Veranstaltung

martin & werner feiersinger: italomodern
Ausstellung
martin & werner feiersinger: italomodern © Werner Feiersinger
14. Oktober 2011 bis 18. Februar 2012
aut. architektur und tirol im Adambräu
Lois-Welzenbacher-Platz 1
A-6020 Innsbruck


Eröffnung: Donnerstag, 13. Oktober 2011, 19:00 Uhr

Als morgen noch übermorgen war

Die beiden Brüder Martin und Werner Feiersinger - der eine Architekt, der andere Künstler - haben sich auf die fotografische Jagd nach der Moderne begeben. Die Ausbeute von „Italo Modern“ ist nun zu bestaunen: als Buch und als Ausstellung.

24. Dezember 2011 - Wojciech Czaja
STANDARD: Fliesen und Plüsch. Wie passt das zusammen?

Werner: Die Casa sotto una foglia hat uns selber überrascht. Das ist ein Projekt, das von außen in erster Linie durch sein blattförmiges, geschwungenes Dach auffällt. Der Rest des Gebäudes ist unscheinbar. Sobald man aber den Innenraum betritt, findet man sich in einer Welt aus weißen Fliesen und langhaarigem Plüsch wieder. Das sieht aus wie ein Playboy-Haus, in dem früher einmal wilde Partys gefeiert wurden.

Martin: Ich finde die Entstehungsgeschichte des Hauses sehr interessant. Der Entwurf stammt von Giò Ponti, also vom Gründer und Herausgeber der italienischen Architekturzeitschrift Domus. Was ganz ungewöhnlich ist: Er hat seinen Entwurf 1964 in der Ausgabe 414 veröffentlicht und seine Leser eingeladen, die Pläne zu übernehmen und das Ding einfach nachbauen. Das ist ein ziemlich freizügiger Umgang mit Copyrights, vor allem aber zeugt das von höchster Eitelkeit. Die Mailänder Designerin Nanda Vigo hat den Entwurf dann adaptiert und realisiert. Es ist das einzig gebaute Haus dieser Publikationsoffensive.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen das Haus?

Martin: Man fühlt sich angezogen und irritiert zugleich. Gefallen ist nicht wirklich ein Kriterium für dieses Projekt. Es geht um Einzigartigkeit. Das ist ein Juwel der Moderne. Und obwohl das Gebäude dermaßen aus dem Rahmen fällt, sagt es einiges über die damalige Zeit aus.

STANDARD: Und zwar?

Martin: Es ist Inbegriff eines völlig durchgeknallten Spätsechziger-Lebensgefühls, es ist kompromisslose Architektur, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Zeitgeist zu realisieren, es ist eine Momentaufnahme von Vision und Utopie, ein Dokument davon, wie man sich damals Zukunft vorgestellt hat!

Werner: Im gleichen Jahr wurde in Mira die Casa Gialla fertiggestellt. Das ist ein Büro- und Geschäftshaus. Die beiden Architekten Iginio Cappai und Pietro Mainardis haben das Gebäude aufgrund seiner außergewöhnlichen Form als Mähdrescher bezeichnet.

Martin: Und die Farbe dieses Mähdreschers ist Knallgelb. Ende der Sechzigerjahre, muss man wissen, hatte man die ganz klare Vorstellung, dass Gelb die Farbe des Jahres 2000 sein würde.

STANDARD: Diese Bauten sind Beispiele für eine Architektur des 20. Jahrhunderts, wie sie nördlich der Alpen heute kaum noch anzutreffen ist. Warum hat sich die Architektur in Italien gehalten - und warum in Österreich nicht?

Werner: Der Unterschied liegt im Stellenwert und in der Interpretation des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. In Österreich und Deutschland war man in erster Linie um Wiederaufbau bemüht. Die Architektur ist entsprechend schlicht und nüchtern. In den seltensten Fällen wurden damit Emotion und Sinnlichkeit geweckt. In Italien jedoch wurde der Wiederaufbau in den Fünfzigern und Sechzigern dazu benützt, in die Zukunft zu blicken und Neues auszuprobieren. Das zeigt sich im Alltagsdesign von großen Firmen wie etwa Brionvega, Olivetti und Zanussi, aber auch in der Architektur. Manche Bauten zeugen von einer enormen Aufbruchstimmung. Einige davon schauen heute noch utopisch aus.

