb für einen neuen Büro- und Geschäftsbau an Stelle des alten Hauses veranstaltet.

Die sechs Entwürfe von Artec, Berger & Parkkinen, Dietmar Feichtinger, Henke und Schreieck, Ortner+Ortner sowie pool Architektur wurden diese Woche unter Vorsitz von Architekt Rüdiger Lainer juriert. Die Wahl des Siegerprojekts erfolgte einstimmig, es stammt aus dem bewährten Neubaugassen-Atelier der tirolerisch-wienerischen Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck. Die beiden haben den sensiblen Bauort mit behutsamen Chirurgenfingern erst von oben bis unten sorgfältig abgetastet und anschließend ein passendes und trotzdem eigenständiges Implantat für die Baulücke entworfen.

Das neue Haus tanzt nicht aus der Reihe, es hält sich an Bauhöhen und Baulinien, und das ist gut so, weil die Narrischkeiten ohnehin auf dem anderen Donaukanalufer fröhliche Urständ feiern dürfen. Auch in einer großen Stadt muss die Ruhe da und dort ihr Plätzchen behaupten können. Städtebaulich, quasi gebisstechnisch, ist der klare, einfache Block von Henke und Schreieck also angepasst und tadellos. Die Raffinesse beginnt mit der Fassade und setzt sich im Gebäudeinneren konsequent fort.

Die Außenhülle des neuen Geschäftshauses wird wie ein vertikal gerichteter Lamellenkörper funktionieren. Man stelle sich die Kiemenschlitze eines Haifischs vor, dann ist man dort. Je nach Bedarf und Sonnenstand können die geschosshohen Glasscheiben verdreht werden. Der noch immer hochmoderne und eigentlich ziemlich widerliche Spiegelglaseffekt wird durch geätzte, flusssäuregetrübte Gläser vermieden. Das Haus wird chamäleonartig der jeweiligen Lichtstimmung entsprechen und immer ein wenig anders aussehen, je nach dem wie die Lamellen geklappt sind und das Licht fällt. Marta Schreieck: „Wenn die Sonne reinfährt, kann es richtig lilaorange leuchten, wie eine Glaskiste schaut es jedenfalls sicher nicht aus.“

Mit diesem glatten und trotzdem strukturierten Aussengesicht ersparen die Architekten sich und uns die andernorts tüpfelig mit vielen Fensterpickelchen überfrachteten Gucklochfassaden, die immer in Konkurrenz mit ihren älteren Nachbarn stehen und dabei stets irgendwie pubertär und unreif daherkommen und als architekturgewordener Generationenkonflikt unangenehm den Stadtraum dominieren.

Das Gebäudeinnere des neuen Kai-Hauses ist aufgrund gekonnter Architekturanwendung frei von Zwischenwänden aller Art, sieht man vom Stiegenhaus- und Sanitärblock ab. Die Räume sind von ihren späteren Nutzern also beliebig gestaltbar, vom Zellenbüroställchen bis zum Partysaal ist alles machbar.

Damit von oben bis unten Licht und Luft in großzügigen Mengen die Architektur durchströmen können, wurde der Block zonenweise ausgehöhlt. Der dadurch entstehende plastisch ausgeformte und die entsprechen de Vielfalt an Atmosphären erzeugende Innenhof wird überdacht. Er streckt Seitenarme in Richtung Kai und Heinrichsgasse aus, durchdringt da wie dort je ein Mal die Fassade und öffnet so die luftige Zone nicht nur gen Himmel, sondern auch in die Stadträume.

Da Architektur nicht nur Optik und Raummachen ist, haben Henke und Schreieck mit ihrem Entwurf zur Freude der späteren Betreiber auch ein intelligentes Klimakonzept mitgeliefert: Ein Wärmetauscher holt sich aus den Tiefgaragewänden die Erdwärme, schafft Temperaturdifferenzen von 8 bis 10 Grad Celsius zur Außentemperatur und hilft sommers wie winters Energie sparen. Das nur am Rande zur Info darüber, dass Architekten keine Edelhäuslbauer sondern tatsächliche Fachleute sind (die guten jedenfalls).

Ganz oben auf dem mit acht Geschossen, 26 Metern Traufenhöhe und 4.500 Quadratmeter Gesamtnutzfläche nicht übermäßig riesigen Haus schwebt zu guter Letzt ein gläserner Raum, der eine der ersten Veranstaltungsadressen der Stadt werden könnte. 120 bis 150 Millionen Schilling dürfte, so Zürich Kosmos-Finanzvorstand Rudolf Kraft, der Neubau kosten, er soll ehebaldigst in Angriff genommen werden.

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