Veranstaltung

Moderat Modern
Ausstellung
20. Oktober 2005 bis 29. Januar 2006
Wien Museum Karlsplatz
A-1040 Wien


Wien Museum
Eröffnung: Mittwoch, 19. Oktober 2005, 18:30 Uhr

Die moderate Moderne

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

15. Oktober 2005 - Judith Eiblmayr, Iris Meder
Lässt man den Blick über die Hausberge von Wien schweifen und sieht den flachen Riegel des Kahlenberg-Restaurants, das im Dezember 1935, also vor genau 70 Jahren, eröffnet wurde, so schaut man auf Erich Boltensterns ersten großen Wiener Bau. Nach einem gemeinsam mit dem Architekten Leopold Ponzen gewonnenen Wettbewerb realisierte Boltenstern 1935 den elegant in die Topografie geschmiegten Komplex, der, als Krönung der Höhenstraße, zu einem neuen Wahrzeichen Wiens wurde. Im Sonnenlicht oder in nächtlicher Festbeleuchtung zierte er Schulbuchumschläge, Filmplakate und unzählige Ansichtskarten.

Boltensterns Werk ist mehr Wienern bekannt, als ihnen bewusst ist. Schon in der Innenstadt hat man mehrere seiner wichtigsten Bauten im Blickfeld, die alle an der Ringstraße oder in ihrer Nähe liegen: die Staatsoper, deren Innenräume unter Boltensterns Leitung von ihren Kriegswunden geheilt und gestalterisch erneuert wurden, das „Felderhaus“ - ein Bürogebäude der Wiener Städtischen Versicherung neben dem Rathaus -, die umgebaute Universitätsbibliothek, zwei Gebäude für die Nationalbank am Otto-Wagner-Platz, die nach einem Brand wiederaufgebaute Börse, den Gartenbau-Komplex vis-à-vis dem Stadtpark und als markanten Eckpfeiler - nicht nur der Ringstraße, sondern auch seines Werkes - den Ringturm.

Zwei dieser Bauten feiern im Gedenkjahr 2005 ihr 50-jähriges Jubiläum: Staatsoper und Ringturm. Die Oper wurde am 5. November 1955 nach fast zehnjähriger Bauzeit wiedereröffnet - ein für die Identifikation der Zweiten Republik ganz wesentlicher Akt. Es war wohl der größte Erfolg in Boltensterns Karriere, als er 1948 den Wettbewerb zum Wiederaufbau des Zuschauerraums gewann. Es sei seine schwierigste Arbeit gewesen, urteilte er später. Gleichzeitig schien sich für ihn mit diesem Projekt ein biografischer Kreis zu schließen: Der ausgebildete Sänger und Sohn einer Opernsängerin, der sich nicht für die Bühnenkarriere, sondern für die Architektur entschieden hatte, konnte Musikern wieder ein würdiges Ambiente planen. Für Boltenstern war die Theaterwelt von zentraler Bedeutung. Er hatte in den Zwanzigerjahren eine Dissertation zum Thema Theaterbau begonnen und war Assistent beim Architekten Oskar Strnad gewesen, der auch Bühnenbilder für große Inszenierungen der Theater-Avantgarde entworfen hatte. Nach Abschluss der Arbeiten an der Wiener Staatsoper weihte Boltenstern (inoffiziell) den Raum selbst ein, indem er vor seinen Mitarbeitern eine Arie vortrug.

Der Ringturm hingegen, das erste echte Hochhaus Wiens, galt als Symbol für die Modernisierung der Stadt. Die Idee dazu stammte vom Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, Norbert Liebermann, der aus dem Exil in den USA zurückgeholt wurde und den eher zögerlichen Boltenstern, der bereits seit einiger Zeit für die Wiener Städtische tätig war, sozusagen dazu verpflichtete, sich mit der Bauaufgabe Hochhaus auseinander zu setzen. Der 1955 eröffnete Ringturm wurde schnell zum Symbol eines aus Ruinen erstandenen neuen Wien. So wie 20 Jahre zuvor das Kahlenberg-Restaurant zierte nun der Ringturm Fremdenverkehrs- und Wahlplakate, und Boltensterns anfängliche Bedenken gegen die Bauaufgabe Hochhaus zerstreuten sich in der allgemeinen Bewunderung für das zeitgemäß schlanke neue Wahrzeichen am Schottenring.

