Veranstaltung

Hässliche Entlein
Ausstellung
15. Mai 2009 bis 20. Juni 2009
afo architekturforum oberösterreich
Herbert-Bayer-Platz 1
4020 Linz


Eröffnung: Donnerstag, 14. Mai 2009, 19:00 Uhr

Nachkriegszeit im Watschelgang

Nur wenige Menschen haben etwas übrig für 60er- und 70er-Jahre. Das soll sich nun ändern: Linz zeigt eine Ausstellung über die Schönheit des Hässlichen

8. Mai 2009 - Wojciech Czaja
Kommando Detonation. Ein Zucken in der Erde, ein ohrenbetäubender Krawall. Eben noch haben die 40.000 Schaulustigen ihre gierigen Objektive auf die beiden Häuser gerichtet. Nun rennen sie, um der herbeiwalzenden Staubwolke zu entkommen, mit aufgespannten Regenschirmen und gereizten Stimmbändern alle davon. Wir schreiben den 14. März 2003. Nach Jahren der sozialen Verwahrlosung und des Leerstandes werden die zwei Wohnhochhäuser am Harter Plateau, gigantische Scheiben aus Stahlbeton, publikumswirksam in die Luft gesprengt. Vom gefürchteten Linzer Schandfleck bleiben nur noch Schutt und Erinnerung.

Dass man dem architektonischen Erbe aus den 60er- und 70er-Jahren auch anders begegnen kann, beweist eine Ausstellung im architekturforum oberösterreich (afo), die kommenden Donnerstag eröffnen wird. Anhand ausgewählter Hochhausprojekte, die das Erscheinungsbild der Stadt Linz seit Jahrzehnten entscheidend mitprägen, wagt sich Ausstellungskurator Lorenz Potocnik an eine heikle Frage heran: „Warum haben die Bauten aus dieser Zeit ein derart schlechtes Image?“ Zielsicher gewählt, ja geradezu mit Mitleid erregender Bedacht, erscheint der Titel der ungewöhnlichen Schau: „Hässliche Entlein.“

„Mich fasziniert, dass diese Gebäude bei den meisten Leuten auf so viel Widerstand stoßen, während sich manche Fachleute für die Materie durchaus begeistern können“, sagt der in Wien lebende Architekt und Entenliebhaber. „Hässlichkeit hin oder her, der Großteil der damaligen Bausubstanz weist eine hohe architektonische und atmosphärische Qualität auf.“ Pech fürs betonierte Federvieh, dass sich diese Vorzüge dem Betrachter äußerst selten auf den ersten Blick erschließen.

Sprengen als letzte Option

Die da wären: Mut zum Experiment, Radikalität im Bauen und grundsolide, gut funktionierende Wohnungsgrundrisse. Potocnik: „Damals waren die Protagonisten noch von Visionen gebeutelt. Auch wenn das Konzept nicht immer aufgegangen ist, so ist die positive und enthusiastische Aufbruchstimmung vielen Bauten bis heute anzusehen.“ Aus Erfahrung weiß der Architekt: „Jammern und keppeln tun nur die Außenstehenden. Die Bewohner selbst sind mit ihrer Wohnsituation in den meisten Fällen zufrieden.“

Das bestätigt auch Sabine Pollak, Professorin für Urbanistik an der Kunstuniversität Linz: „Die Bauten werden heute nur noch nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bewertet und nicht mehr nach ihren Grundrissen und räumlichen Konfigurationen. Hinzu kommt das Schreckgespenst der schlechten Energiebilanz von oft viel zu dünn konstruierten Wänden. So gesehen ist es nachvollziehbar, dass sich die Bevölkerung schwertut, solche Bauten positiv zu bewerten.“

Tatsächlich aber handle es sich dabei nicht um Planungs- und Baufehler, sondern um eine Missachtung von grundlegenden städtebaulichen Prinzipien. „Die Bedeutung des öffentlichen Freiraums und des Verkehrs wurde damals offensichtlich falsch eingeschätzt. Und ja, dadurch werden die Bauten grundsätzlich diskutierbar. Sprengen allerdings - das ist für mich die letzte aller Optionen.“

