Bauwerk

Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln
Peter Zumthor - Köln (D) - 2006
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Echo und Aura

In Peter Zumthors Diözesanmuseum in Köln widerhallt die 2000-jährige Geschichte der Pfarrei St. Kolumba. Das Stein gewordene Echo umhüllt die Aura. «Und wo Echo nicht ist, kann es auch keine Schilderung von Raum oder von Liebe geben.»[2]

26. November 2007 - Rahel Hartmann Schweizer
Echo
«Sie, die Verschmähte, birgt sich im Wald, mit Laub das verschämte / Antlitz deckend, und lebt fortan in entlegenen Höhlen. / Aber die Liebe verbleibt und wächst vom Schmerz der Verachtung. / Wachende Sorge verzehrt den kläglich vergehenden Körper; /´Siechtum macht einschrumpfen die Haut, und die Säfte des Leibes / Schwinden gesamt in die Luft. Nur Stimme ist übrig und Knochen. /
Stimme verbleibt; zu Gestein – so sagen sie – wurden die Knochen. / Seitdem birgt sie der Wald, und nie im Gebirge gesehen, / Wird sie von allen gehört. Als Schall nur lebt sie beständig.»[1]

Das neue Diözesanmuseum erhebt sich wie eine Burg zwischen Kolumba-, Brücken-, Ludwig- und Minoritenstrasse – eine Zitadelle, eine Kasbah? Aber wehrhaft ist es nicht. Das durchbrochene Mauerwerk erinnert an die kunstvoll ornamentierten Mashrabiya der arabischen Architektur. Es umfliesst den das Grabungsfeld fassenden, über trapezförmigem Grundriss errichteten Baukörper. Um die Ecken herumgeführt, weicht es die harten Kanten auf, lockert die Mauer, nimmt ihr die Schwere über den spätgotischen Rudimenten und Gottfried Böhms in den 1950er-Jahren erbauten Kirche (siehe «Trümmermadonna»). Der Oberfläche eignet eine stoffliche Plastizität, eine optische Weichheit, die sich – mit den Augen abgetastet – samten anfühlt. Hoch liegende, seitliche Oberlichter in den Türmen brechen das Mauerwerk auf – eine Referenz an die kriegsversehrte Kirche (Bilder 5, 6).

Mittelalter und Moderne

Auf den Tag genau sechs Jahre nachdem Peter Zumthor in Köln das überarbeitete Projekt für das Diözesanmuseum präsentiert hatte, war die Öffentlichkeit geladen, das vollendete Werk zu besichtigen. 1853 vom «Christlichen Kunstverein für das Erzbistum Köln» gegründet, ist das Diözesanmuseum neben dem Wallraf-Richartz-Museum die älteste öffentliche Kunstsammlung der Stadt. Schwerpunkte sind das frühe Christentum (koptische und syrische Gewebe), Malerei, Plastik, Goldschmiede- und Elfenbeinkunst des 11. bis 16. Jahrhunderts, textile Wandbehänge und Messgewänder, Pergamenthandschriften, einzelne barocke Bildwerke und auch eine der umfassendsten Sammlungen von Rosenkränzen. Aus dem 19. Jahrhundert stammen Handzeichnungen der Spätnazarener und religiöse Druckgrafik. Als 1989 das Erzbistum Köln die Trägerschaft übernahm, präzisierte und erweiterte sich der Fokus der Sammlungstätigkeit. Das Mittelalter wurde gestärkt und das 20. Jahrhundert anvisiert – mit drei Akzenten: Werke der Klassischen Moderne, die Avantgarde um 1970 sowie zeitgenössische Arbeiten von Louise Bourgeois bis Dario Villalba.
Seit 1972 «hauste» das Museum in einem Neubau am Roncalliplatz, den es sich mit Ladenlokalen, Büros und Privatwohnungen teilte, in Räumen, die der Sammlung in keiner Weise gerecht wurden. Schon damals trug sich das Haus mit Plänen für einen Neubau, konkret wurden die Pläne für das Kolumba-Museum aber erst 1994, als die Diözese das Grundstück der Kirche erwarb. Die Museumsleitung entwickelte ein Museumskonzept, und 1996 wurde die Ausschreibung des Architekturwettbewerbs beschlossen. Aus den 167 Entwürfen erkor die Jury am 12. Juni 1997 das Projekt von Peter Zumthor.

