Bauwerk

Wohnbau Siccardsburggasse
Patricia Zacek-Stadler - Wien (A) - 2003

Sehfelder, gerahmt

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

17. Januar 2004 - Judith Eiblmayr
Patricia Zacek, Jahrgang 1962, hat an der TU Wien 1991 über „Die ästhetische Komponente des Wiener Wohnbaus der 80er Jahre“ dissertiert. Sie arbeitet als Architekturkritikerin und Architektin, seit 1995 führt sie ihr eigenes Architekturbüro in Wien. Über Innenraumgestaltungen wie das Foyer des Palais Harrach und Wettbewerbsprojekte führt ihre „Denkspur“ zu einem im letzten Jahr fertig gestellten Wohnbau in Wien-Favoriten.

JE: Patricia Zacek, Sie haben kürzlich einen Wohnbau in Wien-Favoriten im Auftrag der Genossenschaft „Neues Leben“ fertig gestellt, der meiner Meinung nach zum Besten zählt, was in Wien in den letzten Jahren im sozialen Wohnungsbau errichtet wurde. Das Eckgebäude an Siccardsburg- und Hardtmuthgasse fügt sich rein baulich durch seine hohe strukturelle und ästhetische Qualität wie selbstverständlich in die schlichte Bebauung der Umgebung ein. Wie steht es um die Akzeptanz durch die Bewohner und Bewohnerinnen im Grätzel?

PZ: Das Gebäude kommt sehr gut an, es gibt viel positives Echo in der Nachbarschaft. Es handelt sich hier um ein sehr heterogenes Gefüge, sowohl baulich als auch sozial: Es findet sich niedrige Bebauung mit gewerblich genutzten Hinterhöfen neben Gründerzeithäusern und sozialem Wohnbau.
Ich versuche mit meiner Architektur nicht nur ein auf das jeweilige Grundstück beschränktes Konzept umzusetzen, sondern dem Quartier einen adäquaten Baustein hinzuzufügen, der eine Aufwertung für die ganze Gegend bedeutet.

JE: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der „Rückgabe an den Stadtraum“.

PZ: Ja, der Bebauungsplan definiert fiktive Bauvolumina, die stadtbildend wirksam werden. Wenn ich mir mit einem Neubau einen Teil des Stadtraumes aneigne, dann verstehe ich das gleichzeitig als Verpflichtung, architektonisch etwas zurückzugeben. Das versuche ich über die strukturelle Konzeption eines Bauwerks. In der Siccardsburggasse gibt es zum Beispiel den großen Einschnitt bei Stiege 1, wo der Stadtraum förmlich ins Haus einfließen kann, wie durch ein geöffnetes Tor wird die Durchsicht bis zum Gartenhof gewährt. Diese Zwischenzonen sind wichtig, die Bereiche zwischen draußen und drinnen oder, anders gesagt, zwischen Öffentlichkeit, Halböffentlichkeit und Privatheit. Die kann man natürlich architektonisch gut herausarbeiten. Dort spielt sich Leben und Begegnung ab.

JE: Diese Betonung des Schwellenbereichs setzt sich ja im Inneren fort, das Foyer an sich ist Ihnen ein wichtiges Thema, nicht nur im Wohnbau.

PZ: Wichtig ist, dass man sich nicht erst ab der eigenen Wohnungstüre mit seinem Zuhause identifiziert. Dazu gehören schon die Vorbereiche. Ich bezeichne das Foyer als die räumliche Pause vor dem Nachhausekommen oder vor dem Arbeitsbeginn. Da muss genug Raum vorhanden sein. Ich spreche bei diesen Zonen auch gerne von Bewegungsräumen, weil sie ja meistens einen Übergang darstellen. Hier kann man nicht nur mit den anderen Hausbewohnern plaudern, sondern auch beobachten, was auf der Straße passiert. Auch bei meinem nächsten Wohnbauprojekt in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf ist der Eingangsbereich zur Straße hin komplett verglast und auf leicht erhöhtem Niveau. Das bewirkt, dass man einen guten Überblick bekommt und eben auch die Kommunikation nach außen hin möglich ist. Bei der Gestaltung des Foyers des Gesundheitsamtes der Stadt Wien wollte ich ebenfalls den Bezug zum Außenraum herstellen. Der sechseinhalb Meter hohe Raum in einem Bau von Theophil Hansen liegt ebenerdig direkt am Schottenring. Eine tolle Aufgabe, wenn man mit diesen Dimensionen arbeiten darf. Die muss man natürlich auch erhalten und für das Neue interpretieren.
Ich habe die zwei raumhohen Torbögen in der Fassade vollflächig verglast und durch ein einziges begrenztes Feld auf Augenhöhe horizontal gegliedert. Somit ist ein Sichtbereich definiert, wenn jemand zum Warten in der Nische Platz nimmt und aus dem Fenster schaut. Mit diesem gerahmten Sehfeld habe ich versucht das menschliche Maß einzubringen. Gleichzeitig ergibt sich von der Ringstraße aus ein fast ungehinderter Einblick bis auf das Informationspult.

