Bauwerk

BMW-Welt München
Coop Himmelb(l)au - München (D) - 2007
BMW-Welt München, Foto: Markus Kaiser
BMW-Welt München, Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES

Mit Vollgas in den Zukunftsrausch

Was wären die großen Automarken ohne die großen Architekten? Kommenden Mittwoch eröffnet in München die BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au. Wojciech Czaja leitet den Trommelwirbel ein.

13. Oktober 2007 - Wojciech Czaja
Wenn es um Autos geht, dann verstehen die Deutschen keinen Spaß. Weh dem, der glaubt, das Auto sei nur ein Gefährt! Nein, es ist eine Visitenkarte, eine intelligente Maschine, ein Mitglied der Familie. Als Dank für die guten Fahrverdienste fährt Papa Deutscher sonntags in die Waschstraße, dann wird geschrubbt, gesaugt und blitzeblankpoliert. „Alle Theorien, die das Auto als Transportmittel charakterisieren, vergessen eine ganze Dimension“, spricht der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk, „es ist ein rollender Uterus, der sich von seinem biologischen Vorbild dadurch vorteilhaft unterscheidet, dass er mit Selbstbeweglichkeit und Autonomiegefühlen verbunden ist. Das Auto ist eine um den Fahrer herumgebaute platonische Höhle mit dem Vorzug, dass man in ihr nicht angeschmiedet sitzt, sondern dass die fahrende Privathöhle Ausblicke auf eine vorbeigleitende Welt gewährt.“

Von Kritik am goldenen Kalb der Moderne wollen die Deutschen jedoch nichts wissen. Mit vollster Überzeugung formieren sie sich zur stärksten Autofahrerlobby Europas, bringen auf ihren Straßen sämtliche Tempolimits zu Fall und treten mächtig auf die Tube. Wer hat mehr Hubraum, wer hat mehr Pferdepower, und wer bitte schön ist der König der Straße? Längst sind die Konkurrenten im Rückspiegel verschwunden, an vorderster Front kämpfen nur noch die Bayern gegen die Schwaben, BMW gegen Mercedes. Es ist wie Coca-Cola und Pepsi, wie Chips und Pringles, wie Maggi und Knorr. Man kann nur an den einen glauben, alles andere wäre Verrat.

Vor eineinhalb Jahren wurde in Stuttgart das Mercedes-Benz-Museum fertiggestellt. Das niederländische Architekturbüro UN-Studio hatte beste Arbeit geleistet und katapultierte die Marke mit dem Stern ordentlich nach vorne. Autsch, das tat weh, dachte man sich in Bayern und holte in der Zwischenzeit zum alles vernichtenden Rückschlag aus. Ein Museum? Das kann jeder! Wir, BMW, binden unsere Kunden mit einem noch nie da gewesenen Auslieferungszentrum: Vor drei Jahren wurde mit dem Bau begonnen, kommende Woche wird feierlich eröffnet. Der stolze Name des neuen Automobiltempels: BMW-Welt München.

Seit jeher hatte der Vorstand der Bayerischen Motorenwerke etwas für gute Architektur übrig. 1972 baute Karl Schwanzer den famosen Vierzylinder-Turm, im Jahr darauf folgte das benachbarte Museum in Schwammerl-Form. Im Sinne der kulturellen Tradition war klar, dass auch das 21. Jahrhundert mit einem Keulenschlag unvergleichlicher Qualität beginnen muss. Zaha Hadid baute das BMW-Werk in Leipzig, nun raffte sich der Konzern abermals auf und lud Ende 2001 zu einem offenen Wettbewerb, um auch den Hauptsitz in München zu krönen. Aus insgesamt 275 Bewerbern - darunter Kaliber wie MVRDV, Future Systems, Massimiliano Fuksas oder etwa Dominique Perrault - ging das Wiener Büro Coop Himmelb(l)au als Sieger hervor.

Schwerelose Wolken und brennende Flammenflügel - das kennen wir von Coop Himmelb(l) bereits. Aber wie baut man eine ganze Welt? „Architektur hat nicht nur Aufgabe, Hülle von Funktionen zu sein“, sagt Wolf Prix, „entlang diesem Konzept ist hier ein Gebäude entstanden, das man als hybrides Gebäude bezeichnen kann. Die ästhetischen Paradigmen dieser Architektur heißen Eleganz, Dynamik, Geschwindigkeit.“ Im Klartext: Die BMW-Welt ist viele Gebäude in einem. Hier gibt es Café und Restaurant, Ausstellungen, Schulungsräume, Veranstaltungsräumlichkeiten und Theatersaal, in erster Linie jedoch dient die bayrische Welt als Abholzentrum.

