Bauwerk

Zentrum für Forschung und Entwicklung
Vittorio Magnago Lampugnani - Basel (CH) - 2000

Über fünf Podeste musst du gehn

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

11. Mai 2009 - Rahel Marti
Schräg gegenüber greift Frank O. Gehrys «Personal Center» um sich. Rechts kühlt Yoshio Taniguchis Bürogebäude glasig grau die Atmosphäre. Dazwischen hat Vittorio Magnago Lampugnani gebaut, der Architekt des Masterplans. Hat seinen Musterbau verwirklicht, spät, aber entschlossen.

Unter der Arkade

18 Meter schmal, 55 Meter lang, 22,46 Meter hoch, Lampugnanis Haus folgt exakt Lampugnanis Baulinien und Traufhöhe. Zur Hauptachse Fabrikstrasse öffnet es sich mit Arkaden, 4 Meter breit, 6 Meter hoch. Rechts gehts ins mit Italianità gesättigte Ristorante Dodici, links ins Bürohaus. Unter den Arkaden empfängt einen ein «heiterer Himmel», wie Lampugnani die mit hellblauem Glasmosaik belegte Decke nennt. Sommers nimmt man hier am Schatten seinen Caffè.

Trotz grosszügiger Befensterung wirkt das Haus kompakt. Steinern eben: Die Fassaden bestehen aus bis 15 Zentimeter dicken, weissen Carrara-Marmorplatten. Sie sind so dick, damit sie sich nicht verziehen, da sie nicht aufgehängt, sondern aufgemauert sind, fest vermörtelt also und befestigt an einer Stahlkonstruktion. Das Haus, schreibt Lampugnani in einem literarisch anmutenden Baubeschrieb, versage sich jede individualistische Allüre, es bekenne sich zur formalen Zurückhaltung und zur urbanen Kontinuität. Kein Zweifel, Lampugnani hat den Idealbaustein seines Masterplans gebaut. Bizarr nur: Der Campus ist ein neues Stück Stadt, urbane Kontinuität geht ihm zwangsläufig ab. Und wie alle Bauten zeigen, ist die individualistische Allüre schwer kontrollierbar in einem Masterplan, der keine Blockränder, sondern Einzelbauten vorsieht.

Auf dem Zwischenpodest

Hinter der Drehtür wartet eine kammerartige Lobby. Man wähnt sich im Fuss eines altehrwürdigen New Yorker Wolkenkratzers. Zwar öffnen sich da zwei Lifttüren. Aber von rechts kommt ein Sog: Verheissungsvoll fällt Licht auf eine scheinbar endlose Treppe. Es zieht einen hinauf. In einen Raum, der schmal und hoch ist wie ein Schacht, den Nussbaum auskleidet, voll und ganz. 19 Stufen bis zum ersten Zwischenpodest und man fragt sich: Wo bin ich nochmal? In New York? Oder, wie das Haus von aussen glauben macht, in Italien des Novecento? Nein, in Basel. Im Voltaquartier, wo der Stadtumbau tobt, auf einem Gelände, wo eben noch die Industrie vorherrschte. Diese beiden Welten, die Stadt aussen, Novartis innen, sind nicht überein zu bringen.

Im Treppenraum 

Weiter hinauf. Stufe um Stufe schwindet das Engegefühl und es wird heller. Eine «weitgehend gleichmässige, vergleichsweise kleinteilige fünfgeschossige Bebauung» sieht Lampugnanis Masterplan vor. Denn solche Bauten seien geeignet, wohlproportionierte Stadträume mit hoher Aufenthaltsqualität zu erzeugen. «Im Innern», schreibt der Architekt und Architekturhistoriker, «lassen sie sich gut und effizient aufteilen, mit einfachen Erschliessungselementen, weil sie noch unterhalb der baurechtlichen Hochhausgrenze liegen.»

Einfache Erschliessungselemente sind in Lampugnanis Sinn Treppen. So konsequent wie seine Baulinien setzt er seine Idee der Treppe als innere Strasse um. Sie soll — wie die Strassen und Gassen der Stadt — kurze Wege und spontane Treffen erlauben, ja herbeiführen. Vom Erdgeschoss führt sie fadengerade bis ins vierte Obergeschoss, über fünf Läufe und fünf Podeste. Nicht von Wänden begrenzt, sondern von Pfeilern und Balken gesäumt. Sie rahmen die weiten Öffnungen, durch die man von der Treppe zu den Arbeitsplätzen und zurückblickt. Auf seiner gesamten Länge und 22 Metern Höhe ist der Treppenraum offen, durchquert nur von kleinen Brücken. Möglich ist dies, weil als Balken ausgebildete Rauchschürzen zum Brandschutz beitragen. Drei Meter breit ist die Treppe, sodass zwei Personen nebeneinander sitzen und eine dritte bequem an ihnen vorbeigehen könnte. Ob sich je eine Mitarbeiterin setzen wird? Aber davon später mehr.