STANDARD: In welchem Zustand befinden sich die Bauwerke?

Martin: Das ist sehr unterschiedlich und hängt primär von der Typologie und Nutzung der Gebäude ab. Die Casa sotto una foglia ist ein Liebhaberprojekt. Der Bauherr - er ist mittlerweile 83 - lebt mit seiner Familie immer noch in diesem Haus und pflegt es mit größter Sorgfalt. Keine Fliese ist kaputt. Der Plüsch ist der gleiche wie vor 40 Jahren. Problematisch wird es im Massenwohnbau, also zum Beispiel bei großen Wohnsiedlungen, sowie bei Projekten im öffentlichen Raum. In vielen Fällen lässt der Zustand zu wünschen übrig. Einige Gebäude stehen leer. Und einige scheinen überhaupt dem Verfall preisgegeben zu sein.

STANDARD: Heißt das, dass die Architektur der Moderne auf Liebhaberei angewiesen ist?

Werner: Wahrscheinlich! Die noblen Wohnungen des gehobenen Bürgertums, das sich der Qualität dieser Gebäude durchaus bewusst ist, werden minutiös gepflegt und sind in einem sehr guten Zustand. In der normalen Alltagsarchitektur hingegen ist das Bewusstsein für die Moderne nicht stark genug. Oder anders ausgedrückt: Die Gesellschaft war und ist nicht so formbar, wie man sich das in der Moderne gewünscht hätte. Viele Konzepte gehen nicht auf. Das sieht man immer wieder, wenn man sich durch Innenhöfe, Gärten, Stiegenhäuser und auf Dachterrassen bewegt, die heute leer stehen und ungenutzt sind.

STANDARD: Stehen die von Ihnen porträtierten Gebäude unter Denkmalschutz?

Martin: Abgesehen von ein paar öffentlichen Bauwerken wie etwa Kirchen sind die Häuser in keinster Weise geschützt. Beim Istituto Marchiondi in Mailand bemüht sich das Politecnico di Milano derzeit um die Erhaltung des Komplexes. Das ist ein Kinderheim aus dem Jahr 1959, in dem das päd-agogische Konzept der damaligen Zeit baulich manifest gemacht wurde. Die Grundrisse sind ein Unikat. Für eine Unterschutzstellung ist es meines Erachtens aber viel zu spät. Das Haus, das seit vielen Jahren leer steht, ist mittlerweile einsturzgefährdet.

STANDARD: Wie geht es mit diesen gebauten Kulturgütern weiter?

Werner: Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein für diese Materie zunimmt. Für mich als Bildhauer sind die Bauten der Moderne eine riesige Inspirationsquelle. In ganz anderer Hinsicht wiederum sind sie Zeitzeugen einer gelebten Kultur und Politik, die die damalige Auffassung von der Welt viel unmittelbarer baulich umgesetzt hat, als das heute der Fall ist.

Martin: Gleichzeitig kann man aus den Fehlern der Moderne lernen. Man kann sie als Warnung auffasen. Manche Visionen gehen auf, manche nicht. Nicht jede Utopie, nicht jedes Experiment eignet sich für die Umsetzung.

STANDARD: Und? Haben wir aus den Fehlern gelernt?

Martin: Wenn man sich die heutige Architektur so anschaut? Nein, viel zu wenig.

„Italo Modern. Architektur in Oberitalien 1946-1976“, Ausstellung im aut - architektur und tirol, Innsbruck. Zu sehen bis 18. Februar 2012. www.aut.cc

Zur Ausstellung ist das gleichnamige Buch „Italo Modern“ erschienen. 84 Projekte aus Norditalien werden vorgestellt. Mit Texten und Notizen von Otto Kapfinger. Springer-Verlag 2011. € 39,95 / 352 Seiten

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