Bauwerk

Mustersiedlung 9=12
Adolf Krischanitz, Steidle Architekten, Marcel Meili, Markus Peter Architekten, Hermann Czech, Hans Kollhoff, Heinz Tesar, Diener & Diener Architekten, Peter Märkli, Max Dudler - Wien (A) - 2007

Beton, wohnfähig

Man verbindet ihn eher mit Zweckbauten und feuchtkalten Durchgängen: Beton kann aber auch farbig sein oder textil wirken. Eine Mustersiedlung in Wien ist dem Baustoff gewidmet – und hat nichts zu verstecken.

4. November 2007 - Walter Zschokke
Ein sanfter Südwesthang über dem Wienfluss, vorstädtische Lage im äußersten Westen Wiens, Busstation vor der Nase und Schnellbahnstation um die Ecke. Da nimmt man die Bahnlinie davor und die Verzweigung Aufhof in Kauf. Jedenfalls überstieg das Interesse das Angebot etwa um das Zehnfache. Und gegen Luftschall ist der Beton unter den Baustoffen das Mittel der Wahl. Doch das war bloß ein Nebenargument, denn das Ziel dieser Mustersiedlung lautete, die Möglichkeiten des Baustoffs Beton „nachhaltig wirksam“ darzustellen. Darstellen heißt – auch – sichtbar machen, was heute aufgrund der erforderlichen Dämmwerte etwas mehr geistige Leistung erfordert als in den ölseligen Jahren vor 1973. Doch das sind bewältigbare technische Aspekte. Das eigentliche Problem ist die Anmutung.

Unsichtbar kommt Beton in fast allen Häusern vor. Auch Ziegel- und Holzbauweise können kaum darauf verzichten. Doch Herzeigen ist eine anspruchsvollere Aufgabe, denn sichtbar präsent ist Beton vor allem bei Tiefbauten der technischen und Verkehrsinfrastruktur, am unangenehmsten wohl in feuchtkalten Straßen- und Bahnunterführungen, während er bei Brücken, Tunnels und Stützmauern oder bei Tiefgaragen, Industrie- und Versorgungsbauten selbstverständlich erscheint. Das Problem lautet daher nicht, wie gewöhne ich die Menschen an den Tiefbaubeton, sondern: Wie wird Beton architekturfähig, sodass er auch im Wohnungsumfeld Anklang findet. Dies sollte mit einer Mustersiedlung demonstriert werden. Mit der Wahl von neun Architekten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, die ihre Kompetenz im Beton- wie im Wohnbau bereits ausreichend bewiesen hatten, durfte die Trägergruppe, angeführt von Lafarge Perlmoser, auf ein achtbares Resultat hoffen. Weiters sollten die Siedlungen nach den Auflagen für geförderten Wohnbau errichtet werden, wofür sich das Österreichische Siedlungswerk und die Gesellschaft für Stadtentwicklung und Stadterneuerung zur Bauträgerschaft zusammenfanden.

Grundrisse bestechend großzügig

Die „Spielleitung“ für das ambitiöse Unternehmen übernahm der in Berlin lehrende Wiener Architekt Adolf Krischanitz. Die Begrünung der Außenräume wird nach den Ideen der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer heranwachsen. Mit einem vergleichsweise rigiden städtebaulichen Konzept strebte Krischanitz eine Ordnung an, die bei den zu erwartenden individuellen Konkretisierungen der einzelnen Gebäude dennoch einen Zusammenhalt garantierte. So stehen nun in zwei Kolonnen zehn prinzipiell längliche, dreigeschoßige Quader parallel zum Hang. Während die Längsseiten sich relativ nahe kommen, verfügen die Stirnseiten über mehr Luft, indem sich zwischen den beiden Häuserkolonnen ein Anger den Hang hinaufzieht und an den Seiten der Straßenraum zum Abstand von den Nachbarhäusern beiträgt. Funktional lässt sich dies mit der von Süden steiler einfallenden Sonne begründen. Wie zu erwarten, sind die Häuser sehr individuell geraten. Sei es aufgrund der Möglichkeit, Beton mit heutigen Technologien architektonisch vielfältig einzusetzen, oder sei es wegen des reichhaltigen Wohnungsangebots.

In vorderster westlicher Position steht das von Peter Märkli, Zürich, entworfene Haus. Der immer schon eigenständige Schweizer hat den Baukörper durch einen Versatz und die Betonung der Geschoßdecken stark plastisch akzentuiert. Die Fugen der Schalungselemente gliedern in zurückhaltender Weise die Mauerflächen. Die Wohnungsgrundrisse entwickeln sich in diagonaler Raumfolge vom offenen Treppenhaus an der Nordecke bis zur Loggia an der Südecke in bestechender Großzügigkeit. Wie bei allen Häusern mit Sichtbetonfassade besteht die Wärmedämmung an der Innenseite aus geschäumtem Glas.

Ostseitig steht zuvorderst ein blockhafter Bau mit betonten Ecken von Adolf Krischanitz. Verputzte Flächen und solche aus Sichtbeton gliedern das Bauwerk, dessen eher kleine Fenster und eingezogene Loggien an den Stirnseiten an der exponierten Lage dem Schallschutz Rechnung tragen. Die jeweils zwei Wohnungen pro Geschoß verfügen beidseits der zentralen Wohnhalle über flexibel zuordenbare Räume.

In der zweiten Reihe fällt der historisierende Bau von Hans Kollhoff, Berlin, in blendendem Weiß auf. Die vier Maisonnette-Wohnungen sind geschoßweise verschränkt, sodass alle vier Wohnungen Anteil an den beiden Stirnseiten haben. Das Thema Beton tritt allerdings hinter der Fassade zurück. Die Stuckelemente enthalten jedoch als Bindemittel Zement.

Das Nachbarhaus in der zweiten Reihe stammt von Otto Steidle, München. Nach dessen überraschendem Tod hat Johannes Ernst die Arbeit abgeschlossen. Dieses Haus ist von der inneren Organisation beachtenswert und belegt die hohe Kompetenz Steidles für den Mehrwohnungsbau. Vier Reihenhäuser stehen im Erd- und im zweiten Obergeschoß wie üblich nebeneinander. Im ersten Obergeschoß wechselt die Unterteilung in längs und einmal quer, sodass jeder Wohnung eine Zimmerzeile bis zur Gebäudeecke zugeteilt wird. Die geschützte Dachterrasse im obersten Geschoß vervollständigt den hohen Wohnwert. Die Sichtbetonfassade wird mit Fenstern und Schalungsfugen sparsam, aber sorgfältig proportioniert.

In der mittleren Reihe haben die Zürcher Gegenklassiker Marcel Meili und Markus Peter sowie der verhalten klassisch agierende Roger Diener aus Basel gearbeitet. Erstere zeigen mit einem diagonal sich entwickelnden Grundriss ihre raumgestalterische Kompetenz. Beim Beton spielen sie mit der Einfärbung der Gussmasse, wobei die willkürliche Grenzziehung technisch sehr anspruchsvoll war. Eine dritte geplante Farbe hätte den Kostenrahmen gesprengt. Roger Diener gibt jeder Einheit einen eineinhalb mal höheren Wohnraum und erzielt an der Fassade durch seitlich mit einer Fase versehene Schalbretter einen feinen, nahezu textilen Effekt.

Die nächste Reihe teilen sich Heinz Tesar und Max Dudler, Berlin. Tesar gliedert das Volumen in vier doppelgeschoßige Einheiten, die räumlich und bezüglich der Öffnungen eine hohe Qualität bieten.

Kabinettstücke des Wohnbaus

Den Sichtbeton hält er glatt und flächig und kontrastiert ihn mit einzelnen großen Fenstern, die den Fassadeneindruck dominieren. Dudler arbeitet mit dunkelgrau eingefärbtem Beton und vorgefertigten Elementen. Der stark ornamentale Charakter der Fassade mit schmalhohen Fenstern birgt jedenfalls brauchbare, zu den Stirnseiten orientierte Grundrisse.

Zuhinterst steht ostseitig das von Hermann Czech entworfene Haus, der auf die Hanglage mit einem feinen Raumplan antwortet und den Quader mit Versätzen und Terrassen auflöst. Unbekümmert bringt er die verputzte Dämmung außen auf und zeigt Rohbeton im Inneren. Westseitig ersetzt der oberste Baukörper drei Einzelhäuser des ursprünglichen Konzepts. Adolf Krischanitz hat hier kompensatorisch einen äußerst kostengünstigen, aber nicht minder durchdachten Entwurf realisiert. Insgesamt ist es sicher gelungen, eine breite Palette architekturfähiger Ausdrucksweisen in Beton zu realisieren. Darüber hinaus entstanden jedoch mehrere Kabinettstücke des Wohnbaus von außerordentlicher Qualität.

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