Bauwerk

Vulcania - Vulkanismus-Museum
Hans Hollein - St.-Ours-les-Roches (F) - 2002

Zum Mittelpunkt der Erde

„Architektur beherrscht den Raum, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushölt, weit auskragend über dem Land schwebt.“ Was Hans Hollein vor 40 Jahren schrieb, liest sich wie das programmatische Konzept zu seinem Vulkanmuseum in der Auvergne, das demnächst eröffnet wird: eine Erlebniswelt im besten Sinne.

3. November 2001 - Judith Eiblmayr
„Architektur beherrscht den Raum. Beherrscht ihn, indem sie in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet. Beherrscht ihn durch Masse und Leere. Beherrscht Raum durch Raum. In dieser Architektur geht es nicht um Schönheit. Wenn wir schon eine Schönheit wollen, dann weniger eine der Form, der Proportion, sondern eine sinnliche Schönheit elementarer Gewalt. ... Alles Bauen ist kultisch.“

Was Hans Hollein 1962/63 - hier auszugsweise wiergegeben - in seinem Manifest „Absolute Architektur“ geschrieben hat, klingt, als ob ein Vulkanmuseum schon immer ein Traumprojekt von ihm gewesen wäre. Denn wo ist die elementare Gewalt unmittelbarer spürbar — sowohl in ihrer Sinnlichkeit, als auch in ihrer Brutalität — als bei Bewegungen, die aus dem Inneren des Erdballs herrühren. Eigentlich ist es ein Vulkanausbruch, der den Raum beherrscht. Ihn beherrscht, indem Lava in die Höhe schießt, die Erde aushöhlt, weit auskragend über dem Land schwebt, sich in alle Richtungen ausbreitet.
Seine Theorie der frühen sechziger Jahre erklärt unter anderem all jene durch technische Machbarkeit entstandenen Negativräume in der Natur zur Architektur, ein Ansatz, dem Hollein 1990 beim preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag für das Guggenheim-Museum in Salzburg konkrete Form gab. In kaum einem anderen architektonischen Projekt jemals wurde die Dialektik zwischen Architektur und Landschaft so deutlich zum Ausdruck gebracht wie in Holleins Entwurf für „Das Museum im Fels“.

Die Idee im historisch gewachsenen, dichten Stadtkern von Salzburg zusätzlichen Raum zu schaffen, indem man unter Tag abbaut statt hoch aufbaut und dem Mönchsberg Räume „herausreißt“, entspricht exakt der Umsetzung des Gedankens von der „sinnlichen Schönheit elementarer Gewalt.“ Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man den Fels für einen Zweckbau wie einen Tunnel oder eine Garage aushöhlt oder ob man diesen Höhlen kultischen Charakter verleiht, indem man sie zu einem Museum für bildende Kunst macht.
Valérie Giscard d´Estaing dürfte die Entsprechung des Holleinschen Architekturbegriffs für die Bauaufgabe eines Vulkanmuseums bewusst gewesen sein, denn angeblich war er es, der einem lokalen Architekturbüro in der Auvergne empfahl, für den diesbezüglichen Architekturwettbewerb Hans Hollein beizuziehen. Giscard d´Estaing — so wie jeder französiche Präsident mit dem lebenslangen Titel „Président de la République Française“ versehen — blieb zu Amtszeiten (1974-81) die Fertigstellung eines von ihm initiierten großen Bauwerks versagt, da es jedoch durchaus zum Selbstverständnis der Französischen Staatspräsidentschaft gehört, sich auch über Architektur zu definieren, wollte er dies zu einem späteren Zeitpunkt nachholen; In seiner jetzigen Funktion als „Président du Conseil Régional d’Auvergne“ war es seine Idee im strukturschwachen, mittelfranzösischen „Avernerland“ den Tourismus zu forcieren und inmitten der beeindruckenden Landschaft erloschener Vulkane das „Europäische Zentrum für Vulkanismus“ anzusiedeln, womöglich durch einen berühmten Architekten realisiert.

Hans Hollein - in Kooperation mit „Atelier Quatre“ aus der Nähe von Clermont-Ferrand - gewann den 1994 ausgeschriebenen Wettbewerb gegen hochkarätige internationale Konkurrenz, nicht zuletzt deshalb, weil sein Konzept das einzige war, das auch in die Tiefe ging, indem er die Hälfte der musealen Ereignisse in das aus Vulkangestein gebildete Gelände eingegraben hat.

Nachdem es für ein Museum dieserart keinerlei Vorbild gab, war ein interessanter Aspekt bei dieser Bauaufgabe, das Thema Vulkanmuseum an sich zu entwickeln und das geforderte Nutzungsprogramm in eine räumliche Komposition zu bringen. Hollein verfolgte dabei einen poetischen Ansatz und bezog sich nicht nur auf Werke der Literatur, wie Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ oder Dantes „Göttliche Komödie“, indem er zum Beispiel den Abstieg in einen künstlichen Krater für das Publikum infernalisch inszenierte, sondern zitierte auch aus der (französischen) Architekturgeschichte, wie etwa aus dem Werk des Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullée oder des Architektur- und Geschwindigkeitstheoretikers Paul Virilio.