Städtebauliches Kraftfeld

Die «Behausung» sollte der «Beheimatung» weichen. Die Kunstwerke sollten mit den römischen, den frühmittelalterlichen und den spätgotischen Rudimenten, der Verehrung der Kolumba und der Magie der «Trümmermadonna» zusammen wirken und das Museum zu einem Ort machen, an dem «Stadtgeschichte, Kirchengeschichte, Frömmigkeitsgeschichte, Sepulkralgeschichte und Kunstgeschichte» ablesbar werden.
Die Auslober waren sich bewusst, dass sie sich auf eine Gratwanderung zwischen der Respektierung der Ruinen und ihrer Ästhetisierung begaben. Delikat waren sowohl das spirituelle Vermächtnis, der mystische Charakter des Ortes, als auch die städtebauliche Situation. Kolumba liegt in einem Kraftfeld zwischen dem von Rudolf Schwarz (1955–1957) für das Wallraf-Richartz-Museum errichteten Bau, der heute das Museum für Angewandte Kunst beherbergt, den Kolpinghaus-Bauten von Dominikus (1929 / 1930) und Gottfried Böhm (1966–70), dem Opern- und Schauspielhaus am Offenbachplatz von Wilhelm Riphahn und Hans Menne (1954–57 und 1959–62) und schliesslich, jenseits der Brückenstrasse, dem Dischhaus. 1929 / 30 von Bruno Paul errichtet, dominiert es die Strassenkreuzung mit seiner imposanten Rundung und den Bandfenstern im Wechsel mit der Travertinverkleidung – unverkennbarer Einfluss von Erich Mendelssohns Stuttgarter und Chemnitzer Kaufhäuser Schocken. Architektonische Zeugnisse vergangener Jahrhunderte gibt es ausser der nahen gotischen Minoritenkirche kaum. Umso stärker wirkt die Präsenz der Domtürme, die im Hintergrund aufragen, als Magnetnadeln dieses Feldes.

Versöhnung statt Konfrontation

Zumthor orientierte sich analog zum Genius Loci, dessen 2000-jährige Geschichte sich in den Ruinen manifestiert, am Prinzip des Weiterbauens und überlagerte das Terrain mit einer weiteren Schicht – im Bestreben, Altes und Neues zu einer Einheit zu verschmelzen und nicht die beiden zueinander in Kontrast zu setzen. Das Alte wird mit dem Neuen amalgamiert, ohne die Eigenständigkeit zu verlieren, ohne zur blossen Staffage reduziert zu werden, zur nostalgisch verbrämten oder gar zur effektvoll inszenierten Ruine. Das Heterogene, Fragmentarische, das die Ruine auszeichnet, ihre historischen Narben werden zwar nicht geglättet, aber auch nicht aufgeladen, sondern in ein neues Ganzes eingebunden. «Versöhnlich» nannte Zumthor dieses Vorgehen vor sechs Jahren. Die Menschen sollen den Bau als einen einheitlichen Körper wahrnehmen und erst allmählich entdecken, dass er Brüche aufweist, alte und neue Glieder. Deshalb setzte Zumthor direkt an den bestehenden Mauerkronen an, mauerte sie auf und schützte sie gleichzeitig vor dem weiteren Verfall. Und er übernahm den trapezförmigen Grundriss, der der spätgotischen Kirche und ihrem nördlichen Annex geschuldet ist. Um die dreischiffige
romanische Kirche um zwei Schiffe zu erweitern und dennoch die ältere Strassenführung zu respektieren, kam es zu dieser Trapezform. Zumthor griff sie nicht nur im Gesamt-Layout auf, in der Umfassung seines Baus, sondern reagierte auch im Innern darauf: Die 14 im Grabungsfeld verankerten Stahlstützen, auf denen die Hauptdeckenkonstruktion aufgelagert ist, zeichnen den Verlauf der einstigen Kirche nach und markieren gleichzeitig den grössten Ausstellungssaal im 2. Obergeschoss. In diesem Saal widerhallt das einstige Hauptschiff der Kirche, in den von diesem Zentrum weggesprengten Kunstlichtkabinetten echoen ihre Seitenschiffe.

