Ensemble

Campus WU
Neubauten der Wirtschaftsuniversität Wien
Campus WU, Schaubild: BUSarchitektur & BOA GmbH & Competence Center URBAN MENUS
Campus WU, Plan: BUSarchitektur & BOA GmbH & Competence Center URBAN MENUS

Die Welt ist ein Campus

Am Donnerstag fand in der neuen Wirtschaftsuni im Wiener Prater das Pre-Opening statt. Der Campus bietet allen Grund zur Freude.

21. September 2013 - Wojciech Czaja
Donnerstag, 19 Uhr. Während im Audimax gerade eine Vorlesung über die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise 2007/2008 begonnen hat - halbvoller Saal, in den Reihen findet das übliche Getwittere und Herumgezeichne statt -, scharen sich 200 Meter weiter Architekten, Journalistinnen und andere sehr wichtige Leute, um die Fertigstellung der neuen Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) feierlich zu begehen.

Von Krise keine Spur. Im windschiefen Foyer des von Zaha Hadid geplanten Learning Centers werden Lachs und Schweinsbraten serviert. Dazu gibt's reichlich ausdifferenzierte akustische Un-termalung, denn für jedes einzelne der insgesamt sechs Unigebäude wurde ein eigener, sich an der architektonischen Sprache orientierender Eröffnungsjingle komponiert. Die Stimmung im Publikum ist superb. Selbst viele der beiwohnenden, schwarz monturierten Architekten, die für gewöhnlich dem Granteln nicht abgeneigt sind, heben an diesem Abend die Augenbrauen und holen tief, ganz tief Luft, so als ob sie sagen wollten: „Geht doch!“

Tatsächlich gibt es allen Grund zur Freude. Denn der neue WU-Campus am Rand des Wiener Praters ist in seiner äußeren Erscheinung eine Art Córdoba. Dass so ein Riesenprojekt - sechs Architekturbüros aus aller Welt waren an der Genese beteiligt - mit nur wenigen, dafür umso schmerzvolleren bürokratischen und baurechtlichen Zugeständnissen realisiert werden konnte, grenzt beinahe an ein Wunder - vor allem in Wien. Vergleichbares ist in der ganzen jüngeren Geschichte dieser Stadt kaum zu finden, denn überall anders, wo großflächige Bebauungen in Angriff genommen werden, landen sie früher oder später im unausweichlichen Mahlwerk zwischen politischem Marketing und wirtschaftlicher Profitgier, in dem sie stets zu mittelmäßiger Belanglosigkeit zermalmt werden.

„Dieses Projekt ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich“, sagt WU-Rektor Christoph Badelt im Gespräch mit dem STANDARD. „Ich muss zugeben, dass das Gesamtensemble des neuen Campus auf mich erhaben und zutiefst berührend wirkt. Um einfach nur zu sagen, ich sei mit dem Projekt zufrieden, ist die ganze Sache viel zu emotional.“ Am meisten freut sich Badelt über die Großzügigkeit und die neue Kommunikationskultur, die sich im neuen Campus aufzutun scheint. „Wissend, dass man den Begriff Campus in Wien anders interpretieren muss als etwa in Harvard oder Oxford, ist die Idee dennoch voll aufgegangen. Die neue WU ist eine kleine Stadt in der Stadt.“

Beim zweiten Anlauf klappt's

Erste Pläne, die alte WU in der Spittelau aufzugeben, reichen bis ins Jahr 2005 zurück. Der gläserne Monsterbau aus den frühen Achtzigern war, nach nicht einmal 25 Jahren Betrieb, komplett marod. Um das Schlimmste zu verhindern, mussten an regnerischen Tagen im ganzen Gebäude bis zu tausend Edelstahlwannen aufgestellt werden. Bald war klar, dass hier alle wegwollen, dass ein Neubau einer Sanierung klar vorgezogen wird. Erste organisatorische und wirtschaftliche Evaluierungen bestätigten das Möglichmachen des Unmöglichen.

2008 wurde ein offener EU-weiter Wettbewerb ausgeschrieben. Das in der Ausschreibung geforderte überbordende Leistungsprofil dürfte ein Schock gewesen sein, was sich nicht zuletzt in einer äußerst geringen Teilnahme mit nur 24 abgegebenen Projekten niederschlug. Die Resultate ließen zu wünschen übrig, und so beschloss man, das Siegerprojekt des Wiener Büros BUS Architektur als Masterplan heranzuziehen und entgegen den Wettbewerbsstatuten einen zweiten, diesmal weltweiten Wettbewerb aufzurollen, zu dem der damalige Juryvorsitzende Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au aktiv ein paar namhafte Architekturkapazunder aus seinem Dunstkreis zulud.

