Veranstaltung

13. Architektur-Biennale Venedig 2012
Ausstellung
29. August 2012 bis 25. November 2012
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Kannst du den Raum hören?

Am Mittwoch wurde die 13. Architektur-Biennale in Venedig eröffnet. Die Ausstellung unter dem Motto „Common Ground“ ist ein Hybrid aus Zukunftstrauma und Menschlichkeit.

1. September 2012 - Wojciech Czaja
Es faucht aus den Wänden heraus. Es klopf und zischt und dröhnt. Und je lauter der Ton, desto stärker bebt die Architektur. Vorsichtig wagen sich die Besucher in die Mitte dieses kafkaesken Raumes hinein, bleiben kurz stehen, blicken verwirrt um sich und schicken fassungslos ihre Ohren auf Reise. Manche lehnen ihr Gehör an die Wand und lauschen. Und dann wieder: Grrrrr im Trommelfell und Brrrrr in der Fußsohle.

Für die Installation Making the walls quake as if they were dilating with the secret knowledge of great powers, ein Zitat aus Charles Dickens' Roman Dombey und Sohn, wurde der polnische Pavillon vor wenigen Tagen mit dem Aner-kennungspreis der diesjährigen Architektur-Biennale ausgezeichnet, die seit Mittwoch in Venedig zu sehen ist. Als einer der wenigen Beiträge hat sich Polen heuer ernsthaft mit dem von Direktor David Chipperfield vorgeschriebenen Thema „Common Ground“ beschäftigt und einen Raum kreiert, der uns allen gehört, der uns allen zur Verfügung steht, der uns alle letztendlich gleichermaßen überfordert.

„Wir sprechen so oft darüber, dass Architektur eine Materie ist, die mit allen Sinnen wahrgenommen werden müsse“, sagen Architektin Katarzyna Krakowiak und Ausstellungskurator Michal Libera. „Aber tatsächlich wird diese Komponente beim Bauen oft außer Acht gelassen. Wir wollten daher eine Geräuschkulisse schaffen, die uns das Hören von Raum wieder ins Gedächtnis ruft.“

Die Wände sind dunkelgrau verspachtelt, die Oberflächen wirken wie der Rohbau eines barocken Palais, Boden und Wände sind um kaum wahrnehmbare 2,5 Grad geneigt. Die Irritation ist perfekt. Und als wäre das alles noch nicht genug, werden über 50 versteckte Lautsprecher immer wieder tieffrequente Tonbrocken in den Raum gespuckt. Die Schwingungen bringen die Wände zum Erzittern, als würden sie sich aufblähen mit der geheimen Kenntnis von großen Mächten. So lautet die wörtliche Übersetzung des Titels.

Mächtig - und nach vielen Jahren wenig einprägsamer Gruppenausstellungen endlich auch wieder eine eigenständige, unverwechselbare Arbeit - ist heuer auch der österreichische Beitrag. Kurator Arno Ritter und Architekt Wolfgang Tschapeller befassen sich in ihrer Film- und Soundinstallation hands have no tears to flow ... mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Raum.

Interaktive Figuren

Mitten durch den Pavillon, 1934 nach Plänen von Josef Hoffmann erbaut, verläuft eine gespannte Spiegelfolie, die nicht nur die Anzahl der Besucherinnen und Besucher verdoppelt, sondern auch die künstlich animierten Figuren, die sich kriechend, gehend und tanzend auf der Projektionsebene fortbewegen.

Eine Herausforderung für die besonders Aufmerksamen: Zwei der insgesamt 32 Figuren sind interaktiv und treten mithilfe einer eigens entwickelten Software mit dem Betrachter in Kontakt. Das visuelle Konzept dafür stammt von Rens Veltman und Martin Perktold.

„Auf den ersten Blick scheint die Arbeit nicht viel mit Architektur zu tun zu haben, aber das ändert sich, sobald sich zwischen den realen und virtuellen Personen ein Dialog entspinnt“, sagt Arno Ritter im Gespräch mit dem STANDARD. „Obwohl sich die weltweite Architektur in den letzten Jahrzehnten sehr weit entwickelt hat, denken wir immer noch in klassischen Beziehungsmustern zwischen Subjekt und Objekt. Vielleicht ist es an der Zeit, diese Muster aufzugeben. Vielleicht entsteht ja in Zukunft nicht mehr der Raum um den Körper, sondern auch der Körper um den Raum.“

