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db deutsche bauzeitung 01|2010
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db deutsche bauzeitung 01|2010

Facettenreiche Fassade

Medizinisches Forschungslabor der Universität Groningen

Die 1624 gegründete Reichsuniversität Groningen ist nach der Universität in Leiden die zweitälteste der Niederlande. An insgesamt neun Fakultäten sind hier rund 25 000 Studenten eingeschrieben. Zu den bedeutendsten Instituten der Universität gehört die nordöstlich der Innenstadt gelegene Medizinische Fakultät mit ihren zahlreichen Lehr- und Forschungsgebäuden. Ende 2008 wurde hier ein neues medizinisches Forschungslabor eröffnet. Der im nördlichen Bereich des großflächigen Areals direkt neben der bestehenden 13-geschossigen Universitätsklinik errichtete Neubau integriert auf sechs Ebenen unterschiedlich große Laboreinheiten.

13. Januar 2010 - Robert Uhde
Die 1624 gegründete Reichsuniversität Groningen ist nach der Universität in Leiden die zweitälteste der Niederlande. An insgesamt neun Fakultäten sind hier rund 25 000 Studenten eingeschrieben. Zu den bedeutendsten Instituten der Universität gehört die nordöstlich der Innenstadt gelegene Medizinische Fakultät mit ihren zahlreichen Lehr- und Forschungsgebäuden. Ende 2008 wurde hier ein neues medizinisches Forschungslabor eröffnet. Der im nördlichen Bereich des großflächigen Areals direkt neben der bestehenden 13-geschossigen Universitätsklinik errichtete Neubau integriert auf sechs Ebenen unterschiedlich große Laboreinheiten.

Erste Überlegungen zur Errichtung eines neuen Forschungslabors gab es bereits Anfang 2003. Aus dem anschließend ausgeschriebenen Wettbewerb ging schließlich das Amsterdamer Büro UNStudio um Ben van Berkel als Sieger hervor. Das Büro hatte wenige Jahre zuvor bereits ein funktional wie ästhetisch überzeugendes Laborgebäude für die Universität in Utrecht realisiert. Gegenwärtig sind die Architekten außerdem mit der Planung des Zentrums für Virtuelles Engineering ZVE des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart befasst.

Geschlossene Hülle

Die vorhandenen Gebäude auf dem Areal der Medizinischen Fakultät wurden in den vergangenen Jahrzehnten ohne einheitlichen Masterplan sukzessive zu einer »Stadt in der Stadt« entwickelt und bieten dementsprechend einen stark heterogenen Gesamteindruck. »Mit unserem Entwurf wollten wir daher einen deutlichen architektonischen Akzent am Standort schaffen, der auf den ersten Blick den innovativen Charakter der vor Ort betriebenen Forschung sichtbar machen soll«, beschreibt Ben van Berkel die Zielsetzung seines Büros. »Eine wichtige funktionale Vorgabe war dabei die Ausbildung einer weitgehend fensterlosen Fassade, um so kein Tageslicht in die Laborräume dringen zu lassen.«

Als Umsetzung dieser Anforderungen entwickelten die Planer einen quaderförmigen, durch eine schräg ansteigende Rückfront leicht asymmetrischen Baukörper in Stahlbetonbauweise, der über eine frei tragende Brücke mit der nordöstlich angrenzenden Universitätsklinik verbunden ist. Zur Verkleidung der Fassaden wurde oberhalb eines bis zu 3 m hohen, grau verputzten Sockels eine durchgehende, lediglich durch einige kleinere Fenster geöffnete Außenhülle aus vertikalen Aluminiumpaneelen im Format von 1,4 x 0,6 m gewählt. Die markant gestaltete Fassade schafft einen hochwertigen Blickfang zur Stadt, ohne dabei mit dem nordwestlich direkt angrenzenden, fast zeitgleich errichteten Lehrgebäude für Anatomie und Embryologie mit seiner organisch gerundeten Außenhülle in Konkurrenz zu treten. Als einzige Zugänge wurden ein Sektionaltor zur Anlieferung sowie jeweils ein Notausgang an der Südost- und der Nordwestfassade integriert. Die Erschließung des Gebäudes erfolgt hingegen ausschließlich über die frei tragende – ebenfalls mit Aluminiumpaneelen sowie mit einer großen Glasfront ausgebildete – Brücke zur Universitätsklinik als direkte Verbindung zum 2. OG.

Um die strenge Geschlossenheit des Baukörpers optisch aufzulösen, gestalteten die Planer die Außenhülle in einigen Bereichen mit unterschiedlich stark geschwungenen, dabei zunehmend in sich gedrehten und nach außen gekehrten Aluminiumpaneelen. Die verschieden breiten, vertikalen Cluster von übereinander platzierten Elementen erzeugen, je nach Blickwinkel und Entfernung, ein bewegtes dreidimensionales Muster, das mit seinem doppeldeutigen Spiel von Zeigen und Verbergen einen spannenden Verweis auf die im Inneren verborgene Forschung bietet. Zusätzlich gesteigert wird der Eindruck durch eine farbige Gestaltung der nach außen gekehrten Innenseiten der Aluminiumelemente: Im unteren Bereich der Fassade wurden gelb beschichtete Innenflächen verwendet, nach oben geht die Farbigkeit schrittweise ins Grüne über, um so einen Bezug zu den angrenzenden Bäumen zu schaffen, wie Ben van Berkel erklärt.

