Bauwerk

Mustersiedlung 9=12
Adolf Krischanitz, Steidle Architekten, Marcel Meili, Markus Peter Architekten, Hermann Czech, Hans Kollhoff, Heinz Tesar, Diener & Diener Architekten, Peter Märkli, Max Dudler - Wien (A) - 2007

9=12 IN WIEN

Neun international renommierte Architekturbüros haben in Wien eine Mustersiedlung gebaut. Der Masterplan stammt von Adolf Krischanitz, der selbst zwei Häuser realisiert und die anderen Teams eingeladen hat. Die Häuser tragen unverkennbar die Signatur ihrer Entwerfer – was zwar intendiert war, der formalen Einheit der Siedlung jedoch alles andere als förderlich ist.

3. März 2008 - Axel Simon
Eine Mustersiedlung will Mustergültiges aufzeigen, Vorbild sein. Das war schon 1927 auf dem Stuttgarter Weissenhof so, und das hatte auch der Wiener Architekt Adolf Krischanitz im Sinn, als er im Jahr 2000 die Idee einer Siedlung lancierte, die dem verdichteten Wohnen an der Peripherie seiner Stadt neue Impulse geben sollte – wie die dortige Werkbundsiedlung von 1932, die Krischanitz in den 1980er-Jahren renoviert hatte, oder wie seine Siedlung Pilotengasse von 1987–92, bei der auch Herzog & de Meuron und der Münchner Otto Steidle mitgewirkt hatten. Letzteren und sieben weitere Kollegen lud Krischanitz nun wieder ein, in der neuen Siedlung im Westen Wiens ein Haus beizusteuern: Max Dudler und Hans Kollhoff aus Berlin, Meili Peter Architekten und Peter Märkli aus Zürich, Diener Diener aus Basel sowie Hermann Czech und Heinz Tesar aus Wien. Von Krischanitz selbst stammt nicht nur der Masterplan, sondern er hat auch zwei Häuser realisiert. Neun Architekten bauen zwölf Häuser – so kam man auf den sperrigen Namen «9=12 Neues Wohnen in Wien». Aus Sparmassnahmen wurde aus den drei kleinsten ein grosses Haus; die Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer machte aus der reinen Männergesellschaft schliesslich ein «10=10».

Zusammenarbeit mit der Industrie

Obwohl er früh den traditionellen Begriff «Villenkolonie» benutzte, peilte Krischanitz noch ein weiteres Ideal der klassischen Moderne an: die kreative Zusammenarbeit von Architekt und Industrie. Daher formierte er eine Projektgruppe mit Vertretern vor allem aus der Betonindustrie. Die beteiligten Firmen fi nanzierten die aufwändige Entwurfsphase, bei der die internationalen Architektenteams sich an mehreren Wochenenden in Wien trafen und in einer Art freundschaftlichem Wettstreit die Grundzüge der einzelnen Gebäude erarbeiteten – gemeinsam mit den Industrievertretern, was zu einem «gemeinsamen qualitativen Lernprozess zumNutzen der Architektur» führen sollte. Dieses Ideal findet sich in der fertigen Siedlung jedoch nur schwerlich wieder.
Die zehn Häuser stehen dicht aneinander gereiht auf dem leicht nach Süden abfallenden Grundstück in Wiens öder Peripherie inmitten von Kleingartenkolonien. Die Häuser bilden zwei Reihen, halten sich mit ihren unterschiedlichen Volumina jedoch kaum an eine gemeinsame Baulinie, sondern springen leicht vor und zurück. Zwischen den Reihen weiten sich die ansonsten engen gemeinschaftlichen Zwischenräume zu einem durchgehenden, grünen Aussenraum, durch dessen Mitte sich ein Weg schlängelt. Dieser dürfte von den meisten auch als Zugang zu ihrem Haus benutzt werden, denn er startet beim halb eingegrabenen Parkhaus am Fusse der Siedlung.

Variationen in Beton

Auch wenn Krischanitz nur befreundete Architekten eingeladen hat, mit ihm zu bauen, sind die einzelnen Häuser denkbar unterschiedlich ausgefallen – ein gesuchter Reichtum verschiedener Haltungen, durchaus auch geprägt von den jeweiligen Baukulturen der drei vertretenen Länder. Beton taucht als Fassadenmaterial in unterschiedlichster Ausprägung auf: als Fertigteile bei Dudler, als Echo handwerklicherer Schalungstechniken bei Diener, als leicht schräge Fläche bei Tesar oder als Bodenplatten, die sich als Balken abzeichnen, bei Märkli. Nur Meili Peter entwickelten nahezu avantgardistischen Ehrgeiz: Ihre Fassadenwurden vor Ort aus normalem und gelblich eingefärbtem Beton gegossen, wobei die Flächen ineinander greifen. Das technisch komplizierte und teure Verfahren führte allerdings zu einem Ergebnis, das man – vor dem Hintergrund mehrerer gnadenloser Einsparungsrunden, unter denen die Ausführung und die Ausstattung aller Häuser empfindlich litten – hinterfragen kann.

Diagonalen, Verschachtelungen, Komplexität und Konvention

Die innere Organisation der Häuser folgt unterschiedlichen Strategien. Meili Peter und Märkli haben die Wohnungen mit diagonalen Raumfi guren und Fenstern an den Ecken der Baukörper von den engen Zwischenräumen weg und hin zur gemeinsamen grünen Mitte orientiert. Czech, Diener und Steidle versuchten, den Wohnungen durch eine komplexe Verschachtelung teilweise überhoher Räume mehr Luft zu verschaffen. Flexibilität machte lediglich Krischanitz bei einem seiner Häuser zum Thema – in Form von Wohneinheiten, die als offene Halle zwischen drei Erschliessungs- und Installationstürmen liegen und entweder in fünf Räume unterteilt oder offen belassen werden können.
Czech und Kollhoff verweigerten sich dem Beton in der äusseren Erscheinung ihrer Häuser. Während Czech sein plastisch differenziertes Haus aussen dämmen und verputzen liess und mit einer hohen Betonpergola krönte, fiel Kollhoffs Projekt bereits bei der ersten Präsentation völlig aus dem Rahmen. Zwar musste der anfangs vorgesehene Säulenportikus aus Kostengründen gestrichen werden, doch noch immer zeigt sich das klassizistische Volumen mit seinen Lisenen und Gesimsen aus Putz wenig beeindruckt von der parallel entworfenen Nachbarschaft. Ironie des Marktes: Die Kollhoff’schen Wohnungen, die konventionell geschnitten sind, relativ eng über drei Geschosse gehen und so gar nicht zu der hochherrschaftlichen Geste des Baukörpers passen wollen, waren als erste vermietet.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch