Veranstaltung

Tirana_ Planen Bauen Leben
Ausstellung
13. Juli 2010 bis 17. September 2010
Ausstellungszentrum im Ringturm
Schottenring 30
A-1010 Wien


Vienna Insurance Group
Eröffnung: Montag, 12. Juli 2010, 18:30 Uhr

Ein Leben nach dem Pinselstrich

Tirana befindet sich mitten in einer zweiten Renaissance. Im Wiener Ringturm wird der bunten Hauptstadt Albaniens derzeit eine eigene Ausstellung gewidmet. Ein Lokalaugenschein.

24. Juli 2010 - Wojciech Czaja
Farbe. Sehr viel Farbe. Tonnen- und hektoliterweise einfach nur knallig bunte Farbe. Als der ausgebildete Künstler Edi Rama im Jahr 2000 mit 57 Prozent zum Bürgermeister Tiranas gewählt wurde, hatte er nur eines im Sinn: Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln - und viele waren das nicht - wollte er die Hauptstadt Albaniens nach Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur und einem viel zu abrupten Wechsel in die freie Marktwirtschaft endlich wieder aus ihrem anarchischen Chaos befreien.

„Wir hatten damals überhaupt kein Geld, aber wir mussten unbedingt was machen“, sagt er im Gespräch mit dem Standard. Und schon spielt er mit einem seiner vielen bunten Filzstifte, die zuhauf auf seinem Schreibtisch herumrollen, zieht Linien und Kreise damit, malt eingeschlossene Flächen aus. „Das Problem war: Wir waren damals erschlagen von den verheerenden ersten zehn Jahren in Freiheit, in denen es keine Ordnung gab und in denen alles Öffentliche als Reaktion auf die kommunistische Ära abgelehnt wurde.“

Rama räumte auf. Unbewilligte Hütten und Kioske wurden abgerissen, dafür erhielten die Geschäftstreibenden entsprechende Ersatzflächen in den Erdgeschoßen bestehender Wohnhäuser. Die frei gewonnenen Parkflächen wurden wieder renaturiert.

Auch entlang der Lana, dem einzigen Flüsschen der Stadt, wurde Tabula rasa gemacht. Hunderte illegal errichteter Baracken wurden mit dem Bulldozer weggeschaufelt, gleichzeitig wurde das einst zähflüssige Gewässer vom Müll befreit. Eine Wiederholung dieser Aktion würde dem Fluss, der allmählich wieder DeponieQualitäten aufweist, nebenbei bemerkt, nicht schaden.

Die am stärksten wahrgenommene Aktion war jedoch die Bemalung von Tiranas Hausfassaden in den irrsten und aberwitzigsten Mustern. „Farbe kostet nicht viel“, blickt Rama heute zurück. „Die Aktion war simpel, aber extrem wichtig, denn sie hat der ganzen Stadt einen richtigen Schubs nach vorn verpasst. Das war ein dramatischer Moment!“ Für seine radikale Offensive wurde Edi Rama von der Internet-Community City Mayors 2004 zum „Bürgermeister des Jahres“ gekürt.

Zehn Jahre nach seiner ersten stadtplanerischen Amtshandlung holt Rama nun zum zweiten Mal aus - und beschert der Stadt nicht nur erstklassige Architektur, sondern nimmt sich auch all jener weitreichenden Probleme an, bei denen man mit Pinsel und Bagger nicht mehr weiterkommt: Ausweitung und Gestaltung öffentlicher Räume, Anreizschaffung für internationale Investoren, Ausbau der städtischen Infrastruktur.

Tirana platzt aus allen Nähten

„Nach der Wende hat die Stadt viele Menschen aus dem Umland angelockt“, sagt Edi Rama. „In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Bevölkerungszahl Tiranas mehr als verdoppelt. Die Stadt ist ihren 700.000 Einwohnern heute kaum noch gewachsen. Wir können nicht mehr länger tatenlos zusehen.“

Als vor ein paar Jahren die ersten internationalen Wettbewerbe ausgeschrieben wurden, hätte sich kein Mensch gedacht, dass aus den vielen Visionen aus dem Ausland jemals etwas werden wird. Und tatsächlich: Der ambitionierte Entwurf „Tirana Rocks“, mit dem das niederländischen Revoluzzerbüro MVRDV 2008 den Vogel abgeschossen hatte, landete letztendlich in der Schublade. Bei Baukosten in der Höhe von 600 Millionen Euro bekamen selbst die kühnsten albanischen Investoren plötzlich kalte Füße.