Offene Lichthöfe

Ähnlich facettenreich wie die Außenfassade präsentiert sich auch das Innere, das aus hygienischen Gründen ausschließlich von Mitarbeitern des Instituts betreten werden darf. Für alle anderen endet der Weg vor der Sicherheitsschleuse am Ende der innen grell orange gestalteten Brücke. Im Kern des Gebäudes integrierten die Planer zwei große Lichthöfe in Form von abgestumpften asymmetrischen Kegeln. Im Zusammenspiel mit großformatigen Oberlichtern ermöglichen sie eine ausreichende Versorgung des zentralen Bereichs mit Tageslicht und schaffen gleichzeitig die Voraussetzung für die gewünschte Unterteilung des Gebäudes in unterschiedliche Hygieneniveaus: In beide Atrien wurde eine Wendeltreppe, mit der sich die unterschiedlichen Ebenen der Gebäudebereiche auch unabhängig voneinander erschließen lassen, integriert. Der südlichere der beiden Höfe bietet eine größere Grundfläche und verjüngt sich in Richtung eines relativ kleinen Oberlichts, der andere wurde umgekehrt gestaltet. Ersterer erschließt ausschließlich die vier Laborebenen, der zweite, deutlich hellere, bietet überdies auch Zugang zu den Technikebenen, die sich im Kellergeschoss, zwischen zweiter und dritter Laborebene sowie im Dachgeschoss über der vierten Laborebene befinden. »Die Außenflächen der beiden Kegel haben wir dabei aus Gründen des Brandschutzes als transparente Glasfassade zwischen den Lichthöfen und den angrenzenden Gebäudeebenen gestaltet, so dass die Innenräume der Kegel auch als Fluchttreppenhäuser fungieren«, so Ben van Berkel. Um eine gute Orientierung zu ermöglichen und dunkle Korridorsysteme zu vermeiden, sind die Lichthöfe auf sämtlichen Ebenen von umlaufenden Emporen umgeben. Die Wände und Böden der Emporen führten die Architekten in durchgehender, geschossweise sich verändernder Farbigkeit aus. Ähnlich wie im Außenbereich entstand so ein farbig bewegter Raumeindruck mit fließenden Übergängen: Im EG, in das am wenigsten Tageslicht fällt, wurde Hellgelb gewählt, weiter oben nimmt die Farbintensität zu und wandelt sich über Orange zu leuchtendem Rot. Die durchgehend eingesetzten Bodenbeläge und Wandbeschichtungen aus Kunststoff lassen sich den hohen hygienischen Standards entsprechend problemlos reinigen und desinfizieren.

Flexible Ausstattung

Bei der Ausstattung der einzelnen Laborräume standen überwiegend funktionale Aspekte im Vordergrund. Die Kosten konnten dabei aufgrund der integralen Planung auf 1425 Euro je Quadratmeter Nutzfläche reduziert werden. Aufbauend auf den Vorgaben der Institutsleitung entwickelten die Architekten ein variables Raumkonzept für 18 feste Mitarbeiter mit insgesamt 270 Reinraumlaboreinheiten in vier unterschiedlichen Hygieneniveaus, die durch entsprechende Sicherheitsschleusen bzw. Luftduschen voneinander abgegrenzt werden. Die Hauptlaborräume bieten eine Grundfläche von jeweils 2,70 x 2,70 bzw. 2,70 x 5,40 m und lassen sich bei Bedarf ohne größere Umbauten umrüsten oder erweitern. Die Belichtung der Labore erfolgt ausschließlich über Kunstlicht, lediglich in den neben dem Eingangsbereich gelegenen Büros im 2. OG wurden Fenster integriert. Zur Erfüllung der Brandschutzauflagen wurden Rauchdetektoren eingebaut.

Bei der Entwicklung des Energiekonzepts kam den Architekten entgegen, dass sie aufgrund der geschlossenen Fassade auf eine gesonderte Kühlung des Gebäudes verzichten konnten. Die Kühlung wird stattdessen durch die eingebaute Lüftungsanlage übernommen, die überdies der Nutzung entsprechend einen 16-fachen Luftaustausch je Stunde sicherstellt. Die Zufuhr von Frischluft erfolgt dabei über den großen Lichthof. Zur Beheizung des Gebäudes kommt eine Luft-Wärmepumpe zum Einsatz, die sich für jeden Raum flexibel einstellen lässt. Auch ohne visuellen Kontakt zur Außenwelt steht den Mitarbeitern im neuen Laborgebäude also jederzeit ein angenehmes Binnenklima zur Verfügung – als wichtige Voraussetzung für die innovative medizinische Forschung vor Ort.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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