Bauwerk

BMW-Welt München
Coop Himmelb(l)au - München (D) - 2007
BMW-Welt München, Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES
BMW-Welt München, Foto: Markus Kaiser

Gezähmter Wirbelsturm

Die von heute an zugängliche BMW-Welt in München sorgt mit einem spektakulären Bauwerk für Aufmerksamkeit

Exzentrische Architektur spielt im Marketingkonzept der Autoindustrie eine wichtige Rolle. Das beweist einmal mehr das neueröffnete Wolkenhaus der BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au in München.

20. Oktober 2007 - Roman Hollenstein
Mit Architektur lässt sich Aufsehen erregen. Das haben auch Deutschlands Autohersteller erkannt. Im Jahre 2000 eröffnete VW in Wolfsburg eine «Autostadt» und zwei Jahre später die «Gläserne Phaeton-Fabrik» in Dresden, dieweil Audi sich ein Automuseum in Ingolstadt errichten liess. Im vergangenen Jahr sorgte dann Mercedes mit dem von Ben van Berkel aus einer Doppelhelix entwickelten Stuttgarter Museum für Begeisterung, nachdem zuvor bereits Zaha Hadids bildkräftigem «Zentrumsgebäude» der neuen BMW-Produktionswerkstätten in Leipzig zugejubelt worden war. Die Münchner Fahrzeugbauer hatten die Wirkungsmacht der Baukunst jedoch früher schon entdeckt und sich 1973 vom Wiener Architekten Karl Schwanzer am Petuelring den Vierzylinder genannten BMW-Verwaltungsturm und ein pokalförmiges Firmenmuseum in Sichtweite der Olympiastadien errichten lassen.

Dekonstruktivistischer Blob

Als es nun darum ging, zwischen diesen Münchner Wahrzeichen auf einem 180 Meter langen, dreieckigen Grundstück ein Verkaufszentrum für BMW zu planen, versuchten sich die Wettbewerbsteilnehmer mit exzentrischen Gesten zu überbieten. Den Sieg trugen die Wiener Altrevoluzzer von Coop Himmelb(l)au mit einer grauen «Wolke» aus Stahl und Glas davon. Das Projekt sah im Entwurf phänomenal aus. Doch die architektonische Umsetzung der computergenerierten Vision verlangte konstruktive Zugeständnisse, so dass statt eines schwebenden Luftgebildes ein Bauwerk entstand, das neben der wogenden Zeltlandschaft der vor 35 Jahren eingeweihten Stadien fast etwas altbacken aussieht. Steht dieses doch den Formenträumen von heute näher als der dekonstruktivistische Blob der BMW-Welt.

Es ist die Tragik dieses Wiener Büros, dass es sich nach den frechen, künstlerisch inspirierten Anfängen der siebziger Jahre ganz auf wolkenartige Lebensräume eingeschworen hat, die es seit dem Dachausbau an der Wiener Falkstrasse (1988) stur in Architektur umzusetzen sucht. In einem unrealisierten Genfer Projekt von 1995 hätte die Gebäudehülle weicher werden sollen, doch dann nahm im Splitterwerk des Dresdner Ufa-Kinos der Dekonstruktivismus erneut überhand. Mit dieser eingängigen Formensprache sicherten sie sich bald schon prestigeträchtige Aufträge für das Musée des Confluences in Lyon, die Europäische Zentralbank in Frankfurt oder das jüngst eröffnete Akron Museum of Art. Wenn sich Wolf Prix, der 65-jährige Vordenker von Coop Himmelb(l)au, nun beim Wolkenbau im modischen Spiel mit dem Organischen übt, kommt ihm der Hang zum Chaos weiterhin ebenso in die Quere wie die barocke Lust am Theatralischen, von dem die über dem Bielersee tanzenden Expo-Türme einst kündeten. Wie diese wohl stimmungsvollste Arbeit des Wiener Büros ist die BMW-Welt eine zwischen Skulptur und Bühnenbild oszillierende Ereignisarchitektur, die sich bestens eignet für die effektvolle Präsentation und Vermarktung von Produkten.