„Vulcania“, dessen programmatisches Konzept von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet wird, wird jedoch nicht nur ein Ziel für Erlebnistouristen darstellen, sondern auch als weltweit einzigartiges wissenschaftliches Zentrum auf dem Gebiet der Vulkanologie dienen. Es soll sowohl als Kongress- und Forschungszentrum entsprechen, als auch für Schülerinnen und Schüler einen spannenden, interaktiven Geologieunterricht bieten.
Das Museumsgelände ist in einen großen von Gilles Clément geplanten Landschaftspark eingebettet, der unter striktem Naturschutz steht und als Erholungsgebiet genutzt werden wird. Zur Sicherung der nahen unterirdischen Wasserreservoirs von Volvic und aus Angst vor einer Disneyfizierung der Gegend wurden sehr strenge Richtlinien für den Umweltschutz erstellt und ein rigoroses Bauverbot für Hotels und ähnliches in der näheren Umgebung verhängt. Gleichzeitig hofft man, dass sich für die zehn Kilometer entfernt liegende Stadt Clermont-Ferrand durch das Anbieten der tourismusorientierten Infrastrukur neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

Wenn man sich der Museumsanlage nähert, die sich im Innen- und Aussenraum erstreckt, sind nur zwei Baukörper als Blickattraktoren ausnehmbar, das Empfangsgebäude, in dessen Obergeschoß ein Restaurant mit Rundblick auf die vulkanische Landschaft untergebracht ist und „Le Cône“, der das Zentrum der Anlage signalisiert.

Über eine lange, von einer Zyklopenmauer aus herausgesprengtem Lavagestein einerseits und einer begrünten Böschung andrerseits begrenzten Rampe dringt man ins Gelände ein und gelangt auf die unter Niveau liegende Ebene der so bezeichneten „Caldera“. Hier umschreitet man den aussen mit dezenten hellgrauen Basaltgesteinsplatten belegten Konus, der aus zwei versetzt angeordneten Halbschalen von unterschiedlicher Höhe besteht. Seine Innenseite erstrahlt allerdings in Gold und man erkennt sehr schnell, dass es sich hier um einen Archetypus kulthaften Bauens handelt, der symbolträchtig das Sonnenlicht einfängt und ins Untergeschoß weiterleitet.

Diese innere Haut des Konus wird aus Edelstahlplatten gebildet, die durch ein spezielles, in Korea entwickeltes Titanbedampfungsverfahren ihren goldfarbenen Glanz erhalten und eine unterschiedliche Oberflächenstruktur aufweisen: An der sonnenzugewandten Seite werden die Strahlen über eine kassettenförmige Anordnung der in sich strukturierten Bleche gestreut, das gleichmäßige Licht von Norden wird hingegen über eine glatte Oberfläche reflektiert. Bei Dunkelheit soll der Innenraum mit künstlichem Licht und sogar mit Feuer bespielt werden. Die Sockelzone des „Cône“ ist gleichzeitig die Hauptebene des Museums, das sich den BesucherInnen in einem abwechslungsreichen Rundgang erschließt: Die Ausstellungsräume, die einer eigenen Szenografie von Rainer Verbizh unterliegen, der „Jardin Volcanique“, ein Gewächshaus, das die fruchtbare Bodenbeschaffenheit nach einem Vulkanausbruch thematisiert, die zwei Kinosäle, wo Vulkaneruptionen im Imax-Format verfolgt werden können.
Schlussendlich gerät man über eine gewundene Rampe im Krater, der einen Blick in die Natur der Sache gewährt und die freigelegten, echten Schichtungen von Lavagestein zeigt, wieder auf die Ebene der „Caldera“. Begleitet wird man dabei von einem künstlichen, erdinneren Grollen und aufsteigenden Dämpfen sein.

Bei der Gesteinswahl hat sich Hollein vorwiegend an regional Vorhandenes gehalten, sei es beim grauen Basalt und rötlichen Sandstein, oder beim Basalt als Zuschlagsstoff des anthrazitfarbenen Betons mit vereinzelt roter Körnung.
Sogar der Name „Vulcania“ wurde in der Region in einem eigenen Schülerwettbewerb kreiert, was beweist, dass Star Trek auch die Kinder in der Auvergne kreativ beflügelt.

„Vulkane sind die konstante Erinnerung an den fortwährenden Prozess der Bildung unseres Planeten. Es gibt einen starken rituellen und symbolischen Aspekt in der Idee eines Zentrums für Vulkanologie. Architektonisch gesehen ist dieses Konzept wirklich dreidimensional. Da es gleichzeitig substraktiv und additiv ist, erlaubt es eine freie Entwicklung der Räume und ihre Bewegung in jede Richtung: horizontal, vertikal und diagonal“, schreibt Hans Hollein.
Nach fünfjähriger Bauzeit wird das Vulkanmuseum Anfang nächsten Jahres eröffnet, eine Erlebniswelt im besten Sinne, wo das beeindruckende Naturschauspiel eines Vulkanausbruchs inszeniert, gleichzeitig jedoch ein Bildungsauftrag erfüllt wird und diese beiden Aspekte in einer poetischen Gesamtkonzeption miteinander verbunden werden.

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