Veranstaltung

Europas Beste Bauten
Ausstellung
9. Juni 2016 bis 29. August 2016
Architekturzentrum Wien - Alte Halle
Museumsplatz 1
A-1070 Wien


Veranstalter:in: Architekturzentrum Wien
Eröffnung: Mittwoch, 8. Juni 2016, 19:00 Uhr

Mit Bau­wut ge­gen Kac­zyńs­ki

Am Don­ners­tag wur­de im Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien die Aus­stel­lung „Eu­ro­pas be­ste Bau­ten“ er­öff­net. Am pol­ni­schen Sie­ger­pro­jekt in Stet­tin ma­ni­fes­tiert sich die En­er­gie ei­nes gan­zen Lan­des. Ob das so bleibt?

11. Juni 2016 - Wojciech Czaja
Rund­he­rum Plat­ten­bau­ten, mehr­spu­ri­ge Stra­ßen und rie­si­ge un­be­bau­te Park­flä­chen. Vom ein­sti­gen Char­me die­ser di­sper­sen, vom kom­mu­nis­ti­schen Wie­der­auf­bau ge­zeich­ne­ten Stadt ist hier im Os­ten, nur we­ni­ge Schrit­te von der Oder ent­fernt, nicht mehr viel zu spü­ren. Doch dann taucht, wie aus dem Nichts, ein wei­ßes, glei­ßen­des, leuch­ten­des Et­was auf. Hin­ter der ab­strak­ten Glas­hül­le, die di­rekt ne­ben der Lan­des­po­li­zei­zen­tra­le Nacht für Nacht zur mehr­ge­scho­ßi­gen Stra­ßen­la­ter­ne mu­tiert, ver­birgt sich die 2014 er­öff­ne­te Miec­zys­ław-Kar­ło­wicz-Phil­har­mo­nie.

„Stet­tin war frü­her von ei­ner Viel­zahl go­ti­scher Bau­ten ge­prägt“, sagt Mar­ta Grządziel, Ar­chi­tek­tin und Pro­jekt­lei­te­rin im spa­ni­schen Ar­chi­tek­tur­bü­ro Bar­oz­zi/Vei­ga. „Nach­dem der Groß­teil der Alts­tadt im Zwei­ten Welt­krieg zers­tört wur­de, woll­ten wir die Pracht von da­mals auf neu in­ter­pre­tier­te Wei­se nach­stel­len – aber na­tür­lich nicht mit ei­ner Ko­pie, son­dern mit ei­ner mo­der­nen, zeit­ge­nös­si­schen Spra­che.“ Die spit­zen Fass­ade­gie­bel, so Grządziel, könn­ten al­les Mög­li­che sein. Viel­leicht auch der lei­se, ver­bli­che­ne Schat­ten ei­nes al­ten, go­ti­schen Kauf­manns­hau­ses.

Letz­tes Jahr wur­de der un­ge­wöhn­li­che Bau, der welt­weit für Fu­ro­re sorg­te und den das nie­der­län­di­sche Ar­chi­tek­turm­aga­zin Mark ein­mal als „städ­ti­schen Eis­berg“ be­zeich­ne­te, mit dem bien­nal aus­ge­lob­ten Mies van der Ro­he Award 2015 aus­ge­zeich­net. Seit Don­ners­tag ist der Haupt­preis­trä­ger, ei­ner von ins­ge­samt 420 ein­ge­reich­ten Pro­jek­ten aus ganz Eu­ro­pa, in der Wan­der­aus­stel­lung Eu­ro­pas Be­ste Bau­ten. Preis der Eu­ro­päi­schen Uni­on für zeit­ge­nös­si­sche Ar­chi­tek­tur im Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien (AzW) zu se­hen.

Leuch­ten­des Cha­mä­leon

„Egal, wel­chen Kul­tur­bau wir er­rich­tet hät­ten, er wä­re in je­dem Fall in ei­nem vi­su­el­len und kul­tu­rel­len Ge­gen­satz zur heu­ti­gen Plat­ten­bau-Um­ge­bung ge­stan­den“, sagt Grządziel. „Al­so ha­ben wir be­schlos­sen, den Kon­trast be­wusst zu ver­stär­ken.“ 25.000 LED-Leuch­ten be­fin­den sich hin­ter der bis zu 15 Me­ter ho­hen Milch­glas­fass­ade. Je nach Ta­ges­licht und mu­si­ka­li­schem Pro­gramm kann das Haus in mal wei­ßes, mal grell­bun­tes Licht ge­hüllt wer­den. Al­lein schon die Hand­yfo­tos, die im In­ter­net kur­si­eren, ge­wäh­ren Ein­blick in die Be­lieb­theit des leuch­ten­den Cha­mä­leons.

Im In­ne­ren der schweig­sa­men Hül­le lau­ert ein wei­ßes Foy­er mit an­schlie­ßen­den Aus­stel­lungs- und Pau­sen­flä­chen so­wie ei­ner rie­si­gen Wen­del­trep­pe, die sich wie ein Kor­ken­zie­her nach oben schraubt. Von dort ge­langt man in die bei­den Kon­zert­sä­le. Die kan­ti­ge Wand- und De­cken­ge­stal­tung in Schwarz und Mess­ing, ei­ne akus­ti­sche Maß­nah­me, folgt dem geo­me­tri­schen Prin­zip der Fi­bo­nac­ci-Zah­len­rei­he.

Die Phil­har­mo­nie in Stet­tin ist ein schö­ner Bau, der in der Aus­stel­lung im AzW deut­lich auf­fällt. Aber er ist bei wei­tem kein Ein­zel­fall. In den letz­ten Jah­ren ist in Po­len ei­ne Viel­zahl au­ßer­ge­wöhn­li­cher Bau­ten ent­stan­den, die sich hin­ter den Ar­chi­tek­tur-Ran­go­be­ren wie et­wa Spa­nien, Por­tu­gal, Dä­ne­mark und Nie­der­lan­de längst nicht mehr zu ver­ste­cken braucht. Wo­ran das liegt?

„Ich be­ob­ach­te, dass die letz­ten zwölf Jah­re seit dem EU-Bei­tritt Po­lens ei­nen dra­ma­ti­schen An­stieg der Ar­chi­tek­tur­qua­li­tät mit sich ge­bracht ha­ben“, sagt AzW-Di­rek­tor Diet­mar Stei­ner. „Ob das nun Ein­fa­mi­li­en­häu­ser, Wohn­bau­ten, Kul­tur­bau­ten, In­ter­ven­tio­nen im öf­fent­li­chen Raum oder Um­nut­zun­gen von al­ten In­dus­trie-Area­len sind – un­ter den neu­en EU-Län­dern in Ost- und Süd­ost­eu­ro­pa hat Po­len wahr­schein­lich die größ­te bau­kul­tu­rel­le Ent­wi­cklung durch­ge­macht und ei­ne völ­lig neue Ge­ne­ra­ti­on von Ar­chi­tek­ten mit sich ge­bracht.“ Die ho­he Qua­li­tät, so Stei­ner, zei­ge sich nicht zu­letzt in Ju­rien, Gre­mien so­wie in der Durch­füh­rung in­ter­na­tio­na­ler Wett­be­wer­be.

Re­ge Bau­tä­tig­keit

Das Gra­zer Bü­ro Rieg­ler Rie­we stell­te 2014 das Schle­si­sche Mu­se­um in Ka­to­wi­ce fer­tig. Die Re­vi­ta­li­sie­rung der al­ten Koh­leg­ru­be dient nun als groß­teils un­ter­ir­di­scher Hort mo­der­ner Kunst. Das Mit­ein­an­der aus ge­ätz­tem Glas und ori­gi­nal be­las­se­nen Schacht­tür­men wirkt fast sur­re­al. Im glei­chen Jahr wur­de das Mu­se­um der Ge­schich­te der pol­ni­schen Ju­den in War­schau er­öff­net. Das Pro­jekt des fin­ni­schen Bü­ros Lah­led­ma & Mah­la­mä­ki bil­det im In­ne­ren amor­phe Ge­steins­for­ma­tio­nen nach, die an Mo­ses’ Tei­lung des Schilf­meers er­in­nern sol­len.

2015 wur­de das Sha­ke­spea­re-Thea­ter in Dan­zig er­öff­net. Ar­chi­tekt Re­na­to Riz­zi setz­te ein mäch­ti­ges Schiff aus fast schwar­zem Klin­ker­zie­gel in die In­nens­tadt. Das Dach des Thea­ter­saals, dem Lon­do­ner Glo­be nach­emp­fun­den, lässt sich bei Schön­wet­ter öff­nen. Und erst kürz­lich fei­er­te man Pre­mie­re im Jor­dan­ki-Au­di­to­ri­um in To­ruń. Der ka­na­ri­sche Ar­chi­tekt Fern­an­do Me­nis metz­te mit­ten in die Un­esco-ge­schütz­te In­nens­tadt ei­nen rie­si­gen Fel­sen samt feu­rig-stein­er­nem In­nen­le­ben.

„Die Bau­kul­tur in Po­len spiegelt die Auf­bruch­stim­mung der letz­ten 26 Jah­re seit dem Fall des Ei­ser­nen Vor­hangs wi­der“, sagt der pol­ni­sche De­sig­ner und Kul­tur­theo­re­ti­ker Ja­kub Szczęsny. „So ge­se­hen ist die re­ge und hoch­wer­ti­ge Bau­tä­tig­keit nicht nur rei­ne Be­darfs­de­ckung, son­dern auch ei­ne ge­wis­se Kom­pen­sa­ti­on der Zeit des kom­mu­nis­ti­schen Re­gi­mes. Die Dy­na­mik der NGOs, der Krea­ti­ven und der Zi­vil­ge­sell­schaft ist ein­fach groß­ar­tig.“

Doch die Eu­pho­rie hat ein Ab­lauf­da­tum. Was man heu­te se­he, sei das Echo ei­ner pro­spe­rie­ren­den Zeit. „Der na­tio­nal­kon­ser­va­ti­ve Rechts­ruck wird sämt­li­chen For­men zeit­ge­nös­si­schen Kul­tur­schaf­fens frü­her oder spä­ter ei­nen Rie­gel vor­schie­ben“, ist Szczęsny über­zeugt. „Und auch die EU-För­der­gel­der für Mit­tel­ost­eu­ro­pa wer­den 2020 aus­lau­fen. Spä­tes­tens dann, fürch­te ich, wer­den Ja­ros­ław Kac­zyńs­ki und Kon­sor­ten ei­ne Ära der grie­chi­schen Tem­pel und so­zia­lis­ti­schen Protz­pa­läs­te ein­läu­ten.“

Po­len ist der Be­weis da­für, dass Ar­chi­tek­tur auch Aus­druck po­li­ti­schen Den­kens ist. Je of­fe­ner die Po­li­tik, de­sto frei­er der krea­ti­ve Geist. So ge­se­hen steht die ge­samt­eu­ro­päi­sche Bau­kul­tur vor ei­ner gro­ßen Prü­fung.

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