Menschen konstruieren

Pure Ratlosigkeit. Doch die Auflösung folgt prompt: „Wir leben längst in einer Zeit, wo wir nicht nur Häuser konstruieren, sondern auch Menschen“, erklärt Ritter. „Wir saugen Fett ab, transplantieren Organe und richten kaputte Körperteile wieder her. Wer weiß, vielleicht übernimmt die Architekturdebatte in Zukunft auch die Aufgaben der Körper- und Lebensdiskussion.“

Überhaupt ist die heurige Architektur-Biennale in Venedig sehr zukunftsgewandt, bisweilen sogar utopisch. Nicht immer ist dieser Ritt in den Futurismus sattelfest. Es kann anstrengend werden, wenn alle Architekten auf einmal die Kraft von Smartphones, iPads und QR-Codes zu entdecken glauben. Das radikalste Beispiel dafür liefert Russland, das - neben Polen und den USA - ebenfalls mit dem Anerkennungspreis der Jury ausgezeichnet wurde. Die offizielle Eröffnung am Mittwoch musste sich gegen eine Demonstration behaupten, die dem kürzlich verhängten Moskauer Urteil gegen Pussy Riot galt.

Kurator Sergej Tschoban, seines Zeichens Architekt und einer der Hauptbeteiligten an der neuen Science-City Skolkovo, die derzeit am westlichen Stadtrand von Moskau errichtet wird, schuf einen Pavillon, der das Prestigeprojekt PR-konform in Szene setzt. Der gesamte Innenraum ist mit hunderten hinterleuchteten QR-Codes verkleidet. Mit einem zur Verfügung gestellten Tablet kann man die unterschiedlichen Pixelcodes scannen und gelangt auf diese Weise zu Textinhalten, Baustellenfotos und hübschen Renderings.

„Skolkovo wird eine moderne Science-Metropole sein, eine Art öffentliche iCity, ein Common Ground für alle“, sagt Tschoban zum STANDARD. „Ich glaube daran, dass Skolkovo die Werte moderner Architektur und Stadtplanung verkörpert.“ Was diese intendierte Offenheit allerdings mit den technischen Hürden und der Notwendigkeit virtueller Raumerkundung zu tun hat - diese Frage bleibt unbeantwortet.

Auffällig schließlich: Während der eine Teil der Biennale heuer stark ins Technische abdriftet, widmen sich viele andere Teilnehmer der Zukunft auf erdige, handfeste, im wahrsten Sinne des Wortes begreifbare Weise. Nach dem vielen Drücken, Knipsen und Flackern ist die Abwechslung zum Physischen eine erfrischende Wohltat.

Im italienischen Pavillon wuchern Farne und Gräser aus 5000 Blumentöpfen. Landstories widmet sich der Ära nach dem industriellen Zeitalter und dem Kapitalismus der Green Economy. Sieht so die Zukunft unserer Städte aus? Dänemark widmet sich dem riesigen Eismassiv Grönland und sinniert über Potenziale und Nutzungsmöglichkeiten. Peru beschäftigt sich mit Visionen für eine neue Stadt. Im Zuge des Megaprojekts Olmos - dabei soll dem Amazonas Wasser entnommen und über ein Tunnelsystem in die Wüste im Norden Perus gepumpt werden - muss Lebensraum für 250.000 Einwohner geschaffen werden.

Und Chile - es knirscht unter den Füßen - hat seinen Pavillon mit 13 Kubikmetern Salz zugeschüttet. Die darauf ausgestellten Projekte sind Beispiele für ein Leben in der Salzwüste. „Viele Chilenen müssen unter widrigsten Umständen leben“, so Kurator Bernardo Valdés Echenique. „Für die einen sind die Salzseen in unserem Land Dantes Inferno, für die anderen aber ist dies der einzige Common Ground, den sie haben. Vielleicht kann die Architektur dazu beitragen, diesen Lebensraum lebenswerter zu machen.“

Eine der überzeugendsten Vorschläge für ein Leben nach der Apokalypse liefert Japan. Als Antwort auf den Tsunami im März 2011 stellt Architekt Toyo Ito die Initiative Home-for-all vor. Dadurch sollen jene Menschen, die durch die Flutkatastrophe ihre Häuser verloren haben, ein neues Zuhause bekommen. Die einfachen, aber hübschen Entwürfe vermitteln erste Eindrücke davon. Die Jury würdigte diesen Beitrag mit dem Goldenen Löwen 2012.

Wo liegt der „Common Ground“, wo liegt unser aller architektonischer Lebensraum? Im Erhören des Raumes, in der Huldigung der Technik oder doch im physischen Erbauen mit Hand und Herz? Das muss jeder Besucher für sich selbst entscheiden.
[ Zu sehen bis 25. November ]

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