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TEC21 2010|03-04
Mischwesen
TEC21 2010|03-04
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zweierlei vereint

Neue Materialien im Bauwesen ersetzen alte meist, indem sie ihre Funktion und Form übernehmen. Bauelemente aus Faserverbundwerkstoffen übernahmen zu Beginn die linearen Formen von Stahl- und Holzprofilen. Erst mit der Weiterentwicklung der Faserverbundwerkstoffe lassen sich eigenständige und materialgerechte Bauweisen finden, wie sie auch für traditionelle Baumaterialien bestehen. Materialhybride und Funktionsintegration scheinen dafür die richtigen Ansätze zu sein.

14. Januar 2010 - Thomas Keller, Regula Keller
Wesentliche Fortschritte im Bauwesen waren bis anhin an die Entwicklung neuer Materialien geknüpft.[1,2] Deren Einführung erfolgte dabei zuerst über eine Phase der Materialsubstitution, bevor die materialgerechten Struktur- und Anwendungsformen entwickelt wurden.[3] Dieser Prozess ist sehr zeitaufwendig und erforderte beispielsweise beim Übergang von Gusseisen zu Stahl etwa 70 Jahre (bis zum geschweissten Stahlrahmen) und beim Stahlbeton rund 40 Jahre (bis zur Flachdecke). Beispielhafte Vertreter einer solchen Materialsubstitutionsphase für Faserverbundwerkstoffe sind die Brücke aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) in Pontresina (1996)[1,4] und das weltweit immer noch höchste GFK-Gebäude in Basel (Eyecatcher, 1998).[2,5]

In den letzten zehn Jahren wurde in Forschung und Entwicklung daran gearbeitet, sich materialgerechteren Konstruktionsformen anzunähern. Eine Tendenz weg von Bauten komplett aus Faserverbundwerkstoffen hin zu Materialhybriden und Weiterentwicklungen der Funktionsintegration sind zu verzeichnen.

Materialhybride – zwei Beispiele

Faserverbundwerkstoffe sind anisotrope Materialien, deren Hauptkomponenten flexible Fasern hoher Zugfestigkeit und geringer Dichte bilden. Damit verbundene Schwachpunkte sind eine geringe Festigkeit und Steifigkeit quer zur Faserrichtung, die Temperaturempfindlichkeit der Matrix, die die Drucktragfähigkeit beeinflussen kann (Ausknicken der Fasern bei Erweichen der Matrix) sowie das generell spröde Tragverhalten (siehe nebenstehenden Kasten). Diese Nachteile manifestieren sich besonders deutlich in der Phase der Materialsubstitution, wo beispielsweise isotrope und duktile Stahlprofilquerschnitte und Tragwerkskonzepte kopiert werden[1,2], und erschweren deshalb die wirtschaftliche Anwendung der Materialien stark.

Heute zeichnen sich zwei Strategien zur Überwindung der Substitutionsphase ab: auf Materialebene der Übergang zu Materialhybriden, d.h. die Kombination von Faserverbundwerkstoffen mit anderen Materialien, die die Nachteile Ersterer ausgleichen können, sowie auf Tragwerksebene der Übergang von der linearen Profil- zur Sandwichbauweise. Einen wichtigen, einflussreichen Faktor für die Weiterentwicklung dieser Konstruktionen stellt die Verbindungstechnik dar, sowohl auf Material- als auch auf Tragwerksebene. Zwei Beispiele – ein geklebter GFK-Stahl-Hybrid und ein geklebter GFK-Beton-Hybrid – verdeutlichen dies: Die zellförmig aufgebaute GFK-Brückenfahrbahnplatte aufgeklebt auf einen Stahlträger (Abb. 1) orientiert sich an der orthotropen Stahlplatte und ist noch ein Produkt der Substitutionsphase.