Ortspezifischer Stein

Als ortspezifisches Material hätte sich dunkelroter Backstein angeboten: «Er ist interessant für die Gegend, weil er hier traditionell häufig vorkommt, aus den Trümmern geborgen, beim Wiederaufbau eingesetzt und schliesslich auch in der Moderne – man denke an Rudolf Schwarz – auf ihn zurückgegriffen wurde. Aber, es wäre etwas platt gewesen, einfach einen normalen Backstein zu verwenden, es hätte keine Funken geschlagen», betonte Zumthor 2001. Daher liess er einen Backstein entwickeln, der von dem dänischen Ziegelwerk Petersen teilweise handgefertigt wurde. Der flache, graue Stein – das Format weist die Masse 54 × 21.5 × 4 cm auf – changiert zwischen Tönungen von Gelb, Rot, Grün, Blau und reflektiert die Materialisierung des Bestands: Ziegel, Tuff, Basalt und Onyx.
Die breiten, handbearbeiteten Lagerfugen verstärken den lehmigen, samtenen Touch der Wand, die im Bereich des Filtermauerwerks, wo sie auf das Grabungsfeld verweist, gar textil wirkt: «Pullovermauerwerk» nennen es denn auch die Ingenieure (siehe «Implantiert»). Es hat funktionale Bedeutung und ästhetische Wirkung. Da die Kirchenruine aus konservatorischen Gründen eines Aussenklimas bedarf, wird sie mittels dieses perforierten Mauerwerks belüftet. Ästhetisch ist es das Lichtspiel, das frappiert. Da der Abstand zwischen Aussen- und Innenschale einen Hohlraum bildet und die Perforierung der äusseren gegenüber derjenigen der inneren Mauer leicht versetzt ist, wird das Licht nicht nur gefiltert, sondern auch gestreut. Es streicht wie ein Windhauch über die Decke, rieselt in Sprengseln auf das Grabungsfeld, malt Lichtscheiben auf Boden und Wände: Ruinen, die nicht wie der Phoenix aus der Asche erstehen, sondern je nach Lichteinfall aus dem Halbdunkel auftauchen und wieder in die Vergessenheit zurücksinken. Zur Treue gegenüber dem Ort gesellt sich die Ehrlichkeit der Konstruktion (siehe «Implantiert»).

Wunderkammern statt «white cubes»

Von der Ecke Kolumba- / Brückenstrasse ist die Kirche, das Glasfenster in der Westwand des von Gottfried Böhm errichteten Baus Blickfang. Der Eingang zum Museum weiter nördlich in der Kolumbastrasse macht nicht viel Aufhebens, ist keine grosse Geste, führt über einen Windfang in das Foyer mit Kasse, Buchauslage und Garderobe. Diese wirkt ebenso wie die Bücherregale und die Theke aus Eukalyptusholz wie ein Möbel in den Raum gestellt. Vom Foyer öffnet sich nach Osten der Museumshof, der den ehemaligen Friedhof respektiert. Die «Grosse Liegende» des Bildhauers Hans Josephson ist das adäquate Ausstellungsstück für den Garten, der ausserdem mit elf Gleditschien (falscher Christusdorn) bepflanzt ist. Am Nordende des Foyers führt der Weg einerseits zum Ausgrabungsfeld, das auf einem Steg aus Padoukholz als Zickzackparcours – vorbei an Gottfried Böhms Oktogon – passiert werden kann, der in der ehemaligen Sakristei mit dem Werk von Richard Serra «Die Untergegangenen und die Geretteten» auf der Westseite endet. Andererseits sind von hier aus die Ausstellungsräume in den beiden Obergeschossen erschlossen.