Welche Rolle werden die Linzer Enten in Zukunft spielen? „Bei hochwertigen Wohnbauten aus dieser Zeit spricht nichts dagegen, sie auf dem aktuellen Stand der Technik zu sanieren und sie den heutigen Wohnbedürfnissen anzupassen. Die Grundsubstanz ist meist sehr gut“ , erklärt Architekturhistorikerin Iris Meder: „Doch bei aller Liebe muss ich gestehen, dass viele dieser Bauten auf vielen Ebenen versagt haben. Um die Wohntürme auf dem Harter Plateau beispielsweise tut es mir kein bisschen leid. Ein Gebäude, das hässlich und noch dazu schlecht ist, muss abgerissen werden.“

Ausstellungsmacher Potocnik sieht die Sache mit den missratenen Küken etwas anders: „Das war das ehemalige Arbeiterwohnhaus der Voest und damit ist das Harter Plateau unmissverständliches Symbol für die industrielle Vergangenheit dieser Stadt.“ Hätte man früh genug eingegriffen, dann sei die Problematik dieser Wohnhausanlage (Bauzeit: 1972-1974), allen voran die fehlende soziale Durchmischung und die nicht vorhandene Infrastruktur, auch anders zu lösen gewesen. „Die Detonation war ein reines Politikum. Die Stadtverwaltung wollte dieses Ungetüm um jeden Preis loswerden.“

Mit Sprengstoff ins 21. Jahrhundert? Planungsmethode TNT? „Ganz und gar nicht! Wenn die Qualität nicht in ausreichendem Maße gegeben ist, kann man den Abbruch eines Gebäudes natürlich nicht ganz ausschließen“ , erklärt der Linzer Planungsstadtrat Klaus Luger (SP), „aber das ist ein absoluter Einzelfall.“ Man dürfe nicht vergessen, dass die Bauten der Sechziger- und Siebzigerjahre für einen eigenen Stil und ein eigenes Bewusstsein stehen. „Aus diesem Grund wünsche ich mir eine etwas differenziertere Diskussion um diese Epoche.“

Der Startschuss erfolgt kommende Woche. Anhand von großformatigen Fotografien von Gregor Graf präsentiert das afo 16 unterschiedliche, in jeder Hinsicht auffällige Wohn- und Bürobauten aus dieser Zeit. Ergänzt werden die dokumentarischen XXL-Ansichten von Texten, Interviews und Podiumsdiskussionen. Wichtig zu betonen: „Das ist keine wissenschaftliche Ausstellung, sondern eine Bewusstseinskampagne, die der Bevölkerung das Thema in all seinen Facetten ins Gedächtnis rufen soll.“ Ein positives, wenngleich subtiles Beispiel im Umgang mit dem ungewollten Erbe, ist die Teilsanierung des Hochhauskomplexes Lentia 2000. Mit Sondermitteln des Landes wurde der nicht mehr aus der Stadt wegzudenkende dunkelweiße Schandfleck (Bauzeit: 1973-1977) behutsam saniert. Der unverwechselbare Charakter wurde beibehalten, dem Entlein wurde keine einzige Feder gerupft.

„Heute werden diese Gebäude aus den Sechziger- und Siebzigerjahren von vielen Leuten verspottet und gehasst“ , sagt Lorenz Potocnik, „doch wie der Lauf der Geschichte schon etliche Male gezeigt hat, müssen erst einmal viele Jahrzehnte verstreichen, ehe man die Qualität einer Ära zu schätzen weiß. Die Generation nach uns wird uns danken.“

Wie geht es eigentlich dem hässlichen Entlein am Ende von Hans Christian Andersens Märchenklassiker Das hässliche Entlein? „Was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, hässlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war. Nun erkannte es erst sein Glück an all der Herrlichkeit.“ Na dann.

[ „Hässliche Entlein. Architektur der 60er- und 70er-Jahre in Linz“, architekturforum oberösterreich (afo), Herbert-Bayer-Platz, 4020 Linz. Eröffnung Donnerstag, 14. Mai 2009, 19 Uhr. Zu sehen bis 21. Juni. ]

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