Entsprechend können die in Faserrrichtung herausragenden Materialeigenschaften nur marginal genutzt werden. Ein anderer Nachteil von GFK, die fehlende Duktilität, ist allerdings durch die Verbundbauweise mit dem Stahlträger ausgemerzt. Der Verbundträger weist einen mit einem Beton-Stahl-Verbund vergleichbare Duktilität auf. Der Verbund wird dabei durch eine Klebeverbindung hergestellt. Kleben ist eine ausgesprochen geeignete Verbindungstechnik für Materialhybride, die in einfacher Weise erlaubt, unterschiedliche Materialien und Geometrien zu verbinden. Bei sachgemässer Tragwerkskonzeption und Applikation können Klebeverbindungen heute zuverlässig eingesetzt werden: Der Brückenträger hat 10 Millionen Lastwechsel ohne die geringste Schädigung überdauert.[6] Die fehlende Duktilität von Tragwerkskomponenten kann alternativ auch mit duktilen Klebstoffen in den Verbindungen der spröden Komponenten kompensiert werden.[7] Eine weiterentwickelte Konzeption einer Brückenfahrbahnplatte ist der geklebte GFK-Beton- Hybrid (Abb. 2).[8] Die unter Radlasten beulempfindlichen Stege der zellförmigen Platte des geklebten GFK-Stahl-Hybrids wurden durch einen kontinuierlichen Kern aus Ultraleichtbeton ersetzt. Die Deckschichten der enstehenden Sandwichkonstruktion bestehen aus faserverstärktem Hochleistungsbeton auf der Druckseite und GFK auf der Zugseite. Letztere Deckschicht wird direkt mit T-förmigen Verbindungsmitteln zur mechanischen Verankerung im Leichtbeton versehen und wirkt auch als Schalung. Die entstandene Platte ist zwar etwas schwerer als die reine GFK-Platte, weist aber eine erheblich grössere Flexibilität in der Anwendung auf, enthält keine korrosionsempfindlichen Materialien und braucht keine Abdichtung. Für jede Beanspruchungskomponente wird ein dazu passendes Material verwendet und somit insgesamt eine wirtschaftliche Lösung erzielt. Die Elementfugen und Verbindungen zu den Hauptträgern werden wiederum geklebt.

Funktionsintegration – Drei Beispiele

Faserverbundwerkstoffe bieten auch aufgrund einer potenziellen Funktionsintegration neue Konstruktionsmöglichkeiten, so zum Beispiel die Verschmelzung von Tragwerk und Fassade. GFK beispielsweise weist nebst den strukturellen mehrere andere vorteilhafte Eigenschaften auf – zum Beispiel eine geringe Wärmeleitfähigkeit und eine mögliche Transparenz (vgl. Kasten S. 27), die traditionelle Materialien wie Stahl oder Beton nicht bieten. Diese Zusatzeigenschaften (Abb. 3) erfüllen neben der Tragfunktion viele weitere Funktionen, die in multifunktionalen Tragwerkskomponenten kombiniert werden können. Die oft höheren Materialkosten von GFK werden dadurch kompensiert. Drei Beispiele zeigen das mit dieser Funktionsintegration verbundene Innovationspotenzial: Bei geeigneter Materialwahl (gleicher Brechungsindex Glasfasern und Matrix) sind GFKTragwerkskomponenten transparent oder transluzent. Glasfasern leiten und streuen zudem gleichzeitig Licht. Die Transluzenz nimmt dabei mit abnehmendem Fasergehalt zu, das Tragvermögen hingegen ab. Deshalb muss dem Stabilitätsverhalten von dünnwandigen transluzenten Bauteilen Beachtung geschenkt werden (Abb. 4). Die statisch-architektonische Integration eröffnet aber neue Möglichkeiten in der Architektur.Ebenso können GFK-Sandwiche mit Schaumkern (auch ein Materialhybrid) als architektonisches Ausdrucksmittel dienen. Sie tragen und isolieren thermisch gleichzeitig. Tragwerk und Fassade verschmelzen – die Tragkonstruktion kann wieder gezeigt und muss nicht mehr von der Fassade verhüllt werden. Grossformatige, multifunktionale Leichtbauelemente werden in komplexer Form hergestellt und schnell montiert (Abb. 5).[9] Neben dieser statischbauphysikalischen Integration ist die statisch-energetische Integration eine weitere Funktionsmischung mit Innovationspotenzial. Aufgrund der möglichen Transparenz von GFKSandwich- Decklaminaten können beispielsweise Solarzellen zur Energieerzeugung in die Konstruktion einlaminiert werden (Abb. 6).[10] Zudem kann in Zellen von Sandwich-Wand- oder Deckenelementen ein Wasserkreislauf integiert werden, der heizt und kühlt (Abb.7). Einem Problem von GFK-Tragelementen im Hochbau, dem oft ungenügenden Brandwiderstand, würde dadurch effizient begegnet. Untersuchungen haben ergeben, dass wassergekühlte GFK-Konstruktionen bis zu zwei Stunden einem ISO-Normbrand widerstehen.[11]