JE: Sie gewähren gerne Aus- und Einblick durch große Glasflächen – wo beginnt für Sie die Privatheit für die Nutzer?

PZ: Da spielt das Planen mit Licht eine große Rolle. Wenn die Wohnungen schon klein sind, dann sollen sie hell sein, und zwar auch die in den unteren Geschossen.
Beim Gebäude in Favoriten liegen die kleineren Wohnungen südseitig und verfügen über eine verglaste Außenwand. Sicherlich für manche ein bisschen gewagt, aber vom Lichteinfall her unvergleichlich. Vor die Glasfassade ist eine Aluminium-Rahmenkonstruktion gesetzt, darin ist der Sonnenschutz integriert. Man kann quasi das ganze Haus verhüllen.
Jeder Einzelne kann seine Fenster außen mit diesen Sonnensegeln schließen, oder innen die Vorhänge zuziehen und ist uneingesehen. Diese Schichtung in Stores, Schiebeelemente aus Glas und Vorhang erlaubt die individuelle Aneignung durch die Nutzer, also Privatheit, und bietet obendrein ein schönes architektonisches Fassadenspiel. Ich hoffe natürlich auch, dass die Leute nicht so sehr ans Abschotten denken, sondern eher den freien Blick, die Helligkeit und Großzügigkeit genießen.

JE: Sie gehen an ein Projekt bereits in einem frühen Planungsstadium detailgenau heran, inwiefern lohnt sich dieser Mehraufwand?

PZ: Wesentlich ist erst einmal eine Gesamtidee und die muss immer wieder hinterfragt und einjustiert werden. Und darauf aufbauend kommt die Detailarbeit. Sich als Architekt bei der Arbeit selbst auszureizen und zu einem frühen Zeitpunkt im Detail zu planen, lohnt sich! Vorerst ganz pragmatisch, da man die Arbeiten bereits sehr genau ausschreiben kann, das wird dann Vertragsbedingung für den Ausführenden. Dennoch ist es leider so, dass man um jedes Detail bis zum Schluss kämpfen muss. Generell ist zu sagen: Alles was ich damit an Mehrwert schaffe, bringt etwas – dem Bauherrn, den Nutzern, selbst den Bewohnern in der Umgebung. Aber ganz allgemein impliziert für mich das Planen im Großen das Nachdenken im Kleinen, die Detailarbeit ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil der Denkarbeit auch bei einem großen Projekt. Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon ein bisschen abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser. Ich bevorzuge ein klar strukturiertes Konzept, das dann auch in der Detailausführung, beim Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und unterschiedlichen Materialien halten muss.

JE: Da Sie ja auch Architekturkritikerin sind, hat die Sprache sicherlich einen besonderen Stellenwert.

PZ: Es gilt nun einmal, die Bilder, die wir als Architekten im Kopf haben, in jedem Planungsstadium so weiterzugeben, dass es alle verstehen und am gleichen Bild arbeiten. Man glaubt gar nicht, wie die Vorstellungen auseinander driften. Da muss man zuhören und gut argumentieren, um alle wieder auf eine Linie zu bringen.
Für mich gibt es begleitend zur Planung immer auch die gedankliche Beschäftigung mit der Architektur, dazu war und ist das Schreiben über Architektur eine wesentliche Bereicherung; so wie ich Handskizzen mache, bearbeite ich begleitende Themen in Form von Notizen und architektonischen Ideenbüchern. Es ist aber immer wieder ein schöner Moment, die Arbeit dann wirklich gebaut zu sehen und die architektonischen Gedanken somit ins Leben zu schicken.

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