Bauwerk

Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Umbau Pavillon 3, 5 und 11 - Neurologisches Zentrum
Ernst Beneder, Anja Fischer - Wien (A) - 2002
Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Umbau Pavillon 3, 5 und 11 - Neurologisches Zentrum, Foto: Margherita Spiluttini
Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Umbau Pavillon 3, 5 und 11 - Neurologisches Zentrum, Foto: Margherita Spiluttini

Jedem sein Fenster!

Ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren: So diffizil die Bauaufgabe auch war, so souverän lösten sie Ernst Beneder und Anja Fischer. Die Neurologie Baumgartner Höhe: ein Gewinn für die Patienten, das Personal und die Architektur.

23. März 2002 - Judith Eiblmayr
Die Niederösterreichische Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke „Am Steinhof“ war seit ihrem Bestehen - 1907 als eine der weltweit modernsten Institutionen dieser Art errichtet - einigen Nutzungsänderungen unterworfen gewesen. Ein Teil der von Franz Berger, einem Architekten der niederösterreichischen Bauabteilung, geplanten und von Otto Wagner in ihrer städtebaulichen Anordnung supervidierten Pavillonanlage wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg in eine Lungenheilstätte umfunktioniert. Aus dieser entwickelte sich seit den sechziger Jahren einerseits das Pulmologische Zentrum und andrerseits, aus der Abteilung für Knochentuberkulose hervorgegangen, eine orthopädische Abteilung. Die eigentliche „Nervenheilanstalt“ wurde in Psychiatrisches Krankenhaus Baumgartner Höhe umbenannt, und so wurde man bei psychiatrisch auffallendem Benehmen ab den sechziger Jahren nicht mehr „auf den Steinhof“, sondern „auf die Baumgartner Höhe“ gebracht.

Seither hat sich viel geändert. Nach einer Reform der Betreuung psychiatrischer Patienten hat sich in den achtziger Jahren das Bild der psychiatrischen Krankenhäuser deutlich gewandelt. Allein die Verwendung des Plurals zeigt, daß in Wien nicht mehr eine einzige geschlossene Anstalt, am Rande des Stadtgebiets gelegen, als „der Steinhof“ angstbesetzt synonymisiert existiert, sondern zusätzlich in zwei Schwerpunktspitälern psychiatrische Abteilungen eröffnet wurden. Man ging in der Behandlung dazu über, die Stationen zu öffnen und Patienten und Patientinnen vermehrt ambulant und in relativer Nähe zu ihrem Wohnbezirk zu betreuen. Durch die Auslagerung einzelner Stationen von der Baumgartner Höhe wurden dort Pavillons leer und konnten einer neuen Verwendung zugeführt werden: einem Förderpflegeheim für geistig behinderte Kinder und Jugendliche etwa oder dem allgemeinen Pflegeheim Sanatoriumstraße.

Die wesentliche Neuerung stellte jedoch die Integrierung einer eigenen neurologischen Abteilung dar. Durch die zunehmende Spezifizierung in Diagnostik und Therapie erfolgte vor einigen Jahren die Trennung des Faches Psychiatrie und Neurologie in zwei eigenständige Disziplinen. Gerade auf der Baumgartner Höhe war der Bedarf einer Neurologie besonders stark gegeben, um sowohl Psychiatrie wie Orthopädie unmittelbar ergänzen zu können. Ein Synergieeffekt, den der Wiener Krankenanstaltenverbund auch insofern anstrebte, als zwecks Rationalisierung kleine Spitäler in Wien geschlossen und deren Abteilungen in den Verbund mit bestehender Infrastruktur gebracht werden und das Neurologische Krankenhaus Maria-Theresien-Schlös- sel in Döbling so neu verortet werden sollten. Die denkmalgeschützten Gebäude mit ihrer großzügigen Kubatur waren ideal für den Platzbedarf der neuen Nutzer, in drei benachbarten Pavillons konnte das gewünschte Raumprogramm umgesetzt werden.

Um der diffizilen architektonischen Aufgabe gerecht zu werden, ein High-Tech-Krankenhaus in denkmalgeschützte Bausubstanz zu integrieren, war seitens der Gemeinde Wien 1997 ein EU-weites Bewerbungsverfahren ausgeschrieben worden, das die Wiener Architektengemeinschaft Ernst Beneder und Anja Fischer mit einem Konzept gewann, das sie ohne Abstriche und unter Einhaltung der budgetierten Kosten realisieren konnte. Das Denkmalamt war von Anfang an in die Generalsanierung der Jugendstil-Pavillons eingebunden, paradoxerweise bedeutete das aber in diesem Fall keine Einschränkung, sondern lieferte eher die Argumente, um die Großmaßstäblichkeit, die die besondere Qualität der Jahrhundertwendebauten ausmacht, zu erhalten und nicht möglichst rationell zuzubauen.

Man war mit dem Altbestand zufrieden, da er sich in seiner räumlichen Struktur als sehr gut adaptionsfähig herausstellte: Durch die Einhüftigkeit waren die süd-, ost- und westseitige Orientierung der Krankenzimmer und der nordseitige, natürlich belichtete Gang gegeben, auch die enorme Raumhöhe, die aus Kostengründen bei keinem Krankenhausneubau mehr gemacht werden würde, ließ mehr Spiel in der Raumgestaltung zu. Die Sichtziegelfassade, die großformatigen Holzfenster (mit kleiner Sprossenteilung), die südostseitigen Loggien zum Grünraum hin und die hellen Stiegenhäuser wurden originalgetreu instand gesetzt, notwendige Neuerungen an struktureller Infrastruktur, wie Haustechnik oder der Einbau von Aufzügen mit neuen Zufahrten für die Krankentransporte, wurden weitestgehend integrativ, also ohne Zubauten an die bestehenden Gebäude vorgenommen.

Die drei Pavillons sind alle nach dem gleichen Ordnungsprinzip aufgebaut, um im laufenden Betrieb eine universelle Orientierbarkeit zu gewährleisten. Jeweils im Sockelgeschoß sind Therapieeinrichtungen beziehungsweise die Tagesklinik untergebracht, im Erdgeschoß Ambulanz oder Bettenstationen und im ersten Obergeschoß Bettenstationen unter anderem mit Critical Care (Intensivstation). Die Dachgeschoße sind mit den Dienst- und Besprechungszimmern dem medizinischen Personal vorbehalten. Wichtig ist, daß in jedem einzelnen Gebäude noch Reserveflächen vorhanden sind, die nach Bedarf individuelle Entwicklungen der einzelnen Abteilungen zulassen.

Neben einer Akutneurologie (Stroke Unit) werden die meisten stationären Betten von Langzeitpatienten zur neurologischen Rehabilitation belegt sein. Dies war einer der wesentlichen Gründe für den von Ernst Beneder und Anja Fischer formulierten konzeptionellen Leitsatz: „Jedem Patienten sein Fenster“. Die räumliche Großzügigkeit in Form des langgestreckten Baukörpers ausnutzend, wurden die Patientenzimmer so angelegt, daß die Betten nicht nebeneinander, sondern einander vis-à-vis angeordnet sind und somit jede Patientin, jeder Patient über „ihr“ oder „sein“ Fenster verfügen kann. Bei diesem Konzept kann jeder beim Fenster liegen und den ungehinderten Blick in den Grünraum genießen, man kann es öffnen oder geschlossen halten oder auch abdunkeln, ohne den „Kollegen“ zu beeinträchtigen. Es wird für jedes Bett ein eigener Bereich definiert, was auch während der Besuchszeiten von großem Vorteil ist. Selbst die Vierbettzimmer sind entlang der Fensterfront orientiert in zwei Hälften geteilt, wobei durch halbhohe Schrankwände eine Art Vorraum abgetrennt ist, der die Intimität der Bettenkojen weiter erhöht.

Die Längsorientierung bewirkt, daß die Zimmer weniger Tiefe brauchen, was neue räumliche Definitionen möglich macht. An den Sanitärbereichen vorbei verläßt man das Krankenzimmer, gelangt jedoch nicht direkt auf den Gang, sondern in einen Vorbereich mit halböffentlichem Charakter, was durch ein fix befestigtes Bankerl noch unterstrichen wird. So verfügt jedes Zimmer über seinen eigenen Vorraum, wobei über Oberlichten eine visuelle Anbindung hergestellt wird. Diese Entkoppelung vom hohen Raum und den weniger hohen Zwischenwänden läßt die Einbauten wie hineingestelltes Mobiliar wirken. Gleichzeitig wird der Gang durch die Rücksprünge, die sowohl in der Bodengestaltung als auch durch abgehängte, auskragende Deckenelemente aus Aluminium betont werden, in seiner Länge entschärft. Zwischen den „Vorplätzen“ liegen Versorgungsräume, über dieser Zone verläuft entlang der Längsachse der Technikkollektor mit sämtlichen Ver- und Entsorgungsleitungen.

Über die bereits beschriebenen Zonierungen hinaus war die räumlich-funktionale Organisation der einzelnen Stationen an der Achsialität des Baubestandes so gut festzumachen, daß sie ganz selbstverständlich wirkt: Gegenüber dem mittig an der Nordseite des Baukörpers liegenden Stiegenhaus mit direktem Blick auf den Eingang liegt der jeweilige Stationsstützpunkt, an der Südostecke mit Ausgang auf die Loggia der Patientenaufenthaltsraum. Jedes Stockwerk ist durch eine spezifische Farbe der eingebauten Möbel und Wandpaneele kenntlich gemacht, alle Details sind durchgeplant und in hochwertigen Materialien ausgeführt - und vor allem: Alt und Neu gehen, wie meistens, wenn gute, sensible Architekten oder Architektinnen mit der Planung beauftragt werden, einander bedingend und ergänzend bestens zusammen.

Ernst Beneder und Anja Fischer betreiben ein relativ kleines Architekturbüro, durch ihr kreatives Potential, ihre Erfahrung und eine gut funktionierende Kooperation mit Partnern wie dem Zivilingenieurbüro Pörner & Partner für Statik, Haustechnik, örtliche Bauaufsicht ist es ihnen als Generalplaner gelungen, ein Großprojekt wie dieses mit all seiner Mühsal perfekt abzuwickeln. Dies soll ein Hinweis darauf sein, daß gerade im Spitalsbereich so oft intelligente Individuallösungen gefordert sind, die durch eine engagierte, fachkenntnisreiche Planung enorme Verbesserungen im für Personal wie Patienten nicht einfachen Alltag bewirken können. Leider scheint es derzeit eher so zu sein, daß dringend notwendige Sanierungen wie beim Kaiserin-Elisabeth-Spital trotz vorhandener Planung nicht umgesetzt werden.

Der Steinhof hat es jedenfalls geschafft, rundum erneuert zu werden. Mit insgesamt fünf sanierten Pavillons und neuen Kompetenzbereichen ausgestattet, wurde die Institution auch einem semantischen Relaunch unterzogen und heißt jetzt: Sozialmedizinisches Zentrum (SMZ) Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital mit Pflegezentrum. Am Fuße seiner Kirche wird Otto Wagner vereinnahmt; aber vielleicht wollen die Patienten dann eher hin - nicht nur die Architekten.

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