Schade eigentlich, denn mit dem Mammutprojekt aus Rotterdam hätte sich Tirana sicherlich mit einem Mal zur Architekturpilgerstätte hochkatapultiert. „Auf den ersten Blick wirkt der Trümmerhaufen ungeordnet und chaotisch“, sagt Architekt Winy Maas, „aber im Grunde genommen ist es doch genau dieses Chaos, das eine so unkontrolliert und illegal gewachsene Stadt wie Tirana ausmacht. Wir haben diese Unordnung in eine neue Form gebracht. Stellen Sie sich doch mal vor, was für wunderbare öffentliche Räume zwischen und unter den Gebäuden entstehen würden!“

Neue Türme, neue Bim

Doch „Tirana Rocks“ ist nur ein Projekt von vielen. Alle anderen Wettbewerbe, die in den letzten Jahren ausgeschrieben und prämiert wurden, befinden sich bereits in Planung, manche sogar schon in Bau.

Das Pariser Büro Architecture Studio schlug vor, sämtliche Brachflächen innerhalb des Ringes - heute parken darauf meist nur Autos - zu begrünen und zu attraktiven Plätzen mit Sitzgelegenheiten und Beschattung auszubauen. Hauptbestandteil des innerstädtischen Masterplans ist der Bau einer Straßenbahnlinie auf der Nord-Süd-Hauptachse Bulevardi Dëshmorët e Kombit. Bis heute wird der gesamte öffentliche Verkehr Tiranas mit ausrangierten Bussen aus dem Ausland abgewickelt. Auch die Wiener Busflotte ist in einem nicht mehr ganz so rost- und dellenfreien Zustand prominent vertreten.

Die Liste ließe sich endlos fortführen: Das Brüsseler Büro 51N4E baut ein arabisch anmutendes Hochhaus direkt hinter der Moschee; die Fassade wird bereits montiert. Henning Larsen aus Kopenhagen baut einen Öko-Wolkenkratzer mit klimaregulierenden Pflanzenatrien. Und das italienische Büro Archea Studio setzt einen Hochhausturm in die Stadt, dessen Dachterrasse im 22. Stock zum höchstgelegenen Park der albanischen Hauptstadt avancieren soll.

MVRDV baut ein Shoppingcenter im feschen Nullerjahre-Pixeldesign; die Baugrube für den sogenannten Toptani-Komplex ist bereits ausgehoben. Valerio Olgiati entwarf ein poetisch anmutendes Wohnhaus am Ufer des Tiranasees, dessen Rohbau schon seit einiger Zeit zu bewundern ist. Weiters gibt es Pläne von Mecanoo, Erik van Egeraat, Bolles & Wilson, Daniel Libeskind, David Chipperfield und vielen, vielen mehr.

Jedoch: Nirgendwo sonst manifestiert sich der Tatendrang des Bürgermeisters so klar und deutlich wie auf dem prominenten Hauptplatz Sheshi Skënderbej. Die Reiterstatue des albanischen Nationalhelden Skanderbeg steht einsam und allein auf einem Steinsockel, rundherum ist wüsteste Baustelle. Der Platz wird nach Plänen von 51N4E topografisch modelliert und verkehrsberuhigt. Das Herz Tiranas wird künftig wieder den Bewohnern gehören.

Tirana ist eine liebenswerte und baukulturell wertvolle Stadt, die im Laufe des letzten Jahrhunderts viele dunkle Stunden durchlitt. Nach den ersten zehn Jahren im Amt sagt Edi Rama: „Jetzt fangen wir erst so richtig an. Tirana wird zwar immer eine Stadt mit Problemen bleiben, aber ich wünsche mir, dass die Touristen und Bewohner sie für ihren Charme noch mehr lieben werden, als das heute schon der Fall ist.“

„Tirana. Planen, Bauen, Leben“, Ausstellung im Wiener Ringturm. Zu sehen bis 17. September. Mo bis Fr 9 bis 18 Uhr.

Zur Ausstellung ist ein Buch erschienen. Adolph Stiller, „Tirana. Planen, Bauen, Leben“. Müry-Salzmann-Verlag. € 27,-

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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