Architektur von Weltrang

Fünf Jahre später ist die von WU und Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in einer gemeinsamen Gesellschaft geplante Campus- Vision Wirklichkeit geworden. Das knapp neun Hektar große Grundstück, das die WU nun für die Dauer von 25 Jahren von der BIG zurückmieten wird, ist eine Spielwiese zeitgenössischer Architektur, an deren Bau sich Zaha Hadid, Peter Cook vom Londoner Crab Studio, das Madrider Büro NO.MAD Arquitectos, die Katalanin Carme Pinós, der japanische Architekt Hitoshi Abe sowie die ursprüngliche Siegerin Laura Spinadel von BUS beteiligt haben. Das Resultat ist wild und überaus abwechslungsreich und spornt zu einem Spaziergang zwischen Hörsaalzentren, Bibliotheken und Institutsgebäuden an.

„Es wäre damals echt ein Fehler gewesen, die gesamte WU von einem einzigen Architekturbüro planen zu lassen“, sagt Prix heute. „Ich finde das Ergebnis städtebaulich und architektonisch hervorragend, mit einigen sehr guten und einigen fast sehr guten Bauwerken. Endlich gibt es in Wien so was wie internationale Architektur von Weltrang. Das hat hier bislang gefehlt.“ Doch der Luxus hat seinen Preis. Das anfänglich kolportierte Budget von 250 Millionen Euro hat sich auf 492 Millionen Euro nahezu verdoppelt.

„Endlich sieht man Menschen“, sagt Elisabeth Brugger, Studentin in Wirtschaftsrecht. „In der alten WU war alles sehr verwinkelt und unübersichtlich.“ Sinan Okman, Volkswirtschaftslehre, meint: „Mit dem alten Gebäude kann man das nicht vergleichen. Die Lernplätze sind super, der Campus ist extrem spannend, man fühlt sich hier wohl.“ Und Katharina Prochazka, Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Research Institute for Urban Management and Governance, zwei Lacrosse-Schläger unterm Arm, lobt die Offenheit und die vielen Begegnungsflächen auf dem Areal. „Und ich möchte gleich dazusagen, dass ich zwei Lieblinge habe“, fügt sie hinzu, „nämlich das Learning Center von Hadid, das für mich eine Mischung aus Raumschiff und Kommandozentrale ist, und die Execu- tive Academy von NO.MAD, weil sich darin der ganze Himmel spiegelt.“

Lieblingsgebäude gibt es hier viele. Mal ist es Zaha Hadids futuristischer Bibliothekskristall, in dem einen ob der gekippten Wände, parallelogrammförmigen Stiegenläufe und sich perspektivisch bis auf ein kleines Trapez zuspitzenden Gangflächen schon mal akute Seekrankheit ereilen kann, mal ist es das verrostete, mit Corten-Stahl verkleidete Teaching Center von BUS Architektur. Allein, kein Gebäude vermag derart zu polarisieren wie der rot-orange-gelbe Institutscluster von Peter Cook, der von vielen Beteiligten als „Karikatur“ (vielfach gehörter O-Ton) empfunden wird. Die Farbgestaltung und die sägerauen Latten aus Weißtanne samt Rinde, die frisch aus dem Wald angekarrt wurden, spalten selbst die coolsten Gemüter.

„Lasst uns Farbe genießen!“

„Wien ist eine echt wunderbare Stadt, aber sie ist oft grau, so unbeschreiblich grau“, sagte Peter Cook vorgestern und erntete damit zustimmendes Gelächter im Saal. „Lasst uns doch endlich die Stadt in ihrer Farbenvielfalt genießen! Lasst uns in diese Dumpfheit etwas Heiterkeit reinbringen! Alles, nur nicht eines von diesen fucking boring Häusern!“ Als Arbeitsplatz taugt der Cook-Bau, der innen mit getupften Teppichen, rot-weiß karierten Türen und minzgrünen Möbeln bestückt ist, allemal. Im Kopierzimmer steht eine gestresste Mitarbeiterin: „Keine Zeit. Vollstress. Ist ein echt lässiges Haus. Das rockt.“ Und sogar Rektor Badelt, dessen Büro im quietschbunten Alien untergebracht ist, meint: „Die Architektur von Peter Cook mag Geschmackssache sein, aber ich persönlich fühle mich hier am wohlsten.“

Wien hat endlich Weltarchitektur bekommen - mit vielen unterschiedlichen Handschriften und ebenso vielen unterschiedlichen Meinungen dazu. Gut so. So funktioniert Stadt. Jetzt fehlt nur noch, dass ebendiese in den kommenden Jahren an den Campus heranwachsen und sich diesen infrastrukturell einverleiben möge. Randnotiz: Über den Wahnsinn, mit dem über die visionäre Architektur, einem Käfig gleich, das um Normierung und Haftungsfragenklärung bemühte Korsett österreichischer Kleingeistbauordnungsbürokratie gestülpt wurde, muss man nonchalant hinwegsehen. Das wird im Ausland für Lachsalven sorgen.

Die offizielle Eröffnung des WU-Campus findet am Freitag, dem 4. Oktober, statt.

Wien hat endlich Weltarchitektur bekommen - mit vielen unterschiedlichen Handschriften und ebenso vielen unterschiedlichen Meinungen dazu. Gut so. So funktioniert Stadt.

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