Entlang des Nussbaums

Weiter hinauf, begleitet von der fein wellenden Maserung des Nussbaums. Hier stehend und schmal, dort liegend und breit, betont die Maserung den Rhythmus der Pfeiler und Balken. Nussbaum wirkt immer schwer und immer edel — Holz und Raum scheinen füreinander geschaffen. Obwohl schwierig zu besorgen, wählten Lampugnani und seine Kontaktarchitekten, das Zürcher Büro Joos   Mathys, den europäischen Nussbaum. Er soll sich silbern verfärben und nicht gelblich wie der amerikanische. Zehn Stämme waren nötig, pro Stockwerk stammen die Furniere von je einem Stamm, heisst es. Um die Farbigkeit anzugleichen, liessen sie das gesamte Holz zudem leicht beizen. Die Treppenstufen sind aus Schallgründen zwar betoniert, aber ebenfalls furniert – zudem stärker als andere Elemente, damit man sie gelegentlich abschleifen kann. Soweit beim einmaligen Besuch ersichtlich, ist das Handwerk präzis und lässt keine Wünsche übrig, trotz der hohen Anforderungen.

Zwischen ewig und vorläufig

Ab und zu steigt jemand hoch mit Mantel und Tasche, entschwindet über eins der Podeste in die Büros. Ab und zu tritt jemand in den Treppenraum hinaus, bleibt stehen, wartet auf eine Kollegin, um gemeinsam nach unten zu schreiten. Die Gespräche sind nicht gedämpft, aber ruhig. Vittorio Lampugnani ist ein Meister des Umgangs. Er findet für jede Gelegenheit den passenden Ton. So herrscht hier, nach dem heiteren Himmel unter den Arkaden, arbeitsame Bibliotheksruhe.

Das Haus wirkt, als wolle es seine Nutzer erziehen. In Turnschuhen herumzuschlurfen, fiele einem nicht im Traum ein. Gemacht wirds trotzdem. Leichtes Befremden zum einen: der Idealbaustein des Architekten im Geiste des 19. Jahrhunderts, darin die Forscher von heute, mit Kopfhörer am Computer. Leichtes Befremden zum anderen: der scheinbar für die Ewigkeit gebaute Treppenraum, daneben die Büros, denen man die Vorläufigkeit des Flexiblen anmerkt. Aufgeständerte Böden, flexible Grossräume — alles muss umnutzbar sein auf dem Novartis Campus. Doch achteten die Architekten auf Behaglichkeit mit Vorhängen, Kleiderstangen und Tischlampen und mit Schiebefenstern, die jede Mitarbeiterin jederzeit von Hand öffnen kann. Es gibt zwar Heiz-Kühldecken, aber keine Klimaanlage.

Im gebauten Bild

Zuoberst angelangt, fühlt man sich erhöht. Der Aufstieg über die Kaskadentreppe bietet ein seltenes Erlebnis. Vittorio Lampugnani hat die Gelegenheit für ein räumliches Abenteuer genutzt. Hinter seiner Freundlichkeit steckt ein starker Wille. Radikal verschaffte er der Treppe Raum, rückte sie ins Zentrum. Von oben wirkt der Treppenraum wie ein gebautes Bild. Zwar zeigen Skizzen den Weg: Der Entwurf war erst in Stein gedacht mit Glasbrüstungen. Doch lieber möchte man glauben, Lampugnani habe schon beim Masterplan gewusst, dass er diese Treppe mit diesem Material und dieser Stimmung bauen würde. Ist das Gebäude der Idealbaustein des Masterplans, ist das Treppenhaus sein Idealraum?

Bleibt eine Frage: Wie steht es mit der Angemessenheit? Unruhe kommt auf. Wie viel der Bau gekostet hat, ist natürlich geheim. Die Architekten sagen, es sei der bisher günstigste auf dem Campus. Angemessen? Es gibt nur eine Antwort: Dieser Konzern kann nach eigenen Massstäben funktionieren.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch