Bauwerk

Schweizerisches Landesmuseum - Erweiterung
Christ & Gantenbein - Zürich (CH) - 2015
Schweizerisches Landesmuseum - Erweiterung © Architron

Burg oder Schloss?

Problematische Erweiterung des Landesmuseums Zürich

6. September 2002 - Roman Hollenstein
Die junge Schweizer Architektur spürt Aufwind. Nachdem sich unlängst das Zürcher Team Baumann, Buffoni und Roserens in St. Gallen mit seinem Erweiterungsvorschlag für das Kunst- und Naturmuseum gegen eine Vielzahl von Bewerbern hatte durchsetzen können, vermochten nun die beiden in Zürich und Basel tätigen, nur wenig mehr als 30-jährigen Nachwuchsarchitekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein mit ihrem Anbauprojekt für das Landesmuseum selbst namhafte internationale Konkurrenten auf die Plätze zu verweisen. Diese Erfolge sind für die architektonische Kultur unseres Landes wichtig. Dennoch gibt das Landesmuseumsprojekt zu denken. Nicht wegen seiner ästhetischen Erscheinung, sondern wegen städtebaulicher und denkmalpflegerischer Aspekte. Während nämlich in St. Gallen der Perimeter aus Ehrfurcht vor Johann Christoph Kunklers spätklassizistischem Musentempel klar von diesem abgerückt wurde, war beim Landesmuseum ein ähnlicher Respekt gegenüber dem architektonischen Patrimonium des Gull-Schlosses nicht auszumachen. Das verleitete die jungen Architekten dazu, diesen spektakulären Jahrhundertwendebau, der sich gleichermassen romantisch, malerisch und repräsentativ gibt, noch übertrumpfen zu wollen. Das Resultat sieht auf den ersten Blick bestechend aus, und man begreift die Euphorie von Preisgericht und Presse.

Hauptwerk des Historismus

Doch was sich zunächst verspielt und heiter gibt, erweist sich bei genauerem Hinschauen als massiver Eingriff in das nicht nur vom Heimatschutz, sondern auch von breiten Bevölkerungskreisen geschätzte Meisterwerk von Gustav Gull und den stadt- und gartengeschichtlich bedeutenden Platzspitzpark. Die Gull'sche Architektur und die Grünanlage bedingen einander: Mit seinem Ehrenhof dient das schlossartige Landesmuseum nämlich als Resonanzkörper des Platzspitzes, und im Park erst klingt die Architektur aus. Diese darf als ein Hauptwerk des westeuropäischen Späthistorismus bezeichnet und in Zürich ihrer Bedeutung nach durchaus neben Meisterwerken wie dem Hauptbahnhof oder den Hauptgebäuden von ETH und Universität genannt werden. In jeder anderen Stadt verstünde es sich von selbst, dass ein solches Gebäude von einem Neubau nicht oder nur ganz vorsichtig tangiert werden dürfte. Doch in Zürich, wo man sogar die Schaufront des Opernhauses mit einem Glasriegel verstellen will, liess man es fast ohne Widerspruch zu, dass Stimmen aus dem Bundesamt für Kultur und aus baugeschichtlich wenig interessierten Architektenkreisen lauthals einen Abriss des Landesmuseums fordern durften. Dabei war dieser Bau für die 1890er Jahre, was das KKL für unsere Zeit ist: ein architektonisches Symbol - und dies allen funktionalen und konstruktiven Mängeln zum Trotz.

Nun kann es hier nicht darum gehen, die Notwendigkeit einer Erweiterung des Landesmuseums in Frage zu stellen, aber doch darum, der architektonischen und denkmalpflegerischen Vernunft eine Lanze zu brechen. Denn es muss darauf hingewiesen werden, dass der zur Diskussion stehende Erweiterungsvorschlag trotz seiner gestalterischen Attraktivität in der vorgeschlagenen Form einer weitgehenden Zerstörung des Gull- Baus gleichkommt. Nicht nur, weil der Verwaltungsflügel abgebrochen und so die stadtseitige Fassade stark beeinträchtigt werden soll, sondern mehr noch, weil die wie eine barocke Halskrause oder wie ein Keuschheitsgürtel um die Gartenseite gelegte Erweiterung aus einer falschen Überlegung heraus entstanden ist. Denn die Auslober, die Jury und die Architekten haben offensichtlich bei der ikonographischen und städtebaulichen Lektüre der Gull'schen Architektur nur die Hälfte erkennen wollen: nämlich die Burg, die nun malerisch mit mehrfach gebrochenen, zeitgenössisch interpretierten Palasbauten und Schildmauern um weitere Höfe wachsen soll. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass das Landesmuseum zum Park hin nicht als Burg, sondern mit seinem Ehrenhof als neugotisches Stadtschloss auftritt. Wo sonst in unserem Land gibt es eine vergleichbare architektonische Geste, die Bau und Park zu einer ebenso grossartigen Einheit verschmilzt? - Wir leben nicht mehr im frühen 20. Jahrhundert, als Architekten auf Grund neuer Zukunftsentwürfe von einer Tabula rasa träumten. Dazu fehlt uns einerseits die nötige Überzeugung; anderseits kommt in einer sich rasant ändernden Zeit dem gebauten Erbe eine immer wichtigere Rolle als Teil der kollektiven Erinnerung zu. Ein Weiterbauen im historischen Kontext muss deshalb mehr denn je auf einer korrekten Analyse des Bestandes basieren. Das heisst hier aber: nicht nur die Burg, sondern auch das Schloss und den Park respektieren.

Ein Wahrzeichen im Fluss?

Zwischen dem ersten und dem zweiten Projekt des zweistufigen Wettbewerbs veränderten Christ und Gantenbein mit einer für die junge Architektengeneration typischen Unbefangenheit die formale Erscheinung des ursprünglich als Kiste, jetzt aber als Kette geometrisch freier, der neusten Mode entsprechender Körper geplanten Erweiterungsbaus und dessen Placierung. Deswegen sollte es sie an sich keine grosse Überwindung kosten, bei der nötigen Überarbeitung des Siegerprojektes die Halskrause aufzusprengen, so dass zwei das Schloss östlich und westlich des Ehrenhofs rahmende und zum Park und zu den Wasserflächen sich öffnende Flügel entstünden. Oder aber sie entschieden sich für einen noch zu bewilligenden neuen Bauplatz: Könnte sich doch der Annex (der einstigen Tradition der in der Limmat stehenden Gewerbebauten folgend) östlich des Landesmuseums als neues Wahrzeichen aus dem Fluss erheben - mit dem Altbau verbunden durch eine den Parkeingang rahmende Passerelle. In beiden Fällen müssten zwar museumstechnische Erschwernisse in Kauf genommen werden. Man erhielte im Gegenzug jedoch ein für breitere Kreise akzeptables Projekt, das die Würde des Gull-Schlosses und der Parkanlage wahren und gleichwohl mit einer neuen Formensprache auf sich aufmerksam machen könnte. Zu überdenken wäre aber einmal mehr auch ein bereits von verschiedenen Seiten vorgeschlagener Neubau jenseits der Sihl auf dem ehemaligen AJZ-Gelände, einem Ort, der sich anders als das Gull-Schloss schon lange nach einem starken architektonischen Zeichen sehnt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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