Um das riesige Bauvolumen in den Griff zu kriegen, entschied sich Prix – wie einst Rem Koolhaas beim Congrexpo in Lille – für eine fliessende Grossform. Dieser verlieh er an der unmittelbar gegenüber dem BMW-Museum gelegenen Südostecke einen Akzent durch einen mit Glas und Lochblech verkleideten, zu einer Windhose dynamisierten Doppelkegel. Aus diesem trichterförmigen Wirbel heraus scheint das Dach einer Wolke gleich aufzusteigen, um – wie vom Föhnwind nach Norden geblasen und dramatisch aufgerissen – über dem Gebäude zu wabbern. Nur schade, dass das Bild der Wolke durch die Schwere der stählernen Konstruktion gestört wird. Verglichen mit Le Corbusiers kissenartigem Betonabschluss der Kapelle von Ronchamp mutet Prix' ähnlich konzipierte Überdachung denn auch ungelenk, ja hilflos an und macht dabei klar, dass die von ihm gewählte Stahlkonstruktion sich schlecht für organische Blob-Formen eignet. Da interessiert es den Betrachter kaum, dass das Dach dank einem ingenieurtechnischen Kraftakt nur vom Doppelkegel und von elf nackten, verkleideten oder umbauten Betonstützen getragen wird. Hingegen fragt er sich, warum die durch Annexbauten unterbrochene Glashülle auf halber Höhe einknickt und so mit dekonstruktivistischer Härte nicht nur der biomorphen Grundidee widerspricht, sondern dem massiven Wolkendach noch zusätzlich etwas Lastendes verleiht.

Im Bauch des Wals

Das alles macht diese Architektur, die vom benachbarten Fernsehturm herab betrachtet einer futuristischen Amöbe gleicht, aus der Nähe nicht verständlicher. So meint man, von der U-Bahn-Station Olympiazentrum herkommend, vor einem wie von Riesenhand zerquetschten Bürohaus zu stehen. Dissonante architektonische Motive – von dem wie ein Schiffsheck auskragenden Stahlkörper über seltsam angedockte Kuben bis hin zu Glaskaskaden – erschweren die Orientierung. Zunächst scheint es, die auffällige Brücke, die das Museum über die Strasse hin mit der BMW-Welt verbindet, führe in den Neubau. Erst später entdeckt man neben dem allmählich in Erscheinung tretenden Wirbel des Doppelkegels den Eingang. Dahinter weitet sich ein unterkühltes Raumkontinuum, dessen Treppen, Passerellen und Podien das Vokabular des Dresdner Ufa-Kinos ins Gigantische steigern und gleichzeitig an Piranesis Carceri gemahnen wollen.

Das dominierende Element des Innenraums, der sich in seiner architektonischen Anmutung irgendwo zwischen Flughafenterminal, Automesse und Shoppingcenter bewegt, ist das sich bald aufwölbende, dann wieder hinabsinkende Dach. Es schafft viel Raum, so dass man gerne an den ausgestellten Autos, den BMW-Boutiquen und Cafés vorbeiflaniert und zwischendurch hinaufblickt zum luxuriösen Restaurant, das durch den Walfischbauch hindurch in den Himmel vorzustossen sucht, oder zum Premiere genannten, von einer Spiralrampe umgebenen Plateau, auf dem jährlich rund 45 000 Autonarren der Geburt ihres Fahrzeugs beiwohnen werden. – Auch wenn das Silbergrau der metallenen Wandverkleidung die Besucher auf Schritt und Tritt daran erinnern will, dass hier «alles hundertprozentig BMW» ist, steht doch die grobe Detailverarbeitung in grösstem Gegensatz zu den wie aus einem Guss geformten Karosserien. Da kann die Architektur vom Autobau noch einiges lernen.

Aber nicht nur als Lehrstück für Baukünstler ist dieses Haus interessant. Auch neugierige Touristen, die zu den Olympiastadien pilgern, kommen in dieser kommerziellen Erlebniswelt auf ihre Rechnung – nicht zuletzt kulinarisch und kulturell. Denn der faszinierend gestauchte Raum im Doppelkegel soll künftig für Jazzkonzerte zur Verfügung stehen. Und experimenteller Jazz ist vielleicht die Musikform, die diesem Werk von Coop Himmelb(l)au am ehesten entspricht.

[ Die BMW-Welt ist täglich von 9 bis 20 Uhr gratis zugänglich. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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