Als einer der wenigen modernen Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich dennoch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht kompromittiert hatten, führte Boltenstern die Vorkriegstradition der Wiener Moderne und internationale Strömungen der Gegenwart (vor allem aus Schweden und der Schweiz) zu einer Synthese, die das offizielle Österreich des Wiederaufbaus adäquat repräsentierte. - Was Erich Boltenstern trotz seines hohen Ansehens in Österreich verwehrt blieb, waren internationale Reputation und Aufträge im Ausland. Die meisten seiner Bauten entstanden in Wien und Umgebung; Ausnahmen waren das Grazer Krematorium von 1930 und der umfassende Umbau des Tiroler Landestheaters in Innsbruck (1964 bis 1967). Häufig nahm er an internationalen Wettbewerben teil - besonders dann, wenn es sich um Opern und Theater handelte, etwa für die Opernhäuser in Hamburg, La Valletta, Sydney und Belgrad.

Wesentlich für seinen Karriereverlauf wäre wahrscheinlich in den späten Fünfzigerjahren die Errichtung von fünf Rundfunkhäusern in der Türkei gewesen; der Auftrag wurde jedoch von den Errichtern nach Vertragsunterzeichnung wieder zurückgezogen. Hier hätte ihm vielleicht - auf den Spuren Clemens Holzmeisters - der internationale Durchbruch gelingen können. Aber Boltenstern drängte es nicht zur Expansion. In seiner bescheidenen Grundhaltung war er offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte - und das war nicht wenig.

Ohne konservativ zu sein, wollte er ein „Diener seiner Zeit“ sein und hat den Wiederaufbau Wiens entscheidend geprägt. Der Architekturtheoretiker Georg Schöllhammer schrieb in einem Nachruf anlässlich des Todes von Erich Boltenstern am 2. Juni 1991, dass dessen „ästhetischer Reduktionismus, der dank seiner noblen Detailkultur nie ins Ärmliche umkippt, nichts von den wahren Zeitverhältnissen verschweigt.“

Seine uneitle, konsensorientierte Haltung in schwierigen Zeiten brachte dem vielbeschäftigten Architekten und Professor zahlreiche Sympathien, wenngleich sich die junge Architektengeneration charismatischere Idole suchen musste, um Neues entstehen lassen zu können. Boltenstern war sich seiner Stellung in der Architekturszene bewusst; dennoch ist seine Herangehensweise als wesentlicher Beitrag einer „moderaten Moderne“ in die österreichische Baugeschichte eingegangen. „Wir sollten nobel und zurückhaltend bauen, nicht brutal aufdringlich und nach dem Nachbarn schielend, ob wir ihn übertrumpfen. Der Architekt ist Diener der Allgemeinheit“, schrieb Boltenstern in einem Artikel zur Architektenausbildung.

Diese unaufgeregte Architektur wird oft als banal abqualifiziert und fand auch in der Forschung bislang wenig Beachtung. Viele Gebäude wurden in ihrem Erscheinungsbild stark verändert oder überhaupt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Wahrscheinlich brauchte es ein halbes Jahrhundert Abstand, um im Wertekanon der österreichischen Architekturgeschichte die spezifischen Qualitäten dieser Bauten zu erkennen und diese auch zu publizieren. Im Zuge der jüngsten Querelen um das vom Abriss bedrohte Kahlenberg-Restaurant, das in letzter Minute gerettet werden konnte, traten weitverbreitete Meinungen zutage, die auf eine völlige Negierung jeglicher Qualitäten sowohl dieses Baus wie auch des Ringturms hinausliefen.

[ Judith Eiblmayr und Iris Meder sind Kuratorinnen der Ausstellung „Moderat Modern - Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945“, die ab 22. Oktober im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. ]

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