Eigenständige, materialgerechte Form absehbar?

Rückblickend auf die letzten 10 Jahre der Entwicklung im Bereich von Faserverbundwerkstoffen stellt man fest, dass der Formfindungsprozess – weg von der Phase der Materialsubstitution – weniger rasch verläuft als erhofft. Betrachtet man aber die 40 oder 70 Jahre Übergangsdauer bei Beton oder Stahl, ist der Zeitrahmen durchaus noch akzeptabel. Die Konzepte «Materialhybride» und «Funktionsintegration» haben inzwischen viel versprechende Ansätze zur Überwindung der Phase der Materialsubstitution geliefert. Vieles davon ist bereit zur Umsetzung in der Praxis – wie beispielsweise die multifunktional-hybride Dachkonstruktion zeigt (Abb. 5).Die Realisierung von solchen funktionsintegrierten Konstruktionen macht die Zusammenarbeit von Ingenieuren und Architekten unabdingbar. Mittelfristig wird die Entwicklung mit Sicherheit auch durch eine neue Generation von Planern beschleunigt, die diese neuen Materialien in ihrer Ausbildung bereits kennengelernt haben werden. Diesbezüglich viel versprechende Erfahrungen werden zurzeit an der EPFL gemacht, wo Architektur- und Ingenieurstudenten und -studentinnen die neuen Materialien in gemeinsamen Projekten entdecken.


Anmerkungen:
[01] Keller T.: Struktur und Form – Zur Entstehung materialgerechter Strukturformen. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 12, 1998
[02] Keller T.: Hochbautragstrukturen mit neuen Materialien. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 26, 2000
[03] Dooley S.: The development of material-adapted structural form. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 2986, 2004
[04] Keller T., Künzle O., Wyss U.: Fussgängerbrücke Pontresina in GFK. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 12, 1998
[05] Keller T., Künzle O., Wyss U.: Eyecatcher – Fünfgeschossiges Gebäude mit GFK-Tragstruktur. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 17, 1999
[06] Gürtler H.: Composite action of FRP bridge decks adhesively bonded to steel main girders. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 3135, 2004
[07] De Castro J.: System ductility and redundancy of FRP structures with ductile adhesively-bonded joints. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 3214, 2005
[08] Schaumann E.: Hybrid FRP-lightweight concrete sandwich system for engineering structures. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 4123, 2008
[09] Keller T., Haas Ch., Vallée T.: Structural concept, design and experimental verification of a GFRP sandwich roof structure. In: ASCE Journal of Composites for Construction, 12/4, 2008, 454–468
[10] Keller T., Vassilopoulos AP., Manshadi BD.: Thermomechanical behavior of multifunctional GFRP sandwich structures with encapsulated photovoltaic cells. In: Journal of Composites for Construction, in press
[11] Tracy C.: Fire endurance of multicellular panels in an FRP building system. EPFL-CCLab Doctoral

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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