Bauwerk

Orte für Menschen
Caramel - Wien (A) - 2016
Orte für Menschen, Foto: Paul Kranzler
Orte für Menschen, Foto: Paul Kranzler

Home made

Orte für Menschen

21. Oktober 2016 - Az W
Das Gebäude in der Pfeiffergasse stammt aus den 1990er Jahren. Früher diente es als Firmensitz für eine IT-Firma, bis diese ihren Firmenstandort verlegte und das Büro daraufhin länger leer stand. Seit November 2015 mietet nun die Caritas das überschaubar große, fünfstöckige Bürogebäude als Notquartier für Flüchtlinge. Rund 300 Menschen leben im ganzen Haus, vor allem Familien und alleinstehende Männer. Alle Bewohner:innen haben in Österreich um Asyl angesucht. Die meisten Bewohner:innen leben hier in ehemaligen Großraumbüros. Erwachsene Menschen – häufig nicht miteinander bekannt oder verwandt – teilen sich einen Raum zu sechst, zu zehnt, zu zwölft.

„Hier ging es nur darum, wie kann ich in kürzester Zeit Räume adaptieren und besser bewohnbar machen, sie personalisieren und Privatheit schaffen. Wie kann man die einzelnen Schlafplätze so voneinander abtrennen, dass jeder seine eigene kleine Zelle hat, die er selbst ein wenig gestalten kann, die er für sich bauen kann, beziehen kann und nach kurzer Zeit, wenn er wieder auszieht, sogar mitnehmen kann.“ beschreibt Günter Katherl die Ausgangslage.

Für 280 Flüchtende wurde in einem vorübergehend leerstehenden Grossraumbürogebäude mit Materialkosten von 50 € pro Person und einer Aufbauzeit von 5 Minuten pro Person individuell aneigenbare Privatsphäre geschaffen. Aus den günstigen ready-made Produkten Sonnenschirm, Bauzaunständer, Elektroleerrohre, steckbare Kunststoffwasserrohre, Vorhangstoff, Kabelbinder, Klemmleuchte und Verlängerungssteckdose entwickelten Caramel Architekten eine prototypische Raumstruktur, deren Aufbau den Flüchtenden vor Ort vorgestellt wurde.

Direkt im Anschluss daran nahmen die Kinder, Frauen und Männer die Raumstruktur zum Probewohnen in Besitz und begannen mit den bereitgestellten Nähmaschinen erste Stoffbahnen zu Vorhängen umzunähen. In gemeinschaftlicher Arbeit wurde dann ein Großraum nach dem anderen von einem offenen Feldbettenlager ohne Rückzugsecken zu Wohneinheiten mit individuell an die jeweilige Bewohnerkonstellation angepassten Raumstrukturen umgebaut (Kleinfamilie, Grossfamilie, Wohngemeinschaft).

Den Bewohner:innen des Hauses Pfeiffergasse eine Aufgabe zu geben, war ein großer Wunsch von Caramel Architekten. Sie haben daher die Bewohner und Bewohnerinnen in die Produktion der Schirmstationen und Raumteiler eingebunden – ohne Bezahlung, dafür mit kleinen Privilegien, etwa dem Zugang zum Nähzimmer und damit der Möglichkeit, sich in dem hellen Zimmer mit drei Nähmaschinen und Werkzeug zurückzuziehen und produktiv zu sein.

Die verwaiste Rasenfläche vor dem Haus wurde ebenfalls mit einfachen Mitteln nutzbar gemacht: Sonnenschirme als fröhliches Leitmotiv, Möbel aus gebrauchten Paletten, eine Kinderschaukel und kleine Pflanzenbeete bieten den Hausbewohner:innen eine mehr als willkommene Erweiterung des eingeschränkten Handlungsspielraums. (Text: Anna Soucek; Ergänzungen nach einem Text der Architekten: Martina Frühwirth)


Über das Projekt „Orte für Menschen“
Aus Anlass der Flüchtlingskrise hat sich der Beitrag für die Architektur-Biennale 2016 vorgenommen, nicht nur den Pavillon in Venedig zu bespielen, sondern sich dezentral mit drei Projekten in Wien zu befassen. Konkret wurden drei Teams beauftragt, jeweils in Zusammenarbeit mit NGOs die Adaptierung von leerstehenden Immobilien für die temporäre Unterbringung von Menschen in laufenden Asylverfahren zu planen und zu betreuen. Ziel dieser Eingriffe ist es, menschenwürdige Lebensräume für die Betroffenen zu gestalten, die Zuständigkeit der Architektur für soziale Belange einem Reality-Check zu unterziehen und die Ergebnisse in Venedig einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. (Elke Delugan-Meissl, Kommissärin)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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Architektur

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Caritas Erzdiözese Wien

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