Wem also die Fahrt zum BMW-Händler nach Memmlingen, Mommenheim und Mimmenhausen zu öd und zu alltäglich ist, der ist in Zukunft herzlich dazu eingeladen, das Portemonnaie einzupacken und sein Auto direkt in der Mutterstadt München abzuholen. Funkelnd, glänzend und eingewachst wird die Doppelniere aus den Untiefen des Tiefspeichers herausgeholt und wird sodann von einem Chauffeur mit weißen Zwirnhandschuhen auf einer sich drehenden Scheibe drapiert. Da rotiert es also, das neue Auto, und wird bestaunt wie ein saftiges Stück Fleisch auf dem Teller. Unter Spotlight-Beleuchtung, mit musikalischer Untermalung und auf Wunsch sogar mit Blumenstrauß und Fotoshooting ist das Fahrzeug bereit für die ultimative Übergabe an seine neuen Besitzer. Ein unvergesslicher Moment.

Wenn eine Automarke mit derartig emotionellen Geschützen auffährt, dann ist klar, dass weder Kosten, noch Mühen gescheut wurden. 14.000 Quadratmeter fasst die Halle, an manchen Stellen ist sie 28 Meter hoch. Das 3000 Tonnen schwere Dach scheint wie ein Wölkchen über allem zu schweben. Gerade einmal elf Stützen sind notwendig, um diesen gewaltigen Kraftakt zu vollziehen. „Kann man sich das vorstellen, nur elf Stützen?“, fragt Prix die Besucher der ersten Stunde, „die griechischen Tempel waren viel kleiner und hatten 40 oder 50!“

Im Endeffekt ist auch die BMW-Welt nichts anderes. Sie ist ein sakraler Ort, eine Markthalle für den Menschen von heute, ein Umschlagplatz des Kapitalismus. 170 Fahrzeuge wird man hier täglich ausliefern, die Generalprobe mitsamt Fahrzeugübergabe an die eigenen Werksmitarbeiter ist bereits überstanden. Bei derart vielen Autos, die Tag für Tag durchgeschleust werden, kann man sich vorstellen, was sich hier abspielen wird. Ganze Familien werden einander in die Arme fallen, Väter werden herumtollen wie die Kinder, die Konzentration an Glück und Freude wird die kritische Marke haushoch überschreiten. „Hier in der BMW-Welt werden die Bürger die Marke BMW anfassen können“, sagt Helmut Panke, Vorstandsvorsitzender der BMW AG, „wir möchten, dass unsere Besucher hier die Zeit vergessen, dass sie in die Marke eintauchen und dass sie sich vom Mythos BMW mitreißen lassen.“

Im Rausch der Sinne wird in Zukunft kein Mensch mehr nachvollziehen können, welcher Aufwand notwendig war, um den Kunden in diese Welt des Seins und Scheins zu entführen. Damit der Tiefspeicher mit den bereits vollgetankten Autos nicht zur Brandgefahr wird, hat man diesen hermetisch abgeriegelt und ihm Sauerstoff entzogen. Das Regallager ist damit für Menschen nicht zugänglich und wird ausschließlich von einem Roboter bedient. Auf der so genannten Premiere, wo die Besucher ihre Autos entgegennehmen, wird im Bodenbereich Unterdruck erzeugt - so werden die Abgase abgesaugt, noch bevor sie sich im gesamten Raum ausbreiten können. Und in der Fassade zirkuliert innerhalb der Fensterprofile je nach Jahreszeit kaltes oder warmes Wasser. Auch so kriegt man das Klima in den Griff.

Was kostet der ganze Spaß? Für den Kunden ändert sich nicht viel. Ganz gleich, ob der Wagen beim BMW-Händler oder in der BMW-Welt abgeholt wird, beträgt die Abholgebühr 460 Euro - geschickt getarnt als sogenanntes Gute-Fahrt-Paket. In einer etwas anderen Liga spielen die Baukosten. Über genaue Zahlen schweigen sich Auftraggeber und Architekt aus. Lediglich zwei Eckdaten werden verraten, aus denen sich die unendliche Weite des Budgets erahnen lässt. Erste Information: Die BMW Welt kostete mehr als 100 Millionen Euro. Zweite Information: Die Sanierung des BMW-Hochhauses und des BMW-Museums sowie der Bau der BMW-Welt verschlangen in Summe 500 Millionen Euro. Das ist kein Pappenstiel.

Wolf Prix resümiert: „Wir sind mit dem Projekt zufrieden. Viele architektonische Elemente, die wir gerne verwenden, kommen BMW sehr gelegen. Die Architektur der neutralen Box hat sich überholt. Jetzt beginnt die Zukunft der Himme(l)bau-Sprache!“ Während die Mercedes-Leute in Stuttgart wahrscheinlich schon an Racheplänen schmieden, überfliegt den Besucher ein pragmatisch weltlicher Zweifel: So viel Glas, wie soll man das nur reinigen können? Es sei für alles gesorgt, sagt Prix, und pafft Zigarre. „Aber Tempel putzt man nicht.“

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