Zumthor vermied es, die Säle in einer gleichförmigen Flucht aneinanderzureihen. Vielmehr konzipierte er einen fliessenden Raum, der im 1. Obergeschoss, das nur den westlichen Flügel besetzt, an zwei Wunderkammern – «Kabinett» und «Armarium» –, im 2. Obergeschoss am Lesezimmer vorbeimäandriert, ehe sich der Weg über dem Grabungsfeld zu jenem Raum öffnet, der den Grundriss der einstigen Kirche absteckt. Jeweils paarweise säumen Nordturm und -kabinett, Ostturm und -kabinett sowie Südturm und -kabinett diesen zentralen Kern. Durch seitliche Oberlichter fällt gedämpftes Licht.

Die Wunderkammern – nicht im Sinne des von Julius von Schlosser geprägten Terminus technicus verstanden, sondern ihrer Intimität und ihres kostbaren Inhalts wegen so bezeichnet – wirken, als schwebten sie im Baukörper, obwohl der ganze Bau fugenlos erstellt wurde: Dazu tragen der Lüftungsschlitz, der an den Rändern des Terrazzobodens verläuft, und eine 4 cm hohe Schwelle bei. Ausserdem differiert die Materialisierung: Im «Kabinett» weicht der Terrazzo einem Mörtelboden, im mit schwarzem Samt ausgeschlagenen «Arma­rium» einem schwarzen Terrazzo, und das Lesezimmer präsentiert sich als edles Mahagoni­holzkästchen.

«Flüchtige» Farben, «verschwindende» Technik

Die karge Materialisierung, die Reduktion der Farbenpalette, die Lichtführung und das Unsichtbarmachen der technischen Installationen machen die sakrale Stille in dem Museum aus. Das Energiekonzept, das auf Bauteilaktivierung und Geothermie beruht, machte es möglich, die Technik in Decken und Böden zu integrieren. Die Frischluft, die aus dem Raum über dem Grabungsfeld gewonnen wird, dringt über die Leuchtenauslässe der Mörteldecke ein und wird über die Bodenrandfuge abgesaugt.
Während ein Hauch vom Goldfarbton des Kolumbasteins der Wände, des Jurakalks des Bodens und der ocker getönten Stampfbetonumfriedung des Museumsgartens dem Foyer Feierlichkeit verleiht, verflüchtigen sich die Farben in den Obergeschossen und weichen einem mehrstimmigen Klang von Grautönen. Die Intonation dieses Kanons übernehmen die Materialien von Böden (Terrazzo), Wänden (Lehmputz), Decken (auf eine Schalung gegossener Mörtel) und halbtransparenten seidenen Vorhängen. Die Koloratur rührt von der sich wandelnden Lichtstimmung und den variierenden Raumdimensionen. Die Räume nehmen sich zurück, aber es sind keine «white cubes», welche die Kunstwerke unter Vakuum setzen. Zumthors Räume atmen – und sie sind verletzlich: Das fugenlose Bauen verur­sacht Haarrisse, welche Böden und Decken überziehen – ein Echo auf die Versehrtheit der Ruinen. Atmosphäre schafft der Architekt auch, indem er im 2. Obergeschoss die Stadtlandschaft mit raumhohen Fenstern einfängt und in den Kunstkontext einbezieht.

An der Präsentation des überarbeiteten Projekts vor sechs Jahren wurde Zumthor als «Architekt der Erinnerung» tituliert. Wenn Erinnerung auch die Wiedererfindung der Vergangenheit meint, ihr Echo als Stein und Stimme, dann wird aus «Eher, den Tod, als dass du mir nahtest in Liebe!» (Narziss) «Dass du mir nahtest in Liebe!» (Echo).
Anmerkung
[1] R.Suchier, E.Klussmann, A.Berg: Ovids Werke, deutsch in den Versweisen der Urschrift, Metamorphosen,
III. Buch, Berlin-Schöneberg, Langenscheidt, 1855–1919, Verse 393–399.
[2] Mark Z. Danielewski: Das Haus. Roman. Aus dem Englischen von Christa Schuenke unter Mitarbeit von Olaf Schenk. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